Abgüsse menschlicher Opfer des Vulkanausbruchs 79 n. Chr. in Pompeji aus der Sammlung des Archäologischen Parks von Pompeji

Adulto (Uomo) c.d. seduto (Erwachsener Mann sitzend), 2000
Harz
60 x 50 x 90 cm

Adulto, maschio (Erwachsener Mann), 2000
Harz
140 x 80 x 35 cm

Courtesy Italienisches Kulturministerium/Archäologischer Park von Pompeji

Für die Ausstellung Das Anwesende des Abwesenden hat der Archäologische Park von Pompeji zwei der berührendsten Abgüsse menschlicher Opfer des Ausbruchs des Vesuvs aus seiner Sammlung zur Verfügung gestellt.

79 n. Chr. brach im Golf von Neapel der Vesuv aus. Asche, Bimsstein und Lapilli (Lavasteinchen) regneten tagelang in der Stadt Pompeji auf Häuser, Menschen und andere Lebewesen. Die Erde hatte bereits 17 Jahre zuvor gebebt und die Region erschüttert, ein Omen für die bevorstehende Katastrophe. Adlige Familien verkauften ihre prachtvollen, aber beschädigten Häuser an neureiche Händlerfamilien und zogen weg. Niemand ahnte die nahende tödliche Gefahr. Die Wucht des Vulkanausbruchs aber verschonte niemanden, weder Reiche noch Sklaven. Die unerwartete Katastrophe löschte das Leben vor Ort mit einer vergleichbar zerstörerischen Gewalt aus wie der Vulkanausbruch in Laetoli im heutigen Tansania vor 3,5 Millionen Jahren oder das Erdbeben auf Sizilien im Jahr 1968. Eine Stunde Null.

Was zuvor eine vor Leben pulsierende Handelsstadt der römischen Antike gewesen war, erstarrte. Eine zehn Meter hohe Schicht aus Asche und Vulkangestein bedeckte die Stadt wie mit einem Leichentuch. Die Natur holte sich die Landschaft zurück. Mit der Zeit wurde eine graue Wüste zu fruchtbarem Land und Weiden. Aus den Briefen Plinius des Jüngeren, einem Zeitzeugen, wusste man von den Ereignissen. Doch für über ein Jahrtausend geriet Pompeji in Vergessenheit. Erst im 18. Jahrhundert, einer Zeit erwachenden archäologischen Interesses, wurde Pompeji wiederentdeckt.

Bei Ausgrabungen im Jahr 1863 fand Giuseppe Fiorelli, Leiter der Stadtverwaltung von Pompeji, unerklärliche Hohlräume im Sediment. Sie enthielten menschliche Knochen. Die Intuition des Archäologen ließ ihn ein Verfahren ausprobieren, das aus der Plastik und der Metallgießerei bekannt war. Er füllte dünnflüssige Gipslösung in die unterirdischen Hohlräume. Diese nahm die Form menschlicher Körper an. Fiorelli fertigte so 100 Abgüsse von insgesamt 650 Hohlkörpern an – die Spuren antiker Opfer der Katastrophe, deren Körper in der Hitze nahezu restlos verdampft waren. Die Formen wurden freigelegt und sind heute in der Sammlung des Archäologischen Parks von Pompeji zu sehen.

 

„Es ist unmöglich, diese drei verformten Gestalten zu sehen und nicht innerlich berührt zu sein … Sie sind seit achtzehn Jahrhunderten tot, aber es sind menschliche Geschöpfe, die man in ihrem Todeskampf sehen kann. Da ist es keine Kunst, es ist keine Nachahmung; aber es sind ihre Knochen, die Überreste ihres Fleisches und ihrer mit Gips vermischten Kleidung: Es ist der Schmerz des Todes, der Körper und Form wiedererlangt … Bisher wurden Tempel, Häuser und andere Objekte entdeckt, die die Neugier von gebildeten Menschen, Künstlern und Archäologen wecken; Aber jetzt hast du, mein Fiorelli, den menschlichen Schmerz entdeckt, und jeder, der ein Mensch ist, spürt ihn.“

Aus: Luigi Settembrini, Lettera ai pompeiani (Brief an die Pompejaner), 1863

„Der Sinn, diese Welt zu rekonstruieren, ist, unsere eigene Welt ein Stück zu erweitern und vielleicht auch zu relativieren; eine andere Welt ist möglich – Veränderung ist möglich. Die Dinge haben sich gewandelt, manchmal radikal, und werden es auch in Zukunft tun. […] Das, was war und sein wird, hat niemand im Griff, doch die Mischung aus Erinnern und Vergessen, mit der wir auf unsere Geschichte blicken, liegt in unserer Hand.“

Gabriel Zuchtriegel, Vom Zauber des Untergangs. Was Pompeji über uns erzählt, 2023