Claudio Parmiggiani
Ohne Titel, 2024
Rauch und Ruß auf Tafel
4 Stück, jeweils 115 x 205 cm
Ohne Titel, 2024
Rauch und Ruß auf Tafel
6 Stück, jeweils 200 x 150 cm
Ohne Titel, 2024
Rauch und Ruß auf Tafel
40 x 40 cm
Ohne Titel, 2024
Rauch und Ruß auf Tafel
40 x 40 cm
Courtesy Studio Claudio Parmiggiani
Ohne Titel, 2023
Rauch und Ruß auf Tafel
100 x 150 cm
Ohne Titel, 2023
Rauch und Ruß auf Tafel
100 x 150 cm
Leihgaben: Private Sammlung, Paris
Courtesy Tornabuoni Art
Ein zentraler Ausstellungsraum ist dem Werk des italienischen Künstlers Claudio Parmiggiani gewidmet. Seine Rußbilder von nicht mehr vorhandenen Gegenständen und Figuren heben das Abwesende durch Konturen hervor und sind bildhafte Metaphern der Vergänglichkeit und der Kraft der Erinnerung.
In den 1970er Jahren begann Parmiggiani die Serie Delocazioni (Versetzungen): Werke, die das Konzept von Abwesenheit und Negativform durch den Einsatz von Feuer und Rauch erkunden. Der Künstler malt seine Werke nicht. Seine Bilder zeigen weiße Schatten von Gegenständen wie Flaschen, Bücher, und menschlichen Figuren, deren Umrisse durch Rauchablagerungen in einer Feuerkammer entstehen. Der Ruß legt sich über die Fläche der Wandtafel. Wo einst ein Gegenstand war, bleibt die Fläche weiß. Parmiggianis einmalige Technik erinnert an das fotografische Verfahren des Fotogramms, bei dem Objekte auf lichtempfindlichem Papier platziert und belichtet werden, sodass deren Umrisse als Negativabdruck erscheinen.
Claudio Parmiggiani gehört zur Generation der Menschen und Künstler:innen, die während des Zweiten Weltkriegs geboren wurden und die mit den Erfahrungen und Bildern dieses alles vernichtenden Kapitels der Menschheitsgeschichte konfrontiert wurden. In Parmiggianis Jugend brannte das Haus nieder, in dem er aufwuchs. Diese persönlichen und gesellschaftlichen Erschütterungen haben sich zweifelsohne in die Seele eingebrannt und sind vielleicht als eine übergeordnete Suche in das Werk eingegangen, das von Werden und Vergehen, von Erschaffen und Zerstörung geprägt ist.
Doch Parmiggianis Kunst ist zeitlos. Sein Bestreben kreist um die Fähigkeit von Kunst, dem Leben als Erfahrung zeitlichen Seins – in all seiner Schönheit, Schrecklichkeit, Flüchtigkeit und als Mysterium – eine Form zu geben. Parmiggiani ist tief verwurzelt in der Geschichte abendländischer Malerei, deren Bildsprachen er beherrscht. Für ihn besteht das Wesen eines Bildes und der Malerei nicht darin, das Unsichtbare sichtbar zu machen (wie für Paul Klee oder Wassily Kandinsky, siehe: Massimo Recalcati, La spiritualità nell’arte contemporanea: Claudio Parmiggiani, 2019). Sein Ringen kreist um die Unmöglichkeit, das Unsichtbare in ein Bild zu übersetzen und so ein Bild zu schaffen, das über seine sichtbaren Umrisse und Formen hinausweist.
Für Parmiggiani wird die Kunst eine Form spiritueller Suche. Das Motiv des Schattens spielt eine zentrale Rolle. In der gesamten Geschichte westlicher und östlicher Kunst dient dieser als metaphorisches Bild und Symbol. Der Mythos vom Ursprung der Kunst geht auf die Idee des Schattens zurück, den Plinius der Ältere beschrieb, bevor er den Tod unter dem Ascheregen von Pompeji fand. In seiner „Naturgeschichte“ beschreibt er den Mythos des Butades aus Sykion, des korinthischen Töpfers und seiner Tochter. Das junge Mädchen war unsterblich in einen jungen Mann verliebt, der sich auf eine lange gefährliche Reise begeben sollte. Um etwas von ihm als Andenken zu behalten, zeichnete sie das Profil seines Gesichtes nach, das der Schein der Lampe auf eine Wand warf. Als ihr Vater dies sah, füllte er den Umriss aus, indem er Ton auf die Oberfläche drückte und so ein Gesicht als Relief schuf, das er dann im Feuer härtete. Liebe, Verlust, Erinnerung, Wehmut und Schönheit sind so als Ursprung der Kunst benannt.
Der Frankfurter Kunstverein feiert mit der Ausstellung Das Anwesende des Abwesenden die Rückkehr des Künstlers Claudio Parmiggiani in seine Räumlichkeiten. 1981 und 1988 widmete Peter Weiermair, Direktor von 1980 bis 1998, Parmiggiani zwei Einzelausstellungen. Für die aktuelle Schau hat der Künstler neue, großformatige Werke geschaffen, die zu seiner Serie Delocazioni gehören.
Auf sechs monumentalen Tafeln sind Reihen von Büchern auf Stützen zu sehen. Ihre Titel, Autoren und Inhalte bleiben uns verborgen. Bücher sind Aufbewahrungsorte des menschlichen Wissens. Sie tragen die Erzählungen der Menschen und sind Zeugen unserer Kultur, unserer Vorstellungskraft und unseres intellektuellen Erbes. Ein weiteres Werk besteht aus vier Tafeln: Sie bilden die Schatten leerer Flaschen ab. Ihre Formen sind in der Rußschicht ausgespart. Das Glas der Behältnisse umrandet die Leere in ihrem Inneren wie mit einem Zeichenstrich und verdoppelt so sinnbildhaft die Abwesenheit. Und dann zwei menschliche Figuren: Einzeln stehen sie auf ihrem Bildträger. Die Umrisse verzerrt, stammen sie von steinernen Statuen, die der Künstler dem Feuer überließ. „Wie ein erloschenes Licht, das eine Seele im Dunklen anzündet… denn Statuen sind wie Seelen“ sagte einst der Künstler in einem Interview mit Arturo Schwarz.
Die zwei kleinsten Bilder im Raum sind den Symbolhaftesten unter den Dingen gewidmet: einem menschlichen Schädel, Inbegriff des Memento Mori, und dem Querschnitt einer Nautilusschale. Nautilidae (Perlboote) sind lebende Fossilien und urzeitliche Wesen, die heute noch in den Tiefen der Meere beheimatet sind und von der Entstehung des Lebens auf unserem Planeten erzählen. Sie sind Spuren der Vergangenheit in der Gegenwart. Die spiralförmige Schale verweist auf die Regeln der Natur, die Fibonacci mit seinen mathematischen Folgen zu fassen versuchte und die den goldenen Schnitt widerspiegeln. Die Proportionen gelten als Symbol der perfekten Ordnung der Natur und werden oft als Hinweis auf das Göttliche interpretiert. Die Muschel verweist zudem auf eine klangliche Idee. Bringt man sie ans Ohr, hört man ein Rauschen, das Menschen schon immer als abwesenden Klang des Meeres deuten. Doch Stille herrscht in unserem Gehirn nie, wir hören Worte und sehen Bilder. Der Musiker John Cage, aber auch der bildende Künstler Yves Klein haben sich mit ihrem Werk diesem Wahrnehmen der Wirklichkeit intensiv gewidmet.
Parmiggiani stellt die unvergängliche Frage der Menschheit nach dem, was bleibt. Abwesenheit ist wie ein Fußabdruck auf einem verschneiten Weg: Der Fuß ist nicht mehr da, aber der Abdruck zeigt seine einstige Anwesenheit (Massimo Recalcati, La spiritualità nell’arte contemporanea: Claudio Parmiggiani, 2019). Die Spur ist etwas, das bleibt, obwohl sie droht sich aufzulösen. Die leeren Silhouetten der Gegenstände erscheinen Parmiggiani als Porträts von Abwesenheiten. Was traditionell als Symbole des Endes erachtet wird – Ruß, Asche, Leere – wird bei Parmiggiani zu Metaphern für das Fortbestehen, für die ewige Präsenz des Lebens in Form von Erinnerungen, Spuren und Eindrücken. Das Feuer hinterlässt nicht das Nichts, sondern die unauslöschliche Präsenz der Vergangenheit und die Offenheit des Zukünftigen.
