Agnes Questionmark
Incertae sedis I (Birth at Sea), 2025
Harz, transparentes Harz und Eisen
135 x 202 x 90 cm
Incertae sedis II (Turn Male to Mate), 2025
Harz, transparentes Harz und Eisen
162 x 135 x 242 cm
Incertea sedis III (Female Adulthood), 2025
Harz, transparentes Harz und Eisen
215 x 158 x 76 cm
Multivisceral abdominal resection with BiClamp®️ knife 220, 2025
Silikon
245 x 440 cm
Partial liver resection using BiClamp®️ knife 220, 2025
Silikon
410 x 225 cm
Heart Transplant Surgery:’No Room for Anything Less Than Perfection‘, 2025
Silikon
205 x 377 cm
is like living in two different planets, 2025
Wachs
180 x 230 cm
i have an empty sit next to me, 2025
Wachs
170 x 180 cm
my heart is pounding the idea of u coming, 2025
Wachs
155 x 185 cm
Produziert von Frankfurter Kunstverein
Mit freundlicher Unterstützung der Zabludowicz Collection
Courtesy Agnes Questionmark
Agnes Questionmark lebt und arbeitet in Rom und New York. Ihre Überlegungen kreisen um das Thema, wie Körper gelesen werden, die von gesellschaftlichen Normvorstellungen abweichen. Was es für das Individuum bedeutet, wenn der eigene Körper zum Objekt medizinischer Eingriffe und biopolitischer oder juristischer Regulierung wird. Agnes Questionmark verweist auf die Macht rein medizinischer Betrachtung, die Subjekte fixiert, Geschlechter zuweist und Abweichungen pathologisiert. Indem sie sich klinische Bildwelten aneignet und diese transformiert, wird ihre Kunst zu einem Akt der Selbstermächtigung – jenseits binärer Kategorien von männlich und weiblich, gesund und krank, menschlich und nicht-menschlich, fragil und resilient.
Agnes Questionmarks Kunst entsteht in Performances, Skulpturen, Installationen und Videoarbeiten. Ausgangspunkt ihres Werks ist ihr eigener Körper. Frühe Erfahrungen ließen die Künstlerin an gesellschaftlichen Erwartungen und Bewertungen von Körper und Identität zweifeln. Im Kindesalter stand sie unter ständiger ärztlicher Beobachtung und medikamentöser Behandlung. Ihr Körper, so Questionmark, passte nicht in eine Kategorie oder in eine gesellschaftliche Normvorstellung, wie ein Körper sein soll. Er funktionierte nicht so, wie es erwartet wurde. Und so begann die Künstlerin, vorerst in einer männlich konnotierten Identität, andere Formen und Kategorien zu nutzen, um ihren eigenen Körper zu denken und darzustellen. Die Frage nach der Zuschreibung von gesund und pathologisch, zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung wurde zum Fluchtpunkt ihrer Überlegungen und Hinterfragung.
Sie fragte, was Wirklichkeit ist, suchte nach Begriffen für deren Abbildbarkeit und Beschreibung. Susan Sontags, Roland Barthes’ und Walter Benjamins Theorien zur Fotografie legten einen wesentlichen Grundstein. Über die Jahre entwickelte die Künstlerin ihr Alter Ego. In ihrer Performance TRANSGENESIS, in der sie 23 Tage lang je acht Stunden täglich einen übergroßen Oktopus verkörperte, feierte sie ihre eigene Transformation und Wiedergeburt als Agnes Questionmark. Oktopusse sind eine Leitfigur in Questionmarks Werk. Sie stehen für Mutterschaft, denn die klugen Meerestiere sterben, um ihre Nachkommen mit ihrem Leib zu nähren. Und sie besitzen nicht nur ein Gehirn, sondern Denkzentren in jedem ihrer Tentakel, mit dem sie die Welt um sich herum gleichzeitig erfahren.
Questionmark geht es um eine Transformation, um Körper, die nicht dualistisch und gesellschaftlich konstruiert sind, sondern ein Dazwischen darstellen – und somit selbstermächtigt eine neue Identität anzunehmen und das alte Ich zu überwinden. Das Fragezeichen (engl. question mark) in ihrem Namen steht sinnbildhaft für ebendiese Überzeugung, dass das Selbst kein starrer Zustand ist, sondern ein ständiger Fluss an wechselnden Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühlen im Austausch mit der Welt.
Für die Ausstellung Anatomie der Fragilität hat die Künstlerin eine raumgreifende Installation geschaffen. Drei lebensgroße Skulpturen und sechs Wandobjekte. Ausgangsmaterial sind Bilder chirurgischer Eingriffe am offenen Herzen, Leber oder Magen. Die operierenden Hände der Ärzte greifen tief ins Innere des Körpers. Die Körperbilder verfremdet Questionmark digital und analog und überformt sie mit Silikon oder übergießt sie mit Wachs wie eine dicke Haut. Farbpigmente verschmelzen mit dem Material zu organischen Landschaften, die wie aufgeschnittenes Körpergewebe anmuten. Die haptische Präsenz von Silikon und Wachs erinnert an Fleisch und an innere Körperräume. So entstehen viszerale Bilder, die einen intimen Blick auf die Verletzlichkeit des Körpers gewähren. Der Raum ist in eine Klanglandschaft getaucht. Gedämpfte Herzschläge, das Strömen des Blutes, der Klang des Fließens und Pumpens, wie es aus dem Inneren unseres Leibes gegen die Oberfläche pocht.
