Alicja Kwade

GEGEBENENFALLS DIE WIRKLICHKEIT, 2017
Rauminstallation
Stein (Rosso Royal), Kupfer, Papier
107 x 68 x 61 cm
Courtesy the artist and König Galerie

Alicia Kwade präsentierte die für den Frankfurter Kunstverein neu produzierte Installation Gegebenenfalls die Wirklichkeit, die den Leitfaden der Ausstellung aufnimmt und aus konzeptuell-skulpturaler Perspektive beleuchtete. Das Werk kreiste um die Auseinandersetzung zeitgenössischer Kunst mit Material und dessen digitaler Transformation. Die Rauminstallation war von einer partiell geformten Granitskulptur bestimmt. Der natürliche Stein war mit 3D-Scannverfahren erfasst worden, die digitalen Daten der Oberflächenvermessung an eine Fräsmaschine übertragen und eine exakte Kopie des Originals erstellt worden. Während dieses Fräsprozesses hielt die Künstlerin den Bearbeitungsprozess an. Es entstand eine Skulptur, die in einem Zustand zwischen natürlicher und technologischer Form verharrte. Die Wände waren gänzlich bedeckt mit Ausdrucken der mathematischen Koordinaten, die im technologischen Scan-Prozess, bei der Oberflächenvermessung des originären Steines, entstanden waren: insgesamt 30.000 Seiten, zum Teil gestapelt am Boden und in kupfernen Time-Capsules versiegelt. Der Quelltext war die mathematisch exakte Beschreibung der originären Form, die Information über das Objekt, das zwischen Maschinen, ohne menschliches Zutun, transferiert wurde. Der Code beschrieb die Form, die somit potenziell unendlich reproduzierbar wurde.

Die Betrachtung der Skulptur lässt keine eindeutige Auslegung zu. Hat das Objekt noch seine partiell natürliche Form, oder handelt es sich um eine unfertige Bearbeitung und wenn ja, welcher Teil der Skulptur wurde bearbeitet? Das Objekt lässt den Betrachter im Zweifel, es löst einen Kurzschluss aus über das, was wir glauben, zu sehen. Kwade nimmt sich als Schöpferin aus dem Prozess der Ausführung der Form heraus. Die Natur gibt vor, die Maschine tastet ab, vermisst und formt nach. Betrachtung allein reicht für eine eindeutige Auslegung des Werkes nicht aus und lässt den Betrachter im Zweifel, ob es das Wirkliche ist, das synthetisch erscheint, oder das Synthetische, das real anmuten will.

Es stehen Bezüge zu klassischen Werken, wie etwa zu Michelangelos „Non-Finito“. Diese Form hat Rodin später als eigenen Stil etabliert, der das Unvollständige zur autonomen Form deklarierte und sich vom Naturalismus befreite. Kwade hingegen verschiebt den Fokus in ihrer Arbeit. Naturalismus, Autorenschaft und Rekonstruktion werden von der Künstlerin auf die technologische Maschine übertragen, die zum Akteur wird und die Form ausführt.
Das Unfertige, die unvollständige Form, die bei Michelangelo aus den äußeren Umständen des Materials und der Abmessung des Marmorblocks bestimmt wurde, wird bei Kwade zu einem technologischen Prozess. Auch Giuseppe Penones „Essere Fiume“ steht als Referenz im Raum. Hierbei handelt es sich um zwei identische Steine, einer geformt durch die Zeit und das Fließen des Wassers im Flussbett und der zweite, geformt durch den Künstler. Natur und Kunstfertigkeit (artifice), das Modell und die Kopie, Natur und Mensch als Schöpfer von Form mit der Materie.

Alicja Kwade (*1979) studierte Bildende Kunst an der Universität der Künste in Berlin (DE), wo sie heute lebt und arbeitet. Ihre Skulpturen und Installationen sind in zahlreichen öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten. 2017 hat sie an der Biennale Venedig (IT) teilgenommen, sowie an zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland.