Fake Views – Eva & Franco Mattes
14.07.2023 — 10.09.2023
Special Guests: Nora Al-Badri, Simon Denny, Do Not Research, Olia Lialina, Jill Magid und Jon Rafman
Eröffnung am Donnerstag, den 13. Juli 2023, um 19 Uhr
Der Frankfurter Kunstverein freut sich, die bisher größte Soloausstellung der Medienkünstler:innen Eva & Franco Mattes, mit dem Titel Fake Views, zu präsentieren. Unter dem Pseudonym 0100101110101101.org wurden sie international zu Pionier:innen der Netzkunstbewegung. Sie beschäftigen sich seit den 90er-Jahren mit den Phänomenen, die durch das Internet entstanden sind. Das Künstler:innenduo ist bekannt für die ironische Aneignung von Internetstrukturen, sowie eine kritische Auseinandersetzung mit den sozialen und politischen Auswirkungen der Netzkultur auf unsere Gesellschaft.
Die Ausstellung Fake Views
Fake Views thematisiert durch den Titel mehrere Aspekte. Zum einen spielt dieser auf das Phänomen der Fake News an, manipulierte Nachrichten, die sich in sozialen Netzwerken schwer kontrollieren lassen und oft kommerzielle oder ideologische Interessen verfolgen. Zum anderen steht der Titel Fake Views für eine digitale Praxis, nämlich manipulierte Klickzahlen für Videos und Bilder, die bei unseriösen Anbieter:innen gekauft werden, um die Aufrufe zu erhöhen und den Eindruck einer öffentlichen Unterstützung zu erwecken. Diese künstlich generierten Views unterstützen Influencer:innen, Unternehmen, Verschwörungstheoretiker:innen und Politiker:innen dabei, eine größere Reichweite und Aufmerksamkeit zu erlangen.
Der Einsatz gefälschter Social-Media-Konten und Kommunikations-Bots sowie die Täuschung durch manipulierte Bilder, erfundene Quellen und Clickbait-Journalismus sind weit verbreitete Methoden organisierter Propaganda und Desinformationspolitik. Sie werden professionell konzipiert und bedienen existierende Vorurteile, sogenannte kognitive Biases. Durch konstruierte Narrative lenken und verzerren sie öffentliche Meinung.
Eva & Franco Mattes‘ Werke nutzen Mittel und Strategien einer umkämpften Aufmerksamkeitsökonomie, welche die globale Öffentlichkeit bestimmen. Das Künstler:innenduo konzentriert sich darauf, manipulierte und manipulative Daten sowie die oft unsichtbaren digitalen Prozesse offenzulegen und sichtbar zu machen. Ihre Themen umfassen verschiedene Bereiche wie den Ressourcenverbrauch zur Verarbeitung von Daten, die unregulierten Arbeitsbedingungen im Internet sowie die Konstruktion absurder Identitäten in den sozialen Medien.
Ihr konzeptueller Ansatz wirkt wie ein Kontrastmittel für Netzkulturen. Es ermöglicht ihnen, das Internet und seine unsichtbare Infrastruktur – sowohl technische als auch menschliche – von innen heraus zu beleuchten.
Der Ausstellungsparcours
Die Ausstellung funktioniert wie ein zusammenhängender Organismus, in dem miteinander verbundene Teile ein ganzes Netzwerk bilden und jedes Werk einen wesentlichen Aspekt der globalen Online-Kultur untersucht.
Der Parcours beginnt mit der spektakulären Skulptur Personal Photographs. Metallene Kabeltrassen und -stränge bilden eine dreidimensionale Struktur, die die ambivalente Beziehung zwischen privaten und öffentlichen Daten visualisiert. Hier werden Hardware und funktionale Infrastruktur in einem künstlerischen Akt offensiv nach außen gekehrt. Sie dienen sowohl als gestalterisches Element als auch als Kunstwerk.
Es folgen Eva & Franco Mattes‘ Arbeiten BEFNOED und The Bots. Beide Videoinstallationen thematisieren die ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse von Online-Arbeitnehmer:innen, dem sogenannten „Cybertariat“ (Cyber-Proletariat). Immer mehr Menschen, die zu schlechten Bedingungen für digitale Plattformen arbeiten, sind unverzichtbarer Teil der in den letzten Jahren entstandenen Gig Economy. Die Arbeit BEFNOED gibt den ansonsten anonymen Arbeitnehmer:innen Sichtbarkeit. Von den Künstler:innen als Dienstleister:innen beauftragt, performen sie sinnfreie, humorvolle und sogar poetische Aktionen vor der Kamera.
In der sechsteiligen Arbeit The Bots werden Zeug:innenaussagen von Content-Moderator:innen als getarnte Make-Up-Tutorials präsentiert. Diese Moderator:innen sind für die manuelle Löschung von Fluten an gewaltverherrlichenden, pornografischen und kontroversen Bildern aus den sozialen Medien zuständig und dieser Belastung somit ungeschützt ausgesetzt. Die Aussagen stammen aus investigativen Recherchen, bei denen Zeug:innen zu ihrer Tätigkeit in der Facebook-Moderationszentrale in Berlin befragt wurden. Um die Anonymität der Zeug:innen zu gewährleisten, wurden die Aussagen von Schauspieler:innen interpretiert.
Während der Recherche für The Bots erhielten Eva & Franco Mattes Zugang zu vertraulichen Richtlinienkatalogen, die als Bewertungsmaßstab für Content-Moderator:innen dienen. Diese bislang der Öffentlichkeit verborgenen Regeln wurden von den Künstler:innen in den Wandarbeiten Abuse Standards Violations sichtbar gemacht.
Als Weltpremiere präsentieren Eva & Franco Mattes ihr neues Video Up Next, das sich mit dem Schicksal der Iranischen Teenagerin beschäftigt, die als Sahar Tabar auf Instagram berühmt wurde. Die Arbeit – eine tonlose Videomontage aus Bildern und Presseclips – zeigt auf erschütternde Weise, wie sich das Spiel mit der eigenen Identität im Netz verselbstständigen und zu einem hoch manipulativen medialen Spektakel eskalieren kann.
Am Ende des Ausstellungsparcours befindet sich die neue Arbeit P2P. Zu sehen ist ein Server in einem Gitterkäfig. Auf diesem leistungsstarken Server befinden sich die Werke von Nora Al-Badri, Simon Denny, Do Not Research, Olia Lialina, Jill Magid und Jon Rafman. Die Künstler:innen und Kollektive sind Teil von Eva & Franco Mattes‘ Netzwerk. Sie wurden explizit eingeladen, um für die Ausstellung im Frankfurter Kunstverein neue Werke zu schaffen. Entstanden ist eine Ausstellung in der Ausstellung, die ausschließlich innerhalb des von den Künstler:innen betriebenen Peer-to-Peer Servers stattfindet. Dieser nutzt die Konnektivität und Infrastruktur des Museums, um die Kunstwerke zu teilen. Die Ausstellung feiert die Peer-Gemeinschaften, die von Eva & Franco Mattes geschaffen wurden.
Die Ausstellung Fake Views wird von Franziska Nori kuratiert und ist Teil einer Serie von Ausstellungen des Frankfurter Kunstvereins, die sich kritisch mit Themen der digitalen Gesellschaft und Demokratie auseinandersetzen. Frankfurt beheimatet den weltweit größten Internetknotenpunkt DE-CIX, wodurch sich zunehmend internationale Datenzentren in der Stadt ansiedeln. Die in diesen Zentren zirkulierenden Nutzer:innendaten werden von privaten Firmen verwaltet und in unzugänglichen Hochsicherheitsgebäuden, fern öffentlichen Zugangs, betrieben. Daten sind mittlerweile der wertvollste Rohstoff unserer Zeit. In Bezug auf Datensouveränität hat Frankfurt die Chance, politisch eine Vorreiterrolle einzunehmen. Eine demokratische Selbstbestimmung über die Erhebung, Speicherung, Nutzung und Verarbeitung von Daten, die von Bürger:innen generiert werden, könnte gefordert werden, wie es bereits am Beispiel von Barcelona abzulesen ist.
Das Internet ist kein abstrakter Raum, sondern existiert ganz real als Software, die von Menschen geschrieben wurde, und als Hardware, die unsere Städte verändert. Eva & Franco Mattes nutzen diese Materialität für ihre Kunstwerke und beleuchten daraus resultierende abstrakte ökonomische, soziale und politische Phänomene.