Das Zentrum des Raumes bilden die drei lebensgroßen Skulpturen. Mischwesen, zwischen Aliens, mythologischen Wasserfiguren und Fischen. Ihr blaues Äußeres wirkt kühl, ihre Oberfläche wirkt nass, als wären sie gerade aus dem Wasser aufgetaucht oder eben erst geboren worden. Das Wasser ist für Agnes Questionmark Urort der Transformation und Ort des Werdens und Vergehens – Ozeane als Beginn alles Lebens oder das Fruchtwasser im Mutterleib. Ihre Skulpturen und Installationen verkörpern hybride Gestalten, die sich einer eindeutigen Zuordnung entziehen. Halb Mensch, halb Tier. Oder wie ein Seepferdchen, dieses wundersame zarte Wasserwesen, bei denen es die Männchen sind, die ihre Brut austragen. Das Fremde, das Andersartige, das in der Gesellschaft als monströs gilt, wird bei Questionmark zu einem Bild des Offenen und Möglichen.
Die hybriden Kreaturen von Agnes Questionmark lassen sich keiner Spezies und keinem Territorium zuordnen. Unter Wasser oder auf der Erde, organisch oder künstlich, geboren oder ungeboren – sie verkörpern Zustände des Dazwischen. In dieser Schwebe verweisen sie auf eine posthumane Existenzidee: eine Welt, in der Körper nicht mehr über Hierarchie, Identität oder Eindeutigkeit definiert sind, sondern durch Verflechtung, Vielheit und gegenseitige Abhängigkeit.
Questionsmarks Erfahrungen und Empfindungen spiegeln sich in den philosophischen Gedanken von Donna Haraway zur „tentakulären Verflechtung“, in Rosi Braidottis Idee des „nomadischen Subjekts“ und in den Ideen des Posthumanismus. Dieser lehnt ein festes Menschenbild ab und weitet den Fokus über die Gattung Mensch hinaus und betrachtet auch Tiere, Technologien und die Umwelt als bedeutsame Akteure, die die Welt mitformen. Im Zentrum steht die Frage nach den Beziehungen zwischen Menschen und den zahlreichen nicht-menschlichen Wesen in einer immer neuen Verbindung, frei von Hierarchie.
Questionmark macht sich die Ästhetiken chirurgischer Eingriffe und biotechnologischer Verfahren zunutze. In ihren Arbeiten wird der Körper geöffnet, durchlässig, verändert. Doch während Medizin und Technologie für die Künstlerin oft der Normierung und Kontrolle dienen, nutzt sie dieselben ästhetischen Mittel, um genau diese Machtverhältnisse deutlich sichtbar zu machen. Der Blick auf den Körper wird dabei selbst zum politischen Akt: Wer darf ihn formen? Wer wird geformt?
Für Questionmark sind Fragilität und Schmerz die Voraussetzung für Transformation. Ihre hybriden Wesen verbinden Schmerz mit Hoffnung, Monstrosität mit Fürsorge, Abscheu mit Schönheit. Sie und ihre Figuren entwerfen Bilder einer Zukunft, in der Menschlichkeit nicht als starre Norm erscheint, sondern als offener Prozess – formbar nach individuellen Sehnsüchten und Wünschen. Agnes Questionmark lädt dazu ein, den Körper neu zu denken – als Prozess, als Möglichkeit, als Fragilität, die zur Stärke wird.
Agnes Questionmark (*1995 Rom, IT) ist eine Künstlerin, die zwischen Performance, Skulptur, Video und Installation arbeitet. Zu ihren jüngsten Langzeitperformances gehören CHM13hTERT (2023), präsentiert in einem öffentlichen Bahnhof im SpazioSERRA, Mailand (IT), und TRANSGENESIS (2021), präsentiert von The Orange Garden und Harlesden High Street in London (GB). Ihre Arbeiten wurden unter anderem auf der 60. Biennale von Venedig (IT), im Centre d’Art Contemporain in Genf (CH), im MAXXI Museum in Rom (IT), auf der 14. Gwangju Biennale (KOR), auf der Malta Biennale in Valletta (MLT), in der König Galerie in Berlin (DE) und in der Fondazione Mario Merz in Turin (IT) präsentiert. Ihre erste italienische Einzelausstellung fand 2025 im SPE – Spazio Performatico ed Espositivo Dello Scompiglio in Lucca (IT) statt. Zudem wurden ihre Texte im NERO Magazine veröffentlicht und in der Fondazione ICA in Mailand (IT) vorgestellt. 2025 nimmt Agnes Questionmark an der 18. Quadriennale di Roma (IT) teil.