Three Doors – Forensic Architecture/Forensis, Initiative 19. Februar Hanau, Initiative in Gedenken an Oury Jalloh

03.06.2022 — 11.09.2022

In Erinnerung an die neun Opfer des rassistischen Terroranschlags vom 19. Februar 2020,

Ferhat Unvar
Hamza Kurtović
Said Nesar Hashemi
Vili-Viorel Păun
Mercedes Kierpacz
Kaloyan Velkov
Fatih Saraçoğlu
Sedat Gürbüz
Gökhan Gültekin

in Erinnerung an
Oury Jalloh

und in Erinnerung an alle Opfer rassistischer Gewalt.

 

EINE EINLEITUNG

Unter dem Titel Three Doors – Forensic Architecture/Forensis, Initiative 19. Februar Hanau, Initiative in Gedenken an Oury Jalloh hat der Frankfurter Kunstverein die Rechercheagenturen Forensic Architecture und Forensis eingeladen, gemeinsam eine Ausstellung zu erarbeiten, in der drei neue Werke von Forensic Architecture präsentiert werden. Ihre visuellen Untersuchungen zum rassistischen Terroranschlag vom 19. Februar 2020 in Hanau bilden den Schwerpunkt der Schau. Auch eine neue Plausibilitätsstudie zum Fall Oury Jalloh, der 2005 in einer Polizeizelle in Dessau verbrannte, wird veröffentlicht. Zusätzlich rückt die Ausstellung bestehende Arbeiten, wie zu den Morden des NSU sowie zu weiteren internationalen Menschenrechtsverletzungen, in den Blick, sodass ein Spektrum forensischer und bildwissenschaftlicher Methodiken aufgezeigt wird.

Die Ausstellung entsteht als Zusammenschluss unterschiedlicher Akteur*innen: die Rechercheagentur Forensic Architecture und deren Schwesteragentur Forensis Berlin, die Initiative 19. Februar Hanau, die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, Journalisten und die Kulturinstitution Frankfurter Kunstverein. Sie arbeiten als Koalition zivilgesellschaftlicher Kräfte, aus Menschen und Expert*innen in den jeweiligen Bereichen.

Der Frankfurter Kunstverein wird temporär zu einem Resonanzkörper für die Arbeit unzähliger Menschen, die mit ihrer jeweiligen Stimme und ihren Mitteln einen Prozess kollektiver Wahrheitsfindung in Gang gesetzt haben. Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen sind die vier zentralen Forderungen, die die Initiative 19. Februar Hanau stellt, die aber jede*n von uns betreffen und die Basis für den Zusammenhalt unserer demokratischen Gesellschaft bilden müssen. Der Zusammenschluss von Menschen, die ihre Rechte gegenüber institutionellem Missbrauch, Gewalt oder Ungerechtigkeit verteidigen, vereint Einzelne zu einem Bündnis, die somit zur politischen Kraft werden können, die Bewusstsein schafft und Veränderung erzeugen kann.

In der Ausstellung Three Doors geht es darum, mit künstlerischen, bildwissenschaftlichen und investigativ-journalistischen Mitteln sowie den Stimmen der Betroffenen eine Gegenerzählung über die Geschehnisse in Hanau und Dessau zur staatlichen und behördlichen Darstellung zu leisten und Sichtbarkeit für die Opfer rassistischer Gewalt zu schaffen und deren Rechte zu stärken. Somit werden die Ausstellungsräume zu einem öffentlichen Forum für gesellschaftspolitischen Diskurs über die Entstehung kollektiver Erzählungen, wessen Stimmen, wessen Perspektive und wessen Sichtweise verhandelt werden.

Three Doors ist ein Beitrag zu einem gesellschaftlichen Veränderungsprozess, der in vollem Gang ist. Es geht um die Frage der Teilhabe, der Dazugehörigkeit, aber auch der Identität einer diversen Gesellschaft, in der vor dem Gesetz alle gleich sein müssen, fernab jeglicher Rassifizierungen, egal welchen Namen wir tragen und welche kulturelle Erfahrung wir haben. Und es geht um die Fragen, welche Gesellschaftsform die Teilhabe aller ermöglicht, wer Entscheidungen trifft, wer die öffentlichen Foren zur Verbreitung von Meinungen besetzt und welche Kriterien die Grundlage für Rechtsprechung und Behördenhandeln bilden.

