Forschungszentrum Jülich

Der Frankfurter Kunstverein hat Naturwissenschaftler*innen und Künstler*innen eingeladen, ihre Arbeit und ihr Wissen bildhaft in die Ausstellungsräume zu transferieren. Die Zusammenarbeit entstand in Kooperation mit Prof. Dr. Ulrich Schurr, Leiter des Instituts für Bio- und Geowissenschaften: Pflanzenwissenschaften und den Wissenschaftlern Dr. Robert Koller und Dr. Andreas Müller.

Wie (über)leben Pflanzen zurzeit und in der Zukunft? Was brauchen Pflanzen dazu? Wie ist ihr Überleben von ihrer Umgebung beeinflusst? Was geben Pflanzen dem Menschen?

Um solche Fragen zu beantworten, erforschen Biolog*innen, Biochemiker*innen, Chemiker*innen, Informatiker*innen, Mathematiker*innen, Physiker*innen und Ingenieur*innen die verschiedensten Pflanzenarten am IBG-2 (Institut für Bio- und Geowissenschaften, Pflanzenwissenschaften) am Forschungszentrum Jülich. Das Forschungszentrum Jülich ist Teil der Helmholtz Gemeinschaft (HGF) und mit über 6500 Mitarbeiter*innen eines der größten Forschungszentren Deutschlands.

Das Forschungszentrum Jülich leistet wirksame Beiträge zur Lösung großer gesellschaftlicher Herausforderungen in den Bereichen Information, Energie und Bioökonomie.

Letzterer gewinnt mit den Herausforderungen der heutigen Gesellschaft zunehmend an Relevanz. Orientiert an natürlichen Kreisläufen soll eine nachhaltige und biobasierte Wirtschaft entstehen. Die Fokusthemen des IBG-2 sind: Pflanzen als Grundlage für Nahrungsmittel, nachwachsende Rohstoffe und Energie, Schlüsseltechnologien für die Untersuchung von Pflanzen (=Phänotypisierung) und Konzepte der Bioökonomie.

Am IBG-2 werden innovativste Ansätze der Pflanzenphänotypisierung und Modellierung kombiniert, um die Wechselwirkung des Pflanzengenoms mit seiner Umwelt und dem Erscheinungsbild von Pflanzen besser zu verstehen.

So setzte das Pflanzenphänotypisierungszentrum am IBG-2 nicht-invasive Sensoren zur Quantifizierung von strukturellen und funktionellen Merkmalen von Pflanzen ein. Automatisierte Analyseverfahren erfassen das Wachstum von Sprossen und Wurzeleigenschaften, zum Beispiel über deren Wurzellänge, Anzahl von Seitenwurzeln und Verzweigungswinkel anhand von Modelpflanzen und auch von Nutzpflanzen wie Getreide, Bohnen, Erbsen und Miscanthus.

Von Pflanzen hängt das Überleben des Menschen ab. So dienen Pflanzen der Ernährung, der Energiegewinnung, aber auch als Ausgangsstoffe für Alltagsgegenstände, sie werden auch in der Baubranche oder im medizinischen Bereich genutzt. Global stehen Menschen vor der Herausforderung, unter den zunehmend extremen Bedingungen des Klimawandels und der Ressourcenverknappung eine landwirtschaftliche Produktion unter Nachhaltigkeitsaspekten zu gestalten.

Hierfür werden widerstandsfähige Nutzpflanzen benötigt, die auch unter extremen Umweltbedingungen, wie z.B. nährstoffarmen Böden oder extremen Trockenperioden, gute Erträge liefern und dabei nachhaltig angebaut und genutzt werden können. Der Auftrag des Forschungszentrum Jülich ist es, mit modernsten Verfahren und Technologien, Nutzpflanzen und die komplexen Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und der Umwelt zu erforschen. Dafür wird der pflanzliche Phänotyp, das Erscheinungsbild der Pflanze, analysiert und bestimmt. Unter Phänotypisierung versteht man die quantitative Beschreibung des Erscheinungsbilds, also des Phänotyps ganzer Pflanzen oder Teile davon einschließlich der Verknüpfung mit deren Funktion. Dies schließt den oberirdischen Teil mit Blättern, Stämmen, Blüten und Früchten sowie den unterirdischen, in den meisten Fällen im Boden verborgenen Pflanzenteil, die Wurzeln, ein.

