Ist das Leben nicht schön? Kapitel 3. Arturas Raila: Die Kraft der Erde

27.09.2006 — 26.11.2006

Eröffnung: 26. September 2006, 19 Uhr

Möchten Sie gerne mehr wissen über die Energiefelder, auf denen Sie gerade stehen?

Der litauische Künstler Arturas Raila (*1962) bedient sich in seinen vielfältigen Arbeiten vorwiegend der Medien Fotografie und Video. Dabei interessieren ihn vor allem Gesellschaftsgruppen, die in Bezug auf das allgemeine kulturelle Verständnis eine Sonderposition einnehmen. Die intensive Auseinandersetzung mit diesen Gruppen ist als Voraussetzung zu verstehen, um neue Perspektiven auf das Selbstverständliche oder vermeintlich Allgemeingültige zu werfen.
Die Ausstellung Kraft der Erde war Railas erste Einzelausstellung in Deutschland. Er hat hierbei unterschiedliche Projekte vorgestellt, die er in den vergangenen drei Jahren verfolgte und die thematisch eng miteinander verknüpft sind. Für den Frankfurter Kunstverein entstand u. a. eine eigens auf den lokalen Raum des Ausstellungsortes bezogene Arbeit.

Die Titel gebende Arbeit „Kraft der Erde“ (2005/2006) ist das Ergebnis einer zweijährigen Zusammenarbeit des Künstlers mit den beiden Geoenergieexperten Vaclovas Mikailionis und Villius Gibavicius. Sie stammen aus den ländlichen Gebieten Litauens und zählen zu den führenden Vertretern eines alternativen Umweltverständnisses. Sie verfügen über besondere, fast übernatürliche Kräfte, mit deren Hilfe sie im Sinne volkstümlicher Bräuche die Energiequellen ihres Lebensraums erkunden und kartografieren. Neben zahlreichen poetischen Fotografien wurde in der Ausstellung ebenfalls eine „Energiekarte“ der Frankfurter Innenstadt präsentiert, die Raila gemeinsam mit den beiden litauischen Geoenergieexperten während ihres Aufenthaltes in Frankfurt erstellt hat.

Besonders freute sich der Frankfurter Kunstverein in diesem Kontext den regionalen Energiedienstleister Mainova als Partner für das Ausstellungsprojekt gewonnen zu haben. Kaum eine andere Kooperation könnte passender sein, um der Frage nach den Ressourcen unserer Erde und deren zeitgemäßer Handhabung in einem offenen Dialog nachzugehen. Die künstlerische Auseinandersetzung mit einem traditionellen und alternativen Verständnis von Energie kann dabei den kreativen Ausblick auf zukünftige Perspektiven fruchtbar beeinflussen.

Auch die Arbeit „Primitive Sky“ (2002/2006) reiht sich anhand einer fünfteiligen Fotoserie sowie eines kurzen Videofilms in den Kontext von Energieerfahrung ein. Die Arbeit bezieht sich auf das eindringliche Erlebnis, das der Künstler Ende der 70er Jahre machte, als er eines Abends unerklärliche Lichtbewegungen am Himmel über einem kleinen Dorf in Litauen entdeckte. Wie Raila selber berichtet, hat sich diese Erscheinung fünf Mal wiederholt. Wichtig für den Künstler ist jedoch nicht die rationale Erklärung für dieses Phänomen, sondern viel mehr das Verhältnis zwischen dem, was zu sehen ist, und dem was der Betrachter zu sehen glaubt. Raila lässt dabei offen, ob es sich tatsächlich um den Versuch eines Beweises von übernatürlichen Kräften handelt, oder doch nur Fiktion ist. Wir erfahren nicht, ob Raila es ernst meint oder nicht. Vielmehr war der Betrachter seinem eigenen Urteil überlassen.

Die Videoinstallation „…etwas fehlt immer, nie ganz genug…“ (2001) wurde in Form zweier großer Projektionen und eines Flachbildmonitors präsentiert. Eine der beiden Projektionen zeigt den Zusammenschnitt von Archivmaterial und Propagandafilmen aus unterschiedlichen Besatzungszeiten Litauens der 1940er Jahre. Parallel dazu sehen wir auf dem Monitor einen berühmten litauischen Dichter, der die gezeigten Bilder zeitgleich kommentiert. Wie in einem Stummfilm ist die Übersetzung seiner Erläuterungen auf der zweiten Projektion zu lesen. „…forever lacking, never quite enough…“ entwickelt eine direkte Dialogsituation, die das Gezeigte einerseits für den Betrachter einfacher verständlich macht, andererseits die unterschiedlichen Narrationsebenen von „Geschichte“ und „Fiktion“ in den Fokus stellt. Die Installation bietet dem Betrachter auch hier wieder keine eindeutige Erklärung der Umstände einer sich stetig wandelnden Gesellschaft.

Allen Arbeiten der Ausstellung liegt ein starkes Interesse an der Verschiebung von Gesellschaftsperspektiven sowie die Erweiterung der institutionellen Struktur zugrunde. Raila beschäftigt sich auf sehr ernsthafte Weise mit spezifischen Interessengruppen und überführt diese ohne Ironie in den Ausstellungskontext. Durch seine Auseinandersetzung mit einzelnen Situationen, Phänomenen oder Gesellschaftsgruppen stellt er die Frage nach der Definition von Bedeutendem und scheinbar Unbedeutendem; er hinterfragt die Grenz-ziehung zwischen Neuem und Altem, Rationalem und Übersinnlichem.

Kuratorin: Chus Martínez