Antoni Hervàs

Under the firelight, the ash shines like glitter, 2021-2022

Karton, Zeitung, Pappmaché, Kleister, Fotokopien, Risographien, Acryl, Spray, Gitter, Schwarzlicht
Variable Größe
Courtesy der Künstler

Eine Geschichte, die aus der Asche gerettet wurde

Antoni Hervàs beschrieb seine anspruchsvolle Ausstellung El misterio de Caviria (Das Geheimnis von Caviria) in La Capella, Barcelona, 2016, als „eine Untersuchung der transformativen Kraft der Zeichnung, die in der Lage ist, sich selbst zu aktivieren, sich selbst zu zerstören, sich selbst zu verändern und dem, was sie umgibt, Leben einzuhauchen. Ein visuelles Spektakel, bei dem der Mythos des Kabaretts von Barcelona und die klassische griechische Mythologie aufeinandertreffen. Eine Anrufung der Götter des Untergrunds in der Tradition des griechischen Kabiren Kultes der Antike, in dem Feuer, Blut und die Verhöhnung des Männlichen die wesentlichen Elemente für die Erlösung von Schuld und Verbrechen sind“.

Ausgehend von Zeichnungen erweitert der Künstler seine Arbeit in die Dreidimensionalität Pappmaché-Szenografien und Karton-Transformationen. Diese schließen an die subversive Kraft und respektlose Subkultur des Varieté Spektakels an, das um die Jahrhundertwende in Theatern und Volksbühnen Barcelonas rund um die Avenida de el Paralelo und im so genannten Barrio Chino, dem Stadtteil hinter den Ramblas, aufgeführt wurde.

„Man erzählt sich, dass auf der Plaça Raquel Meller, die nach der berühmten Couplet-Sängerin benannt ist, bunte Menschenmengen ineinander übergingen, die aus fünf Theatern und Clubs strömten, dem Arnau, dem Bagdad, dem Barcelona de Noche, dem Bartz und den Apolo bodegas“, so Hervàs.

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war der Paralelo Boulevard Schauplatz neuer politischer Bewegungen: dem Republikanismus, dem Sozialismus und dem Anarchismus; er war auch zu einem neuen Freizeitzentrum für die Arbeiterklasse geworden, das auch von der katalanischen Bourgeoisie besucht wurde, und so manifestierte sich ein tiefgreifender Wandel in der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Sexualität, der die traditionellen Moralvorstellungen herausforderte.

Der Künstler beschreibt:

„Von Leopoldo Frégoli, der sich Ende des 19. Jahrhunderts in der Stadt niederließ und die erste Travestieshow aufführte, bis zu den Stars, die ihm folgten und Nacht für Nacht ein begeistertes Publikum aufheizten, strahlten diese zweideutigen Figuren flüchtig in diesen Räumen des Widerstands, bis sie mit dem Ausbruch des Bürgerkriegs verblassten. Danach wurden diese Volksmythen von Leidenschaft und ungezügelter Liebe weitererzählt und umgedeutet. Damit war es Künstler:innen möglich zum Couplet zurückzukehren und so das Verbotene zum Ausdruck zu bringen, das die Zensur des autoritären, diktatorischen Systems unterdrücken wollte.

Indem sie die Geschichten, aus denen sich die mythische Folklore entwickelte, neu definierten und sich die Erzählungen von Leidenschaft und ungezügelter Liebe aneigneten, um ihnen eine neue Lesart zu geben, die das Verbotene zum Ausdruck brachte, umgingen die Künstler:innen die Zensur und kehrten zur Copla zurück, obwohl das gleiche autoritäre System, die Diktatur, sie förderte.

Unter den zahlreichen Größen der Travestieszene hob sich Madame Arthur ab, die im Varietélokal Barcelona de Noche sogar Federico Fellini faszinierte – in seinen späteren Film Die Nächte der Cabiria (1957) zollte er ihr Tribut. Sie trat auf mit einer Show, in der sie alle Hüllen ablegte und im Wandel von der Femme fatale ihre Wimpern und Federboas wegriss und ihr nacktes Gesicht zeigte und so „ihr Geheimnis“ offenbarte. Dies inszenierte sie in schwülstigen Kulissen, die mit tropischen Motiven geschmückt waren, die an exotische Orte erinnerten, und die mit improvisierten Materialien gebaut waren, aber im Scheinwerferlicht wie Pailletten glitzerten.

Das Arnau wurde das berühmteste Theater für solch fantastische Kulissenwelten. Auch wenn dieses Gebäude nach dem Fall des letzten Vorhangs im Jahr 2004 baufällig wurde, bleibt es in der kollektiven Erinnerung Bühne und Zeuge von den Liebesaffären, den Feiern, Streitereien und alltäglichen Geschichten aller Menschen, die im ständigen Fluss des Lebens zu Protagonist:innen des Dramas und der Intensität jener leidenschaftlichen Lieder werden, die das Theater lebendig gemacht haben“.

Mit seiner Arbeit Under the firelight, the ash shines like glitter nimmt Hervàs einerseits den fächerförmigen Giebel des Theaters Arnau als Ausgangspunkt für etwas, das der Künstler wie folgt ausdrückt: „Die Schaffung einer mutierten Skulptur aus Materialien, die alles Erhabene ablehnen und erkennbare Narben und Gegensätze feiern. Die Formen des Fächers, des Sterns, des Rocks und der Beine fließen ineinander über. Die Installation bestimmt den Raum durch einen lauten Auftritt und den Habitus eines Stars. Treten Sie näher und schauen Sie selbst! Keiner weiß genau was geschehen kann denn dies ist das Kabarett“.

*Dieses Werk greift seine frühere Arbeit Apuntes para un incendio de los ojos (Anmerkungen für einen Brand der Augen) wieder auf, eine Pappmaché-Struktur in Form eines Portals, die sich ebenfalls auf das Teatre Arnau für die Ausstellung Panorama 21 im Museu d’Art Contemporani de Barcelona bezieht und jetzt in neuer Gestalt eine neue Bedeutung erhält.

 

Antoni Hervàs (*1981, Barcelona, ES) studierte Bildende Kunst an der Universitat de Barcelona (ES) und Gravur und Druck an der Llotja Escola d’Art i Disseny, Barcelona (ES). Seine Arbeiten wurden in Einzelausstellungen an folgenden Orten präsentiert: The Green Parrot, Barcelona (ES), The RYDER Projects, Madrid (ES), OKELA, Bilbao (ES), 1646, Den Haag (NL), La Capella, Barcelona (ES). Er hat an mehreren Gruppenausstellungen unter anderem im CCCB, Barcelona (ES), MACBA, Barcelona (ES), Centro Botín, Santander (ES), La Casa Encendida, Madrid (ES) teilgenommen. Er hat auch Ausstellungen wie La pintura del futur im MAC Mataró Art Contemporani, Mataró (ES) und GIMMICK I & II im Sant Andreu Contemporani, Barcelona (ES) sowie performative Veranstaltungen wie Mercuri Splash, zusammen mit David Bestué, für die Fundació Miró, Barcelona (ES) kuratiert. Hervàs war Stipendiat bei Gasworks, London (UK) und dem 18th Street Arts Center, Los Angeles (US). 2016 gewann er den Premi Ciutat de Barcelona d’Arts Visuals.