Abstract von Neil Datta

Während der Aufstieg des Ultrakonservatismus in Europa seit einigen Jahren zu beobachten ist, war bisher nicht klar, wie genau diese Akteure sich organisieren, Geldmittel beschaffen und versuchen, über nationale Grenzen oder Themenbereiche hinweg Einfluss zu nehmen. Das Europäische Parlamentarische Forum für sexuelle und reproduktive Rechte (EPF) hat drei Berichte erstellt, die versuchen, diese Lücke zu schließen, indem sie ein Bild der transnationalen Netzwerke und des geheimen Finanzierungssystems zeichnen, die die bewusste Strategie der Anti-Gender-Akteure unterstützen, die Menschenrechte in Europa zurückzudrängen. Im Jahr 2018 machte der EPF-Bericht Restoring the Natural Order die Welt mit der geheimen Arbeitsweise eines vom Vatikan inspirierten Netzwerks namens „Agenda Europe” bekannt, das eine Reihe radikaler politischer Initiativen zum Abbau der Menschenrechte in den Bereichen Sexualität und reproduktive Gesundheit koordiniert. Auf der Grundlage eines gemeinsamen Manifests haben die Mitglieder der Agenda Europe seit 2013 mehr als 15 politische Initiativen zum Abbau von Menschenrechten in den Bereichen Abtreibung, Verhütung, Scheidung, Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender, Queers, Questioning und Intersex (LGBTQI) sowie Gender gestartet. Im Jahr 2020 veröffentlichte die EPF einen zweiten Bericht mit dem Titel Modern Day Crusaders, der ein grenzüberschreitendes religiöses extremistisches Netzwerk mit Wurzeln im katholischen Faschismus namens Tradition, Family and Property (TFP) beleuchtete. Die aus Lateinamerika stammende TFP ist heute ein europäischer Akteur, wobei ihre polnischen Mitglieder das neue Gravitationszentrum dieser extremistischen Bewegung bilden und hinter einigen der sichtbarsten Anti-Gender-Initiativen in Polen stehen, darunter Versuche, Abtreibung zu verbieten, so genannte „LGBT-freie Zonen“, ein Versuch, aus der Istanbul-Konvention auszutreten, und die Kriminalisierung der Sexualerziehung. Die sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte waren schon immer umstritten. Eine bisher unbeantwortete Frage, die für das Verständnis der Entstehung jeder neuen sozialen Bewegung unerlässlich ist, lautet: Wie wird die Anti-Gender-Bewegung finanziert? Ein dritter Bericht mit dem Titel Tip of the Iceberg (Spitze des Eisbergs) untersucht die in Europa aktiven Finanzakteure der Anti-Gender-Bewegung sowie die wichtigsten Kanäle, über die die religiösen Extremisten Finanzmittel generieren und wie diese zirkulieren. Tip of the Iceberg identifiziert 707,2 Millionen US-Dollar an Anti-Gender-Finanzierung im Zeitraum 2009-2018, die von einer begrenzten Gruppe von 54 Organisationen stammen, nämlich Nichtregierungsorganisationen (NRO), Stiftungen, religiösen Organisationen und politischen Parteien. Diese Organisationen stammen hauptsächlich aus drei Ländern, nämlich den Vereinigten Staaten, der Russischen Föderation und Europa (ohne Russland). Es ergibt sich das Bild einer länderübergreifenden Gemeinschaft gleichgesinnter religiöser Extremisten und verwandter rechtsextremer Akteure, die über internationale Grenzen hinweg strategische Finanzierungsentscheidungen treffen. Diese ultrakonservative Bewegung zu kennen und zu verstehen, ist für alle, die ein modernes, integratives und tolerantes Europa bewahren wollen, unerlässlich. Diese Berichte sind als Hilfsmittel für Politiker, politische Parteien, die Zivilgesellschaft und Journalisten gedacht und sollen zu diesem Verständnis beitragen.