Mechanismen der Gewalt – Regina José Galindo
1. Obergeschoss

Tierra / Erde, 2013
Fotografie, Video, 35:56 min
Les Moulins, France

„Wie töteten sie die Menschen?“, fragte der Staatsanwalt.

„Zuerst befahlen sie dem Maschinenführer, Offizier García, ein Loch zu graben. Dann parkten sie die Lastwagen voller Menschen gegenüber von El Pino und einer nach dem anderen wurde herausgenommen. Sie erschossen sie nicht. Meistens stießen sie sie mit Bajonetten. Sie rissen ihnen mit den Bajonetten die Brust auf und brachten sie zum Graben. Wenn sich dieser füllte, ließen sie die mechanische Schaufel auf die Körper fallen.”

36 Jahre lang erlebte Guatemala einen seiner blutigsten Kriege. Es war ein Genozid, der mehr als 200,000 Tote hinterließ. Die Armee, die gegen den Aufstand kämpfte, erklärte die indigene Bevölkerung zu Feinden im Inneren und unterstellte ihnen, mit der Guerrilla zu sympathisieren, und verfolgte und ermordete sie während mehrerer brutaler Phasen des Krieges. Mit der Absicht in den Besitz der Ländereien zu kommen (unter dem gefälligen Blick der nationalen Oligarchie) und der Rechtfertigung, die Angehörigen der indigenen Bevölkerung seien Staatsfeinde, setzte der Staat die Taktik der ‚tierra arrasada’ (‚verbrannte Erde’) in die Tat um. Diese war eine weit verbreitete und charakteristische Praxis im bewaffneten Konflikt in Guatemala. Truppen der Armee und Patrouillen des Zivilschutzes drangen in indigene Gemeinschaften ein und zerstörten alles, was der Bevölkerung zum Überleben von Nutzen sein könnte: Essen, Kleidung, Ernten, Häuser, Tiere, usw. Sie setzen alles in Brand. Sie vergewaltigten, folterten, mordeten. Viele Körper wurden in Massengräbern verscharrt, die heute Teil der langen Liste an Beweisen sind, welche diese Geschehnisse bezeugen.

Diese Zeugenaussage erläutert eine der Vorgehensweisen wie die Armee Gruben anlegte, bevor sie Menschen ermordete und die Körper darin verscharrte. Die Aussage wurde 2013 in Guatemala Stadt während des Prozesses wegen Genozid gegen Ríos Montt und Mauricio Sánchez Rodríguez angehört.

 

¿Quién puede borrar las huellas? / Wer kann die Spuren löschen?, 2003
Video, 37:30 min
Ciudad de Guatemala, Guatemala

Ein Fußmarsch vom Verfassungsgericht bis zum Nationalpalast Guatemalas, eine Spur aus Abdrücken menschlichen Blutes hinterlassend; in Erinnerung an die Opfer des bewaffneten Konflikts in Guatemala und in Ablehnung der Präsidentschaftskandidatur des Ex-Militärs, Völkermörders und Putschisten Efraín Ríos Montt.

 

Paisaje / Landschaft, 2012
Fotografie, Video, 24:50 min
Biennal de Arte Paiz, Ciudad de Guatemala, Guatemala

Die Gefahr der Schönheit ist ihre Erscheinung. Und die Gefahr der Landschaft ist, dass sie die Realität verschluckt – sie verherrlicht das Elend.“ – Mario Monteforte Toledo

Rücklings sehen wir das Leben vorübergehen. Rücklings warten wir auf den Tod. Rücklings, neben einem Mann, der eine Grube gräbt, steht eine Frau. Sie sehen einander nie; er gräbt ein Loch, eine Leere; sie empfängt die Erde, welche von der Schaufel aufgeworfen wird, bis sie vergraben ist.

 

Caparazón / Panzer, 2010
Fotografie, Video, 5:37 min
MADRE. Museo D’Arte Contemporane Donna Regina, Napoli, Italia

Angst in ihrer akustischen Form, in jedem Knall, in jedem Schlag. Mein nackter Körper bleibt in Fötusposition unter einer gepanzerten Kuppel. Eine Gruppe von Menschen, mit Stöcken bewaffnet, schlägt wild auf die Kuppel ein bis ihre Waffen zerstört sind.

 

Perra / Hure, 2005
Fotografie, Video, 5:25 min
Prometeo Gallery, Milano, Italia

Mit dem Messer schreibe ich das Wort PERRA (HURE) auf mein rechtes Bein. Eine Anklage der an Frauen verübten Verbrechen in Guatemala, wo gefolterte Körper aufgetaucht sind, in die mit Messern Worte eingeritzt wurden.

 

No perdemos nada con nacer / Wir verlieren nichts dadurch, geboren zu werden, 2000
Fotografie, Video, 2:04 min
Segundo Festival del Centro Histórico, Guatemela

In einer Plastiktüte werde ich wie menschlicher Müll auf die Abfalldeponie von Guatemala Stadt geworfen.

 

Piel / Haut, 2001
Fotografie, Video, 14:46 min
49. Bienale di Venezia, Venezia, Italia

Ich rasiere mir absolut alle Haare von meinem Körper; so laufe ich durch die Straßen von Venedig.

 

Hilo de tiempo / Zeitfaden, 2012
Video, 18:30 min
San Cristóbal de las Casas, Chiapas, México

Man muss in der Zeit zurückgehen, um den Grund von so viel Tod zu finden und somit auch das Leben. Mein Körper bleibt verborgen in einem für Leichen gewebten Sack. Das Publikum kann den Sack allmählich auftrennen bis der Körper zum Vorschein kommt.

 

Falso león / Falscher Löwe, 2011
Guatemaltekisches Gold

2005 gewann ich den Goldenen Löwen als beste Künstlerin unter 35 Jahren auf der 51. Venedig Biennale. 2007 verkaufte ich den Goldenen Löwen an den spanischen Künstler Santiago Sierra, der ihn wiederum an einen Sammler verkaufte. 2011 habe ich eine Kopie des Goldenen Löwen bei befreundeten Bildhauern, Angel und Fernando Poyón aus Guatemala, in Auftrag gegeben. Sie lieferten mir eine exakte Kopie, gegossen aus Bronze und überzogen mit guatemaltekischem Gold.