 

DIE INITIATIVEN UND IHR KAMPF FÜR GERECHTIGKEIT

Am 19. Februar 2020 wurden bei einem rassistischen Terroranschlag in Hanau neun Menschen ermordet: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili-Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Die unermüdliche Arbeit der Familien der Opfer des Attentats hat eine radikale Veränderung in der Wahrnehmung und in der Wirksamkeit geschaffen. Um die Familien haben sich unzählige Menschen, Aktivist*innen, Rechtsanwält*innen und Unterstützer*innen aus allen Teilen der Zivilgesellschaft vereint. Sie alle bringen nicht nur ihre jeweiligen Kompetenzen ein, sondern ihre Solidarität im Verfechten von Wahrheit und Recht. Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen sind die Forderungen, die die Überlebenden, die Familien und die Initiative 19. Februar Hanau stellen, an den Staat, an die Polizei und an die Gesellschaft als Ganzes.

2005 verbrannte Oury Jalloh, ein junger Asylsuchender aus Sierra Leone, in einer Polizeizelle in Dessau. Seit langem besteht die Annahme von Ourys Freunden und seiner Familie, dass sein Tod nicht selbstverschuldet war, sondern dass es sich um eine Tötung in Polizeigewahrsam handelt. Die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh kämpft seitdem um politische und juristische Aufklärung des Falls. Die Initiative und viele Aktivist*innen halten das Gedenken an Oury Jalloh und die damit verbundene behördliche Gewalt und den strukturellen Rassismus in der Öffentlichkeit wach.

In den vergangenen Jahren sind weltweit Bürgerinitiativen und Gemeinschaften von Menschen entstanden, die von Menschenrechtsverletzungen, staatlicher, militärischer oder durch Konzerne verübter Gewalt betroffen sind. Sie stehen ein für eine selbstermächtigte, horizontale Überprüfung und eine zivilgesellschaftlich verankerte Produktion von Beweisen, die Nachvollziehbarkeit vermeintlicher Tathergänge und die Aufarbeitung von Fehlverhalten staatlicher Behörden. Mit dem Ziel den aktuellen Status zu verändern, bilden Menschen neue Koalitionen, mit denen sie ihrer Stimme in der Öffentlichkeit Gehör verschaffen, sichtbar werden und einen Wandel in Gang setzen und ihr Recht erkämpfen können. Forensic Architecture arbeitet in ihrem Auftrag und untersucht Menschenrechtsverletzungen mit den bildwissenschaftlichen Methoden digitaler forensischer Analyse.

 

ÜBER DIE NOTWENDIGKEIT DER AUSSTELLUNG: RASSISMUS, RECHTER TERROR IN DEUTSCHLAND UND STAATLICHES VERSAGEN

Das Attentat in Hanau, eine gesamtgesellschaftliche Bewusstwerdung über Rassismus, Gewalt von Rechts, ein Staatsversagen durch systemischen Rassismus und die damit verbundene Aufforderung nach Aufklärung spielen besonders in Hessen eine wichtige Rolle. Gleichzeitig handelt es sich um eine bundesweite Problematik, die nun im Fokus der neuen Bundesregierung steht und institutionelle Handlung und Arbeit erfordert. Hanau war ein Wendepunkt, für viele Menschen, die sich als Teil unserer Gesellschaft gefühlt haben und dann doch, aufgrund ihres Aussehens vielleicht, oder aufgrund anderer Vorurteile, ein Gefühl der Angst bekommen haben, ein Gefühl, dass sie nicht dazugehören. Das Gefühl nicht dazuzugehören, macht viel kaputt, es verunmöglicht ein Zusammenleben im gegenseitigen Respekt und der Begegnung auf Augenhöhe.

Die große und uns alle angehende Frage lautet, wie wollen wir eigentlich in diesem Land leben? Wie können wir eine Gesellschaft schaffen, die bereit ist solidarisch zu sein. Wenn es darum geht eine solidarische Gesellschaft zu schaffen muss eine wesentliche Aufgabe sein, Rassismus zu bekämpfen. Diese Aufgabe muss dazu führen, dass die Mitte der Gesellschaft aktiv wird. Denn diese große Mehrheit ist vor einigen Jahren eingeschlafen. Oder sie verharrt in Schweigen, vielleicht in Überforderung und Vereinzelung, anstatt aufzustehen und ihre Aufgaben zu übernehmen, die Solidarität als Modell eines Miteinanders umzusetzen.