Wurzeln spielen eine entscheidende Rolle bei der Verankerung der Pflanzen im Boden, aber auch bei der Versorgung der Pflanze mit Wasser und essentiellen Nährstoffen. Weil Wurzeln nur schwer zugänglich und somit zu beobachten sind, wurden sie lange vernachlässigt. Ertrag, Standfestigkeit und Widerstandsfähigkeit einer Pflanze hängen aber wesentlich vom guten Wachstum ihrer Wurzeln ab. Die Arbeit am IBG-2 fokussiert auf die Entwicklung neuer Methoden und Technologien, um den nicht sichtbaren, aber so essentiell wichtigen Teil lebendiger Pflanzen, die Wurzeln, zerstörungsfrei zu beobachten und somit besser zu erforschen.

Phänotypisierungsmethoden für die Wurzel nutzen optische und nicht-optische Technologien wie die Kernspinresonanz oder Licht- und Feuchtigkeitssensoren sowie Kameras. Es werden auch automatisierte Anlagen eingesetzt, die große Mengen an Proben verarbeiten können und es somit ermöglichen, hunderte verschiedene Linien voll-automatisch zu vermessen. Einige Anlagen ermöglichen dabei die gleichzeitige Vermessung der ober- und auch der unterirdischen Pflanzenteile unter wechselnden Umweltbedingen. Ein Beispiel ist die Vermessung der Pflanzen in so genannten Rhizotronen. Dabei handelt es sich um Pflanzgefäße, die eine durchsichtige Scheibe besitzen, welche eine zerstörungsfreie Vermessung des dynamischen Wurzelwachstums über einen längeren Zeitraum ermöglichen. Gleichzeitig kann der Spross hinauswachsen, und ebenfalls vermessen werden. Dies lässt einzigartige Rückschlüsse auf die Anpassungsfähigkeit der Pflanzen an beispielsweise Dürreperioden zu und verhilft so zu einer Beschleunigung bei der Auswahl widerstandsfähiger Sorten.

Mit bildgebenden Verfahren wie der Magnetresonanztomographie (MRT) und Positronen-Emissions-Tomographie (PET) lässt sich auch die Wurzelarchitektur von Pflanzen in 3D, zusätzlich mit dem zeitlichen Faktor, also 4D analysieren. MRT ist ein Verfahren aus der medizinischen Diagnostik zur Darstellung von Struktur und Funktion von Gewebe. PET ist ebenfalls aus der Medizin bekannt und bezeichnet ein nuklearmedizinisches Verfahren, das es uns ermöglicht, Stoffwechselvorgänge im Inneren von Pflanzen sichtbar zu machen. Mit Hilfe von radioaktiven Markern werden Stoffflüsse innerhalb der Pflanze nachvollziehbar und erkennbar gemacht.

Im Frankfurter Kunstverein sind explizit Nutzpflanzen ausgestellt wie Erbse, Bohne, alte Winterweizensorten und Miscanthus, die über die Dauer der Ausstellung unter artifiziellen Bedingungen wachsen werden.

Durch künstliches Licht, geregelte Raumtemperatur und Wasser- und Nährstoffzufuhr, werden heute zunehmend Nutzpflanzen in großen Anlagen, Treibhäusern und vertikalen Farmen gezüchtet, die unter optimierten, regulierten Bedingungen, in verkürzten Zeiträumen einen gesteigerten Ertrag erzielen sollen. Aber auch auf dem Feld kommen Pflanzenarten zum Einsatz, deren Eigenschaften und Verhaltensweise auf die Eigenschaften von Standorten oder gewünschte Ergebnisse hin ausgewählt werden.

Für die Photosynthese bei Pflanzen sind drei Faktoren wesentlich: Wasser, Kohlendioxid und Licht. Licht wird von der Pflanze als Energiequelle verwendet, um aus Wasser und Kohlendioxid Sauerstoff und Glukose zu erzeugen. Da die Photosynthese der Pflanzen hauptsächlich in den Wellenlängenbereichen zwischen 400 – 500 nm (blau), sowie 600 – 700 nm (hellrot) stattfindet, kommen LED-Leuchten zur gezielten Belichtung der Pflanzen in diesen beiden Spektren zum Einsatz. Auch die Distanz der Leuchten zu den Pflanzen spielt eine wichtige Rolle, da die Blätter bei zu großer Nähe Verbrennungen riskieren oder bei zu großer Distanz unterversorgt sind.

