Yein Lee

System of In-between State, 2024
Drei Skulpturen
Stahl, Polymergips, Epoxidkitt, Äste, trockener Traubenstiel, zerbrochener Staubsauger, Elektrokabel, Glasfaser, Acryltinte, Lack
125 x 110 x 186 cm; 100 x 110 x 175 cm; 84 x 88 x 174 cm
Realisiert im Auftrag der 15. Gwangju-Biennale, mit Unterstützung des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport der Republik Österreich

in other’s shoes – maybe no need for shoes, 2022
Skulptur
Epoxidkitt, Motorradteile, Elektrokabel, Kunstblume, Polymergips, Stahl, Gips
79 x 65 x 110 cm

Interlock Vertebra Devices, 2021
Skulptur
3D-Druck, Epoxidkitt, Draht, Computerteile, Sprühlack, Ohrring, Kabel, Kabelbinder, Motorradteil, PET-Folie, Beschläge, Rohr
45 x 68 x 160 cm

Courtesy die Künstlerin

 

Yein Lee leistet Widerstand gegen eine Vorstellung des Körpers als makellos, intakt und immer funktionierend. Ihre Plastiken stellen anthropomorphe, lebensgroße Figuren dar, die, von ihren äußeren Hüllen befreit, auf ihre inneren Strukturen blicken lassen. Die Skulpturen konstruiert Lee aus elektrischen Kabeln, Stahlrohren, Computerteilen, aber auch aus Zweigen und Ästen sowie gefundenen Alltagsobjekten. Ihr Material ist synthetisch und natürlich zugleich. Es stammt aus der industriellen Fertigung und den Überresten der vernetzten, digitalen Informationsgesellschaft sowie aus der Natur.

Lees Skulpturen tragen die Widersprüche ihres Ursprungs in sich – zwischen Handarbeit und schnelllebigem Wegwerfobjekt, die dem materiellen Verschleiß preisgegeben sind. Statt diese Gegensätze aufzulösen, macht Lee sie sichtbar. Ihre Werke bewegen sich in einem Zwischenzustand – schwankend zwischen Mensch und Maschine, Lebendigem und toter Materie, organischem Wachstum und Zerfall.

In Südkorea geboren und aufgewachsen, lebt und arbeitet Yein Lee seit einigen Jahren in Wien. Ihr Werk nimmt Einflüsse der klassischen Skulptur, von Science-Fiction und Cyberkultur auf. Sie ist fasziniert von Medardo Rossos fragilen Wachsfiguren und von den barocken Skulpturen Giovanni Lorenzo Berninis, der die Illusion lebendiger Leiber in Marmor schuf. Lees Interesse gilt auch Figuren aus Mythos und Literatur, die als hybride Wesen die Idee der Transformation verkörpern. Die Metamorphose der Daphne, die in der Mythologie der Griechen dem Übergriff Apollos entflieht, indem sich ihr weiblicher Körper zum Baum verwandelt. Oder der Junge Namu Doryeong aus dem koreanischen Gründungsmythos, Sohn einer himmlischen Fee und eines irdischen Baumes, der die große Sintflut übersteht und aus dem die Menschheit hervorgeht.

Yein Lee untersucht die Ähnlichkeit innerer Strukturen von Organismen: vom Geflecht menschlicher Blutbahnen, Nerven, Muskeln und Sehnen hin zu den Ästen und Wurzeln der Pflanzen. Ihre Figuren bestehen aus durchlässigen Fasern, die verschmelzen und wieder aufbrechen, rhizomartig wachsen und mit ihren Ausläufern nach Halt im Raum suchen. Lee denkt den Körper weg von der geschlossenen Form. Aus diesen Zusammenballungen gibt Lee ihren Figuren multiple Gesichter, die die Künstlerin als Abgüsse von sich selbst und von Menschen nimmt, die ihr nahestehen.

Sie spiegeln eine Welt wider, in der die Grenzen zwischen Mensch und Maschine, Natur und Technik, Ich und anderen immer mehr verschwimmen. In dieser Zwischenwelt zeigt sich der Körper nicht mehr als stabiles Zentrum, sondern als instabile Schnittstelle in einem Zustand des ständigen Wandels.

So ist der zentrale Fluchtpunkt ihrer Überlegungen die Unmöglichkeit, den Körper als statische Einheit zu denken. Körper ist Transformation. Körper ist Erweiterung und Umbau. Und gleichzeitig ist er fragil. Aus ihrer gesundheitlichen Vorgeschichte bringt Yein Lee diese Erfahrung mit. In ihrem Körper sind Implantate verankert worden, die verheilten und sie stützen. Ihr Körper ist mit dem Metall der Schrauben verwachsen. Wie ein Baum, dessen Borke einen Gegenstand ummantelt, der ihm im Wege stand. Der Körper als Amalgam von Organischem und Künstlichem als neue Normalität, die Leben ist.

Yein Lees Werk ist durchzogen von den Ideen der Cyberpunk-Ästhetik: Körper erscheinen erweitert, beschädigt, fragmentiert, durchzogen von Kabeln und Apparaturen. Lee zeigt fragile, provisorische Existenzen, die im Zustand des Dazwischen verharren. Transformation, Metamorphose und Offenheit sind keine Übergänge, sondern Zustände, in denen sich ihre skulpturalen Wesen immer wieder neu zusammensetzen.

In der Arbeit Interlock Vertebra Devices erscheinen spekulative Implantate zur körperlichen Optimierung, in Plastik verpackt wie eine schnell konsumierbare Ware. Der Wunsch nach Verbesserung, Jugend und Funktionalität klingt an: der Mensch als Getriebener eines besseren körperlichen Selbst.

Ihre Arbeiten sind Plädoyers für eine neue Körperlichkeit: verletzlich, prozesshaft, jenseits normativer Zuschreibungen. In einer Zeit, in der Optimierung zum Trend, Technologie zur Prothese und Erweiterung des Körpers geworden ist, öffnet Lee mit ihren Skulpturen ein Möglichkeitsfeld: für andere Körper, andere Zukünfte, andere Formen des Seins.

 

 

Yein Lee (*1988 Incheon, KOR) ist eine südkoreanische Künstlerin, die derzeit in Wien (AT) lebt und zwischen Installation, Skulptur, Malerei und Performance arbeitet. Nach ihrem Bachelor-Abschluss in traditioneller asiatischer Malerei an der Hongik University in Seoul (KOR) erwarb Lee einen Master-Abschluss an der Akademie der bildenden Künste in Wien (AT). Ihre Arbeiten wurden international in Gruppenausstellungen auf der 15. Gwangju Biennale (KOR), im Centre d’Art La Meute in Lusanne (CH), im Château – Centre d’Art Contemporain de la Ville d’Aubenas (FR), im Centre Culturel Suisse in Paris (FR), im Belvedere 21 in Wien (AT), im Kunstraum Niederösterreich in Wien (AT) gezeigt. 2025 wurde Lee eine Einzelausstellung in der Galerie Bremond Capela in Paris (FR) gewidmet.