„…Ich habe völlig leere, kahle Räume ausgestellt, in denen die einzige Präsenz die Abwesenheit war, der Abdruck an den Wänden von allem, was dort einst gewesen ist, die Schatten der Dinge, die diese Orte belebt hatten. Für diese Räume verwendete ich allein Staub, Ruß und Rauch. Sie trugen dazu bei, die Atmosphäre eines von den Menschen verlassenen Ortes zu schaffen, wie nach einer Feuersbrunst, wie in einer zerstörten Stadt. Nur die Schatten der Dinge blieben übrig, wie Ektoplasmen fast verschwundener Formen, verschwunden wie die Schatten aufgelöster menschlicher Körper an den Wänden von Hiroshima. Die erste Versetzung (Delocazione), die ich 1970 machte, war ein Ort, (…) an dem die einzige Anwesenheit die Abdrücke der Dinge waren, die ich entfernt hatte. Eine Umgebung aus Schatten, Schatten von Leinwänden, die ich von den Wänden entfernt hatte, Schatten von Schatten, so als sähe ich hinter einem Schleier eine andere verschleierte Wirklichkeit und hinter dieser anderen verschleierten Realität noch eine andere und andere Schleier, und so weiter bis ins Unendliche. (…) Ein Ort der Abwesenheit wie ein Ort der Seele.“
Aus: Claudio Parmiggiani, Stella Sangue Spirito, 1995
Claudio Parmiggiani (*1943 in Luzzara, Italien) lebt und arbeitet in Parma, IT. Er ist eine der zentralen Figuren der Nachkriegskunst in Italien und Europa. Auch wenn Parmiggiani einen unabhängigen Weg innerhalb des italienischen Kunstpanoramas wählte und sich nie einer bestimmten Kunstrichtung zuordnete, lässt sich seine Kunst zwischen der Arte Povera und der Konzeptkunst verorten. Seine Arbeiten wurden international in Museen und Sammlungen ausgestellt. Einzelausstellungen fanden unter anderem in den folgenden Institutionen statt: Frist Museum, Nashville, TN (US), der Accademia di Francia Villa Medici, Rom (IT), dem Palais des Beaux Arts – BOZAR, Brüssel (BE), dem Palazzo del Governatore, Parma (IT), dem Palazzo Fabroni Arti Visive Contemporanee, Pistoia (IT), dem Musée des Beaux-arts de Nantes (FR), dem Grand Palais, Paris (FR), der Galleria d’Arte Moderna di Bologna (IT), dem Museum of Art, Tel Aviv (IL), dem Musée Fabre, Montpellier (FR) und im Frankfurter Kunstverein, Frankfurt am Main (DE). Zudem nahm Parmiggiani sechs Mal an der Biennale di Venezia (IT) teil. Seine Werke sind in prominenten Sammlungen vertreten, u.a. im Centre Pompidou, Paris (FR), Stedelijk Museum Amsterdam (NL), Museo Nacional de Bellas Artes, Havanna (CU), National Gallery of Iceland, Reykjavík (IS), Mamco – Musée d’Art Moderne et Contemporain, Genf (CH), Fondation Cartier pour l’art contemporain, Paris (FR), Francois Pinault Foundation, Venedig (IT) und im Museo del Novecento, Mailand (IT). Im Bereich seiner schriftstellerischen Arbeit sind insbesondere folgende Werke hervorzuheben: Poesie dipinte (1981), Il sangue del colore (1988), Stella Sangue Spirito (erschienen in den Jahren 1995, 2003 und 2007), Incipit (2008), Una fede in niente ma totale (2010) sowie Lettere a Luisa (2016).