BEFNOED, 2013 (fortlaufend)

Videoinstallation
Fünf Videos, Monitore, maßgefertigte Wandhalterungen, Kabel
Größe und länge variabel
Courtesy die Künstler:innen und Apalazzo Gallery

BEFNOED ist der Titel einer Serie von Videos, die Eva & Franco Mattes seit 2013 immer wieder produzieren. Veröffentlicht werden diese Kurzfilme online, in obskuren, peripheren oder vergessenen sozialen Netzwerken auf der ganzen Welt, in Kambodscha, Russland, China oder Pakistan, kommentarlos und ohne Verweis auf ein Kunstprojekt, wo die Arbeiten fast zufällig gefunden werden sollen.

Die Videos zeigen Menschen, die scheinbar sinnbefreite Handlungen ausführen, die sie als textliche Anweisung vom Künstler:innenduo erhalten haben. Eva & Franco Mattes haben diese Personen anonym auf online Marktplätzen für digitale Dienstleistungen, sogenannten Crowdsourcing-Plattformen, beauftragt. Die Menschen filmen sich, ohne zu wissen, von wem dieser Auftrag kommt, für welches Publikum die Filme bestimmt sind oder welche Ziele damit verfolgt werden sollen. Unterschiedliche Arbeiter:innen interpretieren dieselbe Performance mit leichten Abweichungen: Ein militärischer Gruß mit einem Eimer auf dem Kopf, auf einer Leiter stehend, eine Autofelge leckend, zwei Personen, die ihre Köpfe durch eine Röhre verbinden.

Für die Ausstellung werden diese Filme räumlich so inszeniert, dass die Betrachter:innen ebenfalls eine körperliche Performance durchführen müssen, die der normalen Verhaltensweise in musealen Räumen wiederspricht, wenn sie die Arbeiten sehen wollen.

Die Besucher:innen müssen unter einem Monitorzelt auf dem Boden liegen, oder sich gegenseitig in die Höhe heben, um auf einen der Monitore zu schauen, der über ihren Köpfen zur Decke zeigt. Wollen sie die Bilder sehen, sind sie gezwungen sich zwischen Monitor und Wand zu zwängen. Es entsteht eine körperliche Interaktion mit dem Kunstwerk, das eine Korrelation zwischen den unbewussten Performer:innen im Netz und den unbewussten Performer:innen im Raum erkennbar werden lässt. So wie die digitalen Dienstleister:innen sich einer Aufforderung der Künstler:innen beugen, so müssen auch die Besucher:innen ihr Verhalten auf das Kunstwerk anpassen. Beide Handlungen, die digitale und die analoge, feiern die Absurdität, die an mancher Stelle an die Living Sculptures eines Erwin Wurms denken lassen können. „Wir werden zu dem, was wir sehen. Wir formen unsere Werkzeuge, und dann formen die Werkzeuge uns.“ (Marshall McLuhan). Die Wiederholung fremdbestimmter Aktionen online ist eine überaus gängige und erfolgreiche Praxis, auf der die Plattform TikTok zum Beispiel ein gesamtes Geschäftsmodell aufgebaut hat.

Wie bei zahlreichen anderen Werken des Künstler:innenduos arbeitet auch BEFNOED mit dem Mittel der Ironie, bei dem das Benutzer:innenverhalten vor und hinter dem Screen humorvoll karikiert wird.

Eva & Franco Mattes adressieren die Mechanismen von Arbeit in der digitalen Welt, die die Arbeitskraft als Ware auf einem internationalen digitalen Arbeitsmarkt handeln.

Der Titel BEFNOED ist ein Akronym für „By everyone, for no one, every day“. Somit steht die Frage nach den Gigworkers, den Menschen in der Crowdsourcing Ökonomie, nach deren Arbeit, Autorenschaft und Individualität, im Zentrum. Auf der anderen Seite des Monitors erfüllt eine unbekannte Person unsere Wünsche, seien es Klicks, Likes, Online-Shopping. Eine für uns unbedeutende Handlung hat direkte Auswirkungen auf die Arbeit eines Menschen auf der anderen Seite der Welt.