Im Frankfurter Kunstverein takten Zeitschaltuhren die Beleuchtung zwischen 6.00 und 22.00 Uhr, um den Pflanzen eine Erholungsphase zu ermöglichen. Es ist wichtig, dass künstliche Beleuchtung mehrere Stunden pausiert, um eine Nachtruhephase zu simulieren. Die Länge der Lichteinwirkung, also zwischen Tag und Nacht, taktet Pflanzen, die darüber ihre Wahrnehmung von Jahreszeiten ableiten.

Auch aus Temperaturen leiten Pflanzen wichtige Informationen für ihre Existenz ab. Wenn der Temperaturunterschied zwischen der Tag- und Nachtphase nicht zu groß ist, haben Pflanzen ideale Wachstumsvoraussetzungen, wie in Frühsommerphasen. Durch die Regulierung von Temperaturunterschieden kann man Jahreszeiten künstlich nachahmen. Zusätzlich hat die Temperatur einen direkten und großen Einfluss auf die Photosynthese der Pflanze. Pflanzenwurzeln reagieren sehr empfindlich auf zu niedrige oder zu hohe Temperaturen, was zu Stress und Schäden führen kann. Wenn Pflanzen dauerhaft einer Temperatur von unter 5 Grad Celsius ausgesetzt sind, stellen sie ihren Stoffwechsel auf Winter und somit auf eine verlängerte Ruhephase um.

Rhizotronen Showbox
Kunststoff, Aluminium
200 x 160 x 100 cm
Leihgabe von: IBG-2, Forschungszentrum Jülich, Eigenentwicklung

Rhizotron
Kunststoff, Aluminium
137 x 44 x 89 cm
Leihgabe von: IBG-3, Forschungszentrum Jülich, Eigenentwicklung

Rhizotrone sind spezielle Messboxen, die für die Wurzelforschung eingesetzt werden. Die mit Erde gefüllten, oben offenen Gefäße erlauben durch eine durchsichtige Scheibe die Beobachtung von Pflanzenwurzeln und ermöglichen so die simultane und zerstörungsfreie Vermessung von Wurzel- und Sprossmerkmalen verschiedenster Pflanzenarten.

Ein Schau-Rhizotron macht sichtbar, wie sich verschiedene Böden (Substrate) auf das Wachstum von Wurzeln im Boden auswirken. Hier werden die Auswirkungen von Bodenfestigkeit, -Feuchtigkeit, -Nährstoffen oder -Giften, bis zum Einfluss anderer Lebewesen als Konkurrenten oder Helfer auf die Pflanzen untersucht. Dies veranschaulichen die unterschiedlichen Schichtungen von Substraten, z.B. Torferde, Blähton, Vermiculite, Perlite, die zeigen, wie unterschiedlich die Wurzeln darin wachsen.

Die speziellen Rhizotrone, die in der Ausstellung Die Intelligenz der Pflanzen zu sehen sind, wurden neben der transparenten Scheibe auf der Rückseite, ebenfalls mit einem Raster von mehreren hundert Löchern ausgestattet. Diese Lochplatte ermöglicht – zusätzlich zur bildgebenden Darstellung des Wurzelsystems – die Entnahme kleiner Bodenmengen sowohl in der unmittelbaren Nähe von Wurzeln als auch im wurzelfreien Boden. Über dieses Lochsystem kann auch Flüssigkeit aus dem Boden entnommen oder Stoffe in die Nähe von Wurzeln eingebracht werden. All dies ermöglicht die Untersuchung der Nährstoff- und Wasseraufnahme der Wurzeln in unterschiedlichen Bodentiefen sowie der Wirkung von Pflanzenwurzeln auf den Boden und seine biologische Aktivität.

