Jenny Sofie Kasper

50°06’20.4″N 8°45’52.2″E, 2023

Virtual Reality Installation

3D Scan Collage, Trnio+, Ue5.03
Länge variabel

Film, Ue5.03, 29 min

Keramiken, schrühgebrannt, in Tusche getunkt
Maße variabel

Courtesy die Künstlerin

(Bitte beachten Sie, dass die Virtual Reality Brille von Jenny-Sofie Kasper nur an folgenden Tagen ausprobiert werden kann: donnerstags, 16-21 Uhr & samstags, sonntags, 11-19 Uhr)

Jenny Kasper kartiert und dokumentiert die Stadt. Sie sammelt seit langer Zeit Impressionen und Beobachtungen von der Stadt, in der sie lebt, Offenbach am Main: ein gesprengter Geldautomat auf einem Platz, eine Unterführung mit defektem Neondeckenlicht, verlassene Straßenzüge und ihre Freund:innen.

In der Zeit pandemischer Paralyse hat die Künstlerin monatelang die Stadt durchlaufen, die wie eine Kulisse und als geschlossene Fassadenreihung die Zeit überdauerte und darauf zu warten schien, dass das öffentliche Leben wieder beginnt.

Mit dem 3D-Scanner hat Kasper die Oberflächen ganzer Straßenzüge digital erfasst. Für die Ausstellung im Frankfurter Kunstverein hat sie ihr Archiv verwendet und aus den vielen visuellen und akustischen Fundstücken eine fiktionale Welt geschaffen. Entstanden ist eine Collage, eine Verdichtung von Erlebnissen und sinnlichen Erinnerungen an die Zeit verordneter Isolation. Fassaden und Außenansichten haben keine festen Konturen mehr. Geometrien zerfließen in einem Akt digitaler, malerischer Verzerrung.

Mit der VR-Datenbrille kann die Stadt erkundet werden, in der sich User:innen wie in einer Filmszenerie bewegen können. Das räumliche Erlebnis wird verstärkt durch eine Klangkulisse von gesammelten Vor-Ort-Aufnahmen (Field Recordings) und einem Soundtrack, der eine unverkennbare Stimmung erzeugt. Geschaffen hat ihn der Frankfurter Klangkünstler Tim Kernwein, ein Freund der Künstlerin.

Der digitale Stadtparcours wächst mit der Zeit prozesshaft weiter. Er beginnt neben einer Sperrmüll Ansammlung, führt durch Straßenzüge und einem Platz bis hin zum Offenbacher Mainufer. Der Sperrmüll gewinnt für Jenny Kasper eine übergeordnete Bedeutung als Symbol für eine Stadt in der ständigen Transition. Und so fertigt sie eine modulare Skulptur aus gebranntem Ton an, den sie als analoges Element aus der digitalen in die reale Welt des Ausstellungsraumes überträgt.

Immer wieder öffnen sich die Fassaden, die Betrachter:innen können in ihr Inneres blicken und dort menschlichen Figuren begegnen. Wir treten ein in das Atelier von Barnabas Vollmer, Künstler aus Offenbach. Wir begegnen seiner digitalen Persona und seiner Kunst, seinen Skulpturen und Bildern, wir können uns in seinem Raum aufhalten und seiner Musik zuhören. Um dann erneut unseren Weg aufzunehmen. Wir laufen weiter, in einer menschenleeren Einkaufsstraße mit Spielothek, Beautysalon und dem Corona Testzentrum, das zum Merkmal einer Zeit geworden ist.

Der Weg führt auf eine Brücke über den Main. Dem Wasser zugewandt, allein, rezitiert Niklas Linnenbach, Poet aus Offenbach, ein Gedicht, das diesen Ort und diese Zeit mit Worten zeichnet. Jenny hat ihn digital gebannt und die Vergänglichkeit des Augenblicks für immer aufgezeichnet. Fast scheint es, dass wir uns im Abbild einer Erinnerung bewegen, in einer digitalen Realität, die das Gegenstück zum Werk geworden ist.

Auch „Cat Calls of Offenbach“, ein Künstlerinnenkollektiv, ist Teil von Jenny Kaspers Gegenwelt. Die drei Frauen sammeln Berichte sexueller Belästigungen ohne Körperkontakt im öffentlichen Raum und nutzen diese als ihr Material, das sie in den urbanen Raum, auch diesen digitalen, zurückbringen. Mona Nguyen & Minju Oh sind die Protagonistinnen einer Begegnung, bei der wir ihnen bei der Aufführung einer performativen Arbeit begegnen. Den Waggon am Kulturgleis, vom Verein Soziale Plastik betrieben und ein kultureller Treffpunkt Offenbachs, situiert Kasper ebenfalls in ihren Stadtparcours.

Der Ausgangspunkt der digitalen Stadt, der gefundene Sperrmüllhaufen, wird Element der analogen Welt im Hier und Jetzt. Mit Präzision und in Handarbeit hat die Künstlerin weitere Elemente einzeln nachgebildet, die sie zuerst digital und dann in Ton reproduziert. Die Skulptur arrangiert Jenny Kasper im Ausstellungsraum, indem sie diese mit projizierten Bildern in ein fast virtuelles Flirren versetzt, das an die Bilder ihrer virtuellen Welt anknüpft.

Jenny Sofie Kasper (*1995 in Waldkirch, DE) studiert seit 2018 an der Hochschule für Gestaltung Offenbach im Bereich Elektronische Medien und Keramik bei Prof. Alexander Oppermann und Merja Herzog-Hellstén. Zuvor absolvierte sie eine Ausbildung als Grafikdesignerin. 2020 erhielt sie das Stipendium der Hans Böckler Stiftung. Unter anderem hat Jenny Sofie Kasper in folgenden Institutionen ausgestellt: Kunsthalle Darmstadt (DE), Delphi Space, Freiburg (DE), B3 Biennale des bewegten Bildes, Frankfurt am Main (DE).