Crowdsourcing-Plattformen funktionieren als anonyme Markplätze für Arbeitnehmer:innen und -geber:innen, die auf der Suche nach kurzfristigen Beschäftigungen für HITs (Human Intelligence Tasks) sind. Dies betrifft alle Dienstleistungen, die online ausgelagert werden können und unter dem Begriff „Human as a service“ zusammengefasst werden.

Zwischen Arbeitnehmer:innen und -geber:innen sind oft zum Zweck der Anonymisierung der Auftraggeberschaft sogenannte contractors zwischengeschaltet. Vorteil dieses Arbeitsmodells ist eine schnelle, einfache Möglichkeit flexibel Geld zu verdienen. Nachteil ist das Risiko, dass Arbeitnehmerrechte und Lohnnebenkosten umgangen werden. Wie ein:e Facebook-Content-Moderator:in in Eva & Franco Mattes‘ Arbeit The Bots treffend beschreibt, entsteht „ein digitales Proletariat und eine digitale Fabrik, die keine konkreten Produkte produziert und nur vom Gewinn getrieben wird“.

Die erste Crowdsourcing-Plattform für Mikroarbeit (Gigs), Mechanical Turk, wurde 2005 von Amazon gegründet. Dies markierte den Beginn eines zunehmend deregulierten Arbeitsmarktes oder Arbeitskräftepools. Mechanical Turk ist das bekannteste und größte Beispiel einer Plattform, auf der für wenig Geld Micro-Tasks beauftragt werden, die (noch) nicht mittels Rechenleistung ausgeführt werden können. Es besteht das Gefühl, dass dies eine vorübergehende Phase ist, in der Menschen noch immer solche Arbeit verrichten, bis sie von Algorithmen übernommen wird. Ein wichtiger Aspekt ist, dass es nach wie vor viel lukrativer ist, niedrig bezahlte menschliche Arbeit auszubeuten, anstatt Ingenieur:innen für die Entwicklung von Software zu entlohnen. Schätzungen zufolge liegt der Durchschnittslohn von turks bei etwa 2 Dollar pro Stunde. Die angebotene Micro-Arbeit wird oft mit Guthaben auf Amazon Accounts entlohnt – und stellt somit einen Doppelgewinn für die Plattform dar. Dem Mechanical Turk folgten zahlreiche weitere Crowdsourcing Plattformen wie Clickworker oder Appjobber.

Der ursprüngliche Mechanical Turk von 1770 (dt: Mechanischer Türke) war eine scheinbar bahnbrechende Erfindung: eine Schachspielmaschine, die von Kaiserin Maria Theresia von Österreich in den frühen Tagen der Industriellen Revolution in Auftrag gegeben wurde. Äußerlich ähnelte er den anderen Automaten dieser Zeit. Die Maschine konnte die Bewegungen einer schachspielenden Person nachahmen, in deren Inneren sich jedoch ein Mensch versteckte. Der Trick ließ fast ein Jahrhundert lang Beobachter:innen glauben, dass eine Maschine Schach spielen konnte. Der Name der Plattform Mechanical Turk soll also etwas suggerieren, das sich wie eine Maschine anfühlt, hinter dem aber Menschen stehen. Menschen arbeiten, um die Lücken von Algorithmen zu füllen und gleichzeitig diese zu trainieren, um in Zukunft eine bessere Arbeit zu leisten. Die menschliche Arbeit, die Algorithmen dient, wird immer weniger als eigentliche Arbeit erachtet und findet nicht sichtbar im Hintergrund statt. BEFNOED gibt diesen normalerweise unsichtbaren Arbeitnehmer:innen Sichtbarkeit und ermöglicht ihnen eigenständige, an einigen Stellen auch humorvolle und sogar poetische Aktionen.