Emanzipation denken – Einführung von Prof. Dr. Rainer Forst

Soziale Kämpfe für Emanzipation werden nicht zuletzt im Raum der Gründe ausgefochten. Denn erst wenn sich die Auffassungen über die „Natur“ von Menschen ändern, die bestimmte Gruppen zu einem Status zweiter oder dritter Klasse verdammen, können sich Gesellschaften verändern. Das Patriarchat beginnt zu wackeln, wenn die Rechtfertigungsnarrative bröckeln, die – ob religiös oder anders begründet – diese normative Beherrschungsordnung zugleich legitimieren und ideologisch verkleistern.

Der lange Zeitraum der Kämpfe um die Gleichstellung der Geschlechter hat zugleich gelehrt, dass solche Narrative bemerkenswert widerstandsfähig und wandelbar sind. Scheinbar verabschiedet, kehren sie als Idee „natürlicher“ Ordnungen zurück und versprechen Halt (vielleicht sogar „Zusammenhalt“) in einer Gesellschaft, die sich in den Augen vieler zu schnell und zu radikal ändert. Im Appell an traditionelle Werte verbirgt sich dabei nicht selten die Gewalt gegen die, die sich ihnen nicht fügen wollen.

In dieser Situation ist es an der Zeit, die Frage nach dem Stand der Emanzipation zu stellen und sich der politischen Lage, auch im Vergleich unterschiedlicher Länder, zu vergewissern. Die normativen Ordnungen, in denen wir leben, sind möglicherweise nicht ganz so weit in ihren Fortschritten, wie manche glauben; und dort, wo solche erzielt wurden, stehen sie auf dem Spiel. Wie man nicht nur in den USA unter Trump sehen konnte, enthalten rechtspopulistische Bewegungen komplexe Diskurse über Genderfragen, und nicht selten kommt das Reaktionäre als revolutionär, als angebliche Befreiung daher.

Viele Fragen sind daher auf dieser Konferenz zu diskutieren, und der Forschungsverbund Normative Ordnungen an der Goethe-Universität trägt gerne dazu bei. Dabei kommt es darauf an, die diskursiven Strategien und auch die institutionellen und informellen Verknüpfungen radikal-konservativer Akteure und Gruppen zu analysieren und dabei im Auge zu behalten, dass das Wort „Emanzipation“ selbst einige Fallstricke enthält. Denn es kann einmal bedeuten, gleichberechtigt an den bestehenden Institutionen nach etablierten Spielregeln beteiligt zu werden – und es kann, einem tiefergehenden politischen Verständnis nach, bedeuten, die Macht zu erhalten, diese Spielregeln zu ändern. Das erst ist wahrhaft transformatorische Gleichberechtigung – eine, die die Rechte, die zu erwerben sind, selbst noch einmal neu definiert. Wie Nancy Fraser etwa zeigt, hilft es mehrfach unterprivilegierten Frauen nur bedingt, wenn die Privilegien in den oberen Etagen der Gesellschaft zwischen Männern und Frauen etwas gleicher verteilt werden. Sie fordert einen Feminism for the 99% und weist darauf hin, dass Kämpfe um Emanzipation stets in einem größeren sozialen, auch transnationalen Zusammenhang betrachtet werden müssen.

Wir danken dem Frankfurter Kunstverein, besonders Franziska Nori und Asia Leofreddi, für die bewährte Zusammenarbeit an der Schnittstelle von Kunst und Politik, und wir danken ebenso den Dezernaten der Stadt Frankfurt, namentlich Ina Hartwig und Rosemarie Heilig, für die Unterstützung des Projekts. Nicht zuletzt sei von Seiten der Normativen Ordnungen dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst für die nachhaltige Unterstützung gedankt.