Heute wird die Diskurskultur in unserem Land oft von den lauten und hetzenden Reden im Internet bestimmt. Von einer Sprache und einer Rhetorik, die progressive Begriffe mit gegenteiligen Werten belegt. Die Randgruppen sind die lautesten. Wir scheinen eine Debattenkultur zuzulassen, die von den Rändern aus bestimmt und nicht aus der Mitte der Gesellschaft geführt wird. Und die Mitte der Gesellschaft muss sich die Hoheit des öffentlichen Diskurses wieder aneignen: sachlich, differenziert, nicht diskriminierend und nicht abwertend gegenüber anderen Menschen. Denn das bedeutet Demokratie zu leben.

Die Zivilgesellschaft und die Opfer Rechter Gewalt haben die Initiative selbst ergriffen, Aufklärung und Vermittlungsarbeit in die Gesellschaft zu leisten. Methodisches Wegsehen staatlicher Behörden gegenüber Rechtem Terror ist im Nachkriegsdeutschland immer wieder festzustellen. Der Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020 gehört zu einer Reihe von Neonazi-Anschlägen in Deutschland, darunter der Anschlag in Halle, der Mord an Walter Lübcke, der NSU-Terror und das Attentat auf das Oktoberfest 1980. Immer wieder wurden Attentäter als Einzeltäter dargestellt und eine organisierte Vernetzung bestritten, dort wo hingegen ein erkennbares Referenzsystem zwischen den Taten und den Tätern zu erkennen ist. Sprache, verwendete Waffen und Handlungsmuster dienen als Codes und Symbole für eine Gesinnung, die Gewalt, Angst und Ausgrenzung verursachen sollen. Bis in die 1980er-Jahre können die Verherrlichung des Nationalsozialismus, Antikommunismus und Antisemitismus als die Hauptmotivation für rechten Terror beobachtet werden. Ab den 1980er-Jahren spielte Rassismus gegen migrantisierte Menschen eine immer größere Rolle.

Warum wurde der organisierte Rechte Terror so lange übersehen? Der ideologische Nährboden war lange in der bürgerlichen Mitte präsent, wurde aber nicht öffentlich politisch artikuliert. Er bestand unter der sichtbaren und ausgesprochen Oberfläche. Mit einer zunehmend lauten und in der Öffentlichkeit wahrnehmbaren sprachlichen Artikulation durch rechte und ultrakonservative Parteien erhielten rassistische und nationalistische Gesinnungen Vorschub.

Durch fehlende staatliche Aufklärungsarbeit fand bei Teilen der Zivilgesellschaft ein fortschreitender Vertrauensverlust in den Staat statt, in dessen Institutionen, aber auch in Wissenschaft und Medien – das Ergebnis postdemokratischer Machtverschiebungen. Die methodische Verbreitung „alternativer Fakten“ und die Manipulation von Wirklichkeit seitens (internationaler) Interessensgruppierungen – hauptsächlich aus dem rechten Spektrum – verschieben die Faktenlage, fragmentieren die Meinungsbildung.

Vertreter*innen der Bundesregierung und der Bundesländer stehen zunehmend unter öffentlichem Druck sich der Tatsache zu stellen, dass eine erhöhte Gefahr von Rechtem Terror, Extremismus und Rassismus in Deutschland ausgeht. Von zentraler Bedeutung sind deshalb die Thematisierung und Analyse struktureller Diskriminierung und rassistischer Gewalt. Versäumnisse mancher Behörden oder Beamt*innen und eventuelle Kontinuitäten im behördlichen Umgang mit Rassismus haben in Deutschland den Ruf nach transparenter und kritischer Aufarbeitung laut werden lassen. Rassismus ist sowohl ein politisches als auch ein gesellschaftliches Problem.

 

DER FRANKFURTER KUNSTVEREIN

Der Frankfurter Kunstverein ist nicht nur Ausstellungsort, sondern Ko-produzent der neuen Untersuchungen von Forensic Architecture/Forensis, der Initiative 19. Februar Hanau, Initiative in Gedenken an Oury Jalloh. Der Frankfurter Kunstverein ist eine unabhängige Institution, die 1829 von Bürger*innen der Freien Stadt Frankfurt gegründet wurde – als Ausdruck einer Selbstbestimmung von Menschen, die in der Ära der Einheits- und Freiheitsbewegung einen Ort ins Leben gerufen haben, der keinem staatlichen oder elitären Verständnis von Kunst verpflichtet war, sondern als selbstbestimmter und experimenteller Ort für aktuelle Kultur gelebt wurde. Bis heute agiert der Frankfurter Kunstverein in diesem institutionellen Selbstverständnis. Diesem Mandat bleiben wir verpflichtet, als Ort der kritischen Reflektion über den jetzigen Moment, über das Hier und Jetzt in der Gesellschaft und des Menschseins. Ohne zeitliche Distanz und über den Blick von Künstler*innen und Wissenschaftler*innen, die alle dazu beitragen, dass wir die Flut von Wissen, Fakten und Bildern lesen und verstehen. Hier können Informationen und Wissen zusätzlich über die Kraft des sinnlichen Erlebnisses im Raum zu einer Wahrnehmung werden, die die fragmentierte, multiperspektivische Erzählung über das, was Realität sein könnte, immer wieder neu auslotet.

Mit Three Doors stellt sich der Frankfurter Kunstverein erneut dem seit Jahren praktizierten Anspruch einer Überwindung der Grenzen von Referenzkontexten. Die gegenwärtigen sozialen und politischen Bedingungen erfordern neue Arbeitsweisen auch von Ausstellungshäusern. Sie verfolgen durch ihre kulturelle Arbeit eine multiperspektivische Herangehensweise für die Verteidigung demokratischer Strukturen und die Stärkung der Werte unserer Zivilgesellschaft.

Die Ausstellung stellt auch die übergeordnete Frage nach einer erweiterten Rolle von Kunst und von Kulturinstitutionen, die rein metaphorische und symbolische Ebene zu verlassen, um im realen demokratischen Prozess zu agieren. Im Arbeitsprozess stellte sich das Kurator*innen-Team immer wieder der Herausforderung Menschen aus gänzlich unterschiedlichen Erfahrungsräumen miteinander zu vernetzen, sodass in der Bildung neuer Koalitionen neue Erkenntnisse und neues gesellschaftliches Handeln entstehen konnte.

 

ÜBER FORENSIC ARCHITECTURE

Forensic Architecture ist eine 2011 gegründete Rechercheagentur, die seit Jahren im Kunst- und Kulturbetrieb international renommiert ist. Die Agentur setzt Methoden und Technologien ein, um Spuren zu analysieren, die staatliche Gewalt an Architektur und Landschaft hinterlässt. Sie beschäftigen sich weniger mit der Aufgabe Bauwerke zu entwerfen, sondern untersuchen die übergeordnete Politik des Raums, insbesondere, wie dieser von Staaten und Unternehmen gegen Zivilisten und die Umwelt manipuliert wird.

Forensic Architecture arbeitet ausschließlich für zivile Opfer und Bürger*inneninitiativen, NGOs und unabhängige Vereine, juristische Foren, Menschenrechtsgruppen, Aktivist*innen, investigative Reporter*innen und Medien, sowie Kunst- und Kultureinrichtungen. Gemeinsam mit der Organisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) gründete Forensic Architecture das Recherchezentrum Investigative Commons in Berlin.

Die künstlerische Arbeit des Kollektivs zeichnet sich dadurch aus, dass modernste Techniken der Raum- und Architekturanalyse wie Fernerkundung, 3D-Modellierung, Open-Source-Untersuchungen, Geomapping, digitale Rekonstruktionen und immersive Technologien sowie investigative Recherchen, situative Interviews (situated testimony) und wissenschaftliche Zusammenarbeit eingesetzt werden. Mit Hilfe hochentwickelter Technologien werden objektive Tatsachen über Missstände gesammelt.

Dadurch können Zusammenhänge und Spuren sichtbar gemacht werden, die für die Öffentlichkeit sonst nicht wahrnehmbar sind. Es entsteht eine forensische Ästhetik der bildgebenden Untersuchung. Durch diese Methoden und die Verwendung von Materialien wie Metadaten von Telefongesprächen und Handyvideos, meteorologische Daten, Satellitenbilder, Augenzeugenberichte, Bewegungsrekonstruktionen, kann eine Kombination aus physischem und virtuellem Raum geschaffen werden und es entstehen neue Perspektiven und Beweise. Jede der Arbeiten – die von Forensic Architecture investigations genannt werden – bildet real stattgefundene Tatsachen ab und ermöglicht es mit den Mitteln der Deduktion, nach plausibler Beweisführung zu forschen.

Es handelt sich um eine fortlaufende kollaborative, forschungsbasierte und politisch engagierte Praxis, in der Fakten und Beweise gemeinschaftlich durch interdisziplinäres Arbeiten in den Bereichen Architektur, Journalismus, Recht und Wissenschaft entwickelt werden. Sie entstehen als Ergebnis einer Koalition aus zivilgesellschaftlichen Akteur*innen und als Gegenuntersuchung, die nicht von Behörden oder Staat geleitet und verantwortet wird. Diesen Prozess beschreibt Forensic Architecture als eine offene und horizontale Überprüfung von Fakten, weshalb das Kollektiv seine Arbeit als counter forensics (Gegenforensik) bezeichnet. Counter forensics ist eine Praxis der epistemologischen – also Erkenntnis gewinnenden – Gegenermittlung.

