Antikensammlung und Skulpturensaal der Goethe-Universität Frankfurt

Kroisos-Kouros (Kopie des Kroisos-Kouros, original datiert auf 530 v. Chr.)
Gips, bemalt, angegossene Standplatte
56 x 60 x 210 cm

Courtesy Antikensammlung und Skulpturensaal der Goethe-Universität Frankfurt

Der Kouros steht für den Archetypus einer Kunstform, eines Statuen-Typus, in dem der menschliche Körper Ausdruck einer Weltordnung, einer gesellschaftlichen Identität und von Wertvorstellungen wird. Diese Form der Rundplastik trat zwischen dem 7. und dem 5. Jahrhundert v. Chr. auf und wurde in der archaischen Epoche Griechenlands im öffentlichen Raum aufgestellt. „Kouros“ bedeutet im Altgriechischen „Jüngling“ oder „junger Mann“. Das weibliche Pendant ist „Kore“.

In der Ausstellung Anatomie der Fragilität bildet die Statue den Auftakt der Reise in die Welt des Körperbildes. Sie ist eine Replik aus Gips und stammt aus der Antikensammlung und Skulpturensaal der Goethe-Universität Frankfurt. Diese spezifische Darstellung wird Kroisos-Kouros oder auch Kouros von Anavyssos genannt und steht als Original im Archäologischen Nationalmuseum Athen. Leicht unterschiedliche Varianten dieser Grundform fanden sich im gesamten Griechenland und wurden in späteren Epochen wieder aufgefunden.

Wir sehen eine aufrecht stehende männliche Figur. Sie empfängt die Besucher:innen im Foyer des Frankfurter Kunstvereins. Der linke Fuß ist leicht vorgesetzt, die Beine stehen fest und doch wie in Bewegung, als würde der Körper einen Schritt nach vorne andeuten. Die langen Haare sind geflochten. Die Arme hängen ruhig herab, aber die zu Fäusten geschlossenen Hände lassen Energie und Bereitschaft zur Aktion erahnen. Der Körper ist jugendlich, symmetrisch, kraftvoll, und die Muskeln sind sichtbar herausgearbeitet.

Und doch ist es nicht ein naturalistisches Abbild. In der Skulptur spiegelt sich einerseits der Versuch wider, den menschlichen Körper durch genaue Beobachtung anatomisch korrekt darzustellen. Andererseits jedoch folgt der dargestellte Körper strengen stilistischen Konventionen wie Proportionsrastern, Symmetrieachsen und abstrahierten Formen. Die Figur stellt einen Idealtypus dar. Sie steht weniger für einen individuellen Körper als vielmehr für eine kulturell geregelte und normierte Idee eines „schönen Körpers“. Das Abbild wird zum Zeichen und zum Symbol, in dem sich eine Gesellschaft spiegelt. Der freie, erwachsene Mann war in der griechischen Gesellschaft das Maß aller Dinge. Er stand für „kaloi kagathoi“, für das Schöne und Gute, so die Kulturhistorikerin Mireille M. Lee.

Entsprechend galt der männliche Körper als Norm und Idealfigur, als Träger und Ausdruck eines kollektiven Selbstbildes.

Der Begriff „Kouros“ (im Plural „Kouroi“) definiert ein festes Bildschema. Diese Darstellung entwickelte sich aus ägyptischen Vorbildern der Monumentalplastik. Am Kouros zeigt sich, wie sich die Darstellung des Körpers im Vergleich zu seinen ägyptischen Vorläufern verändert hat. Die ungleiche Verteilung des Gewichtes, die Betonung der Gelenke und der Knie zeigen Bewegung, Dynamik, Lebendigkeit und körperliche Präsenz. Der Kouros wird zur Ausdrucksform einer neuen Auseinandersetzung mit Anatomie, Proportion, Körperspannung und Statik in der griechischen archaischen Plastik.

Mehr als 600 dieser Figuren aus Marmor sind erhalten geblieben, darunter auch zahlreiche weibliche Statuen, die sogenannten „Korai“ (im Singular „Kore“). An den männlichen und weiblichen Körperbildern lässt sich das Bild der archaischen Elitengesellschaft nachzeichnen – einer Zeit, in der die Polis als dominierende Lebensform aufstieg und kriegerische Auseinandersetzungen das gesellschaftliche Leben prägten. Für die Auftraggeber dieser Figuren, die der gesellschaftlichen Elite angehörten, bestand der ideale Archetypus des Menschen in der Einheit zwischen körperlicher Schönheit und moralischer Tugend. Die Auftraggeber wollten idealisierte Statuen junger Männer und Frauen, die sowohl äußere als auch innere Größe zum Ausdruck bringen sollten.

Ein zentrales Merkmal aller Kouroi und Korai ist das sogenannte „archaische Lächeln“. Dies ist Ausdruck von Selbstbeherrschung, von Würde, Anstand und innerer Ordnung – Werte, die das Auftreten und Gebaren der griechischen Eliten in archaischer Zeit leiteten. Bei den gefunden Kouroi und Korai sind stilistische Abweichungen zu erkennen. Der Archäologe Francis Prost begründete die stilistischen Variationen als bewusste Entscheidungen in der Darstellung. Sie seien Ausdruck dessen, was eine gewisse Polis auszeichnete.

Der Stil der Kouroi sei, so Prost, ein System von Zeichen, ein visuelles Vokabular, mit dem sich die Elite einer Polis gegenüber einer anderen Polis abgrenzte. Die Kouroi waren somit Instrumente kultureller Selbstdefinition. Die Darstellungen der Körper entsprachen einerseits den idealen ästhetischen Vorstellungen, darüber hinaus standen sie für die Werte und die politische Identität einer ganzen Gesellschaft.