Gießbert
Kunststoff, Elektronik
40 x 30 cm2
Leihgabe von: IBG-2, Forschungszentrum Jülich, Eigenentwicklung

Neben Licht benötigen Pflanzen auch Wasser. Der sogenannte Gießbert ermittelt den Messwert „Feuchtigkeit des Bodens“ und fügt Wasser nur dann hinzu, wenn der Boden Austrocknung aufweist. Diese präzise und lokale Messung des Bodens ermöglicht Erkenntnisse über die Wasseraufnahme von Pflanzenwurzeln und wie sich diese unter verschiedenen Umweltbedingungen ändert und anpasst. Da die Bewässerung voll automatisiert ist und an ein Sensornetzwerk angeschlossen werden kann, hilft der Gießbert nicht nur bei der Erhebung von wissenschaftlichen Daten, sondern ermöglicht auch eine autonome und sehr präzise Pflanzenversorgung.

Pflanzengestell
Holz, Metall
189 x 140 x 56 cm
Leihgabe von: IBG-2, Forschungszentrum Jülich, Eigenentwicklung

Für die Vermessung der Pflanzen, die sogenannte Phänotypisierung, müssen die Pflanzen angezogen und unter individuellen Bedingungen kultiviert werden. Vielfach wird über die Lichtquelle auf das Wachstum Einfluss genommen – über die Lichtfarbe oder -Intensität (rotes Abendlicht oder grelles Mittagslicht) oder über die Nähe zur Lichtquelle. Dies beeinflusst das Wachstum und die Vitalität der Pflanzen, auch indirekt über ihre Temperatur. In der Ausstellung werden aktuell beforschte Nutzpflanzenarten präsentiert, bei denen untersucht wird, wie sie sich mit ihren spezifischen Eigenschaften noch besser für den Klimawandel oder das zunehmende Bevölkerungswachstum eignen könnten. Erbse, Bohne und Winterweizen werden vor allem als Nahrungsmittel genutzt. Miscanthus spielt bei der Entwicklung von innovativen Produkten für die Baustoffindustrie oder als Plastikersatz eine wichtige Rolle. Moderne Weizensorten haben teilweise einen Verlust an ursprünglichen Eigenschaften, die heute wieder wichtig wären. Alte Sorten wie Emmer könnten helfen, wieder mit weniger Nährstoffen wie Nitrat optimale Erträge zu liefern und widerstandsfähiger zu werden.

Entwicklung vom Wilden Emmer zu modernen Weizensorten

Die Weizendomestikation fand vor ca. 12.000 Jahren im Fruchtbaren Halbmond im Norden der arabischen Halbinsel statt. Der wilde Emmer war die Urform, aus dem der erste domestizierte (= zur Kultursorte überführte) Weizen hervorging. Rund 2000 Jahre nach diesem Ereignis führten die Völkerwanderungen und die Ausbreitung der Landwirtschaft zu einer Ausbreitung des Emmer-Anbaus nach Europa. Im Laufe der Zeit entstanden aus dem Emmer die modernen Weizensorten wie der Hartweizen (eingesetzt für Teigwaren, Nudeln) und Weichweizen (eingesetzt z.B. für Brot). Moderner Weizen unterscheidet sich vom wilden Emmer zum Bespiel durch größere Samen oder aufrechteres Wachstum und kürzere Samenruhe. Der Prozess der Domestikation hat aber zu einem Verlust von genetischer Vielfalt geführt. Moderne Sorten bringen hohe Erträge, wenn ausreichend Dünger (insbesondere Nitrat) vorhanden ist. Problem: Nitrat ist im Bodenwasser löslich und das Nitrat, das nicht von den Pflanzen sofort aufgenommen wird, wird mit dem Regen ins Grundwasser ausgewaschen. Um die Belastung des Grundwassers zu reduzieren, müssen die Düngemengen reduziert werden. Hier kommen alte Sorten wie Emmer ins Spiel, die mit weniger Dünger gut zurechtkommen. Durch Einkreuzung von Emmer in moderne Sorten können neue Sorten gezüchtet werden, die mit weniger Nitrat optimale Erträge liefern und zudem widerstandsfähiger sind. Auch Eigenschaften der Wurzeln, die für die Düngeraufnahme zuständig sind, können mit einfließen. Dies ermöglichen moderne Verfahren (wie Rhizotrone), mit denen das Wurzelwachstum zerstörungsfrei beobachten und vermessen wird.