Die Ergebnisse der Untersuchungen werden zum Zweck der Gegen-Wahrheitsfindung nicht nur im geschützten Raum internationaler Kulturinstitutionen ausgestellt, sie sind im Laufe der Jahre zunehmend als visuelle Plausibilitätsstudien und Beweise von Anwält*innen in Gerichtsverhandlungen eingebracht worden.

Offizielle, staatliche, behördliche Organe, aber auch machtausübende Konzerne, haben für lange Zeit das Monopol über die Deutungshoheit gesellschaftlicher Erzählungen und (Un)Wahrheiten besessen und gleichzeitig die Prozesse gesteuert, mit denen Gesetze und Auslegungen für die Zivilgesellschaft und Bürger*innen festgelegt wurden. Es ist ein Wandel im Gange, bei dem die Zivilgesellschaft nicht mehr auf staatliche Autorität vertraut, sondern diese durch freie und unabhängige Prüfung in Frage stellt und ein Gegengewicht erzeugt.

 

WARUM IST DAS KUNST?

Der Frankfurter Kunstverein ist ein Ort für Kunst an der Schwelle zu weiteren Disziplinen und zur Gesellschaft. Ein Ausstellungshaus, in dem neuartige und innovative Erzählungen dank künstlerischer Praktiken und erweiterten Denkweisen möglich sind, die den gesellschaftlichen Diskurs beeinflussen.

Wenn Bilder, Daten und Informationen nach dem neuesten Stand wissenschaftlicher Kategorien visualisiert werden, sind die technologischen Applikationen nicht mehr Expert*innen wie Forensiker*innen, Kriminalexpert*innen, Richter*innen und Anwält*innen vorbehalten. Sie bieten allen Bürger*innen die Möglichkeit an der Überprüfung von Fakten teilzuhaben. Forensic Architecture ermöglicht unabhängige Untersuchungen zum Beispiel bei Menschenrechtsverletzungen, rassistischem Terror oder Ökoziden durchzuführen. Durch die Veröffentlichung ihrer Arbeiten wird der institutionelle Raum zum Ort des Hinweisens, des Mahnens und zum Forum für eine Diskussion über Deutung konkreter Geschehnisse.

Durch das Sammeln, Sichten und das neue Zusammensetzen von Daten und Fakten entstehen veränderte Perspektiven, um die Welt zu deuten. Forensic Architecture hat eine bildwissenschaftliche Praxis entwickelt, mit der bereits gegebene und öffentlich zugängliche Informationen erneut analysiert, gedeutet und auf ihre Plausibilität geprüft werden können und somit eine Gegenwahrheit zu den offiziellen Deutungen entstehen kann. Deswegen findet die Präsentation der Werke sowohl in Ausstellungshäusern als auch vor Gerichten statt.

Diese künstlerische Praxis ist eine Kombination aus Wissenschaft, Journalismus, Dokumentarfilm und Architektur, die eine für alle zugängliche Vermittlungsarbeit leistet. Eine neue Kunstform, deren Wahrheitsgehalt auch als Beweis für staatliches Fehlverhalten und Versagen genutzt werden kann.

Mit Three Doors präsentieren wir eine Ausstellung, bei der aktuelle Kunst an der Grenze zum Aktivismus und zur Wissenschaft steht. Die Werke von Forensic Architecture entstehen aus konkreten Anlässen und sind nicht nur künstlerische Metapher oder Symbol. Die Praxis von Forensic Architecture bietet eine radikal andere Position als das, was von den Mainstream-Medien und dem Kunstmarkt als „Kunst“ und „Kultur“ verstanden wird und löst immer wieder eine Kontroverse darüber aus, ob dies als Kunst bezeichnet werden kann.

Dies ist keine Kunst im klassischen Sinne. Es geht um die Freiheit von Kunst in der Auseinandersetzung mit Machtstrukturen, die für Gewalt und Zerstörung verantwortlich sind. Die Ausstellung der Werke, der Filme, der Bilder und Installationen ist nur ein Aspekt der Arbeit von Forensic Architecture. Zu deren künstlerischen Selbstverständnis gehört die akademische Lehre, die Vermittlung, die Zusammenarbeit mit Expert*innen und die fortlaufende Forschung. Zu den Zielen des Kollektivs zählt, einen politischen Wandel herbeizuführen.

Curatorial Host: Franziska Nori
Direktorin Frankfurter Kunstverein

 

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