Diana Scherer

Interwoven, 2021
Pflanzenwurzeln von Hafer
150 x 120 cm

Hyper Rhizome #4, 2021
Pflanzenwurzeln von Hafer, gerahmt
42 x 58 cm

Hyper Rhizome #6, #7, #3, #8, 2021
Pflanzenwurzeln von Hafer, gerahmt
36 x 27 cm

Interwoven #8, #9, 2021
Pflanzenwurzeln von Hafer, gerahmt
33 x 58 cm

Interwoven #10, #11, 2021
Pflanzenwurzeln von Hafer, gerahmt
45 x 42 cm

Interwoven, 2021
Pflanzenwurzeln von Hafer
300 x 300 cm

Courtesy die Künstlerin

Seit jeher bewegt sich die Beziehung vom Menschen zur Natur im Spannungsfeld zwischen betrachtendem Staunen und Wille zur Beherrschung. Der Begriff von Natur bleibt über die Epochen allerdings flüssig und verändert sich, so wie das Selbstbildnis des Menschen sich verändert.

Diana Scherer ist eine Künstlerin, die seit 2012 mit den Wurzelsystemen von lebenden Pflanzen arbeitet. In ihren Werken schafft sie Strukturen, die durch das natürliche Wachstum von Samen in einer künstlerischen Lenkung der Wurzelausbreitung entstehen. In jahrelanger Beobachtung entwickelte Scherer Techniken, um mit der Pflanze gemeinsam neue Formen und neue Webstoffe entstehen zu lassen. Scherer macht sich die Intelligenz der Pflanzen zunutze und deren verborgene Welt sichtbar.

Scherer verwendet Schablonen, Formen, die sie unter die Erde legt. Sie hat verschiedene Techniken entwickelt: als Künstlerin zeigt sie die Wurzelstrukturen mit Erde und Steinen, als Designerin nur ihre bloße Struktur. Die Schablonen sind aus dem Biokunststoff PLA gefertigt und können wiederverwendet werden. Die Muster leitet Scherer von traditionellen Formen ab, die auf der Geometrie der Natur basieren, so wie die sechseckigen Wabenstrukturen oder das Blattmuster. Auf den Schablonen sät die Künstlerin Samen und wartet bis die Pflanzen ihr Wachstum vollziehen.

Scherer hat mit vielen Samenarten Versuche unternommen. Gräser und Getreide, besonders Hafer, Weizen und Mais sind ihre bevorzugten Sorten, denn sie wachsen schnell und ihre Wurzeln sind stark. Die Künstlerin spricht von ihrer künstlerischen Praxis als Manipulation von Natur. Sie empfindet in ihrer menschlichen Arbeit mit Lebewesen, mit Pflanzen, eine Zerrissenheit, die zwischen einem Gefühl von Ehrfurcht vor dem Natürlichen und Grausamkeit in der Ausübung von Zwang und Zerstörung stattfindet. Sie reflektiert die Abhängigkeit des Menschen, der schon immer über die kulturelle Nutzung seines natürlichen Umfelds seine Existenz gesichert hat.

Scherer thematisiert den Zwang, mit dem sie selbst die lebendigen Pflanzen manipuliert. Ihre Werke, so die Künstlerin, lassen den Wurzeln überhaupt keinen Raum, um zu tun, was sie wollen. Die Arbeit ist essentiell: nur die nackte Pflanze und Manipulation.

Ihre künstlerische Praxis entsteht in Analogie zu der Arbeit von Wissenschaftler*innen, die natürliche Phänomene beobachten und klassifizieren, um daraus eine kulturelle Umformung und Nutzung zu erzielen. Wurzeln reagieren situativ auf ihre Umwelt und passen sich dieser individuell an. Wie diese Prozesse funktionieren und ob diese Eigenschaft als Intelligenz der Pflanze betrachtet werden kann, ist seit einigen Jahren Teil einer diskursiven Polarisierung innerhalb der botanischen Wissenschaftsgemeinschaft. Scherer arbeitet mit Wissenschaftler*innen zusammen, mit Pflanzenbiolog*innen der Technischen Universität Delft und der Radboud-Universität in Nijmegen, um ihr Verständnis von Wurzelsystemen immer weiter zu vertiefen. Sie hat zusätzlich zu ihrem Atelier in Amsterdam einen Arbeitsraum im Gewächshaus der Radboud Universität Nijmegen, in dem sie den Winter über arbeiten kann.

Für den Frankfurter Kunstverein hat Diana Scherer eine ihrer großen, lebendigen Bodenarbeiten Interwoven geschaffen, für die sie Hafersamen zu einem Gewebe heranwachsen lässt. Nur wenige Stunden vor dem Ausstellungsbeginn wendet die Künstlerin das Pflanzengeflecht, so dass den Besucher*innen die baren Wurzeln offenbart werden. Fragil und schön liegen sie schutzlos dem Licht und der Luft ausgesetzt vor uns. Sie werden durch Wässern ein paar Tage länger noch am Leben gehalten. Der Preis für die Sichtbarkeit liegt in der Vergänglichkeit, der die lebendigen Wurzeln ausgesetzt sind.

Diana Scherer (*1971, Lauingen, DE) ist eine bildende Künstlerin, die in Amsterdam (NL) lebt und arbeitet, wo sie an der Rietveld-Akademie Bildende Kunst studierte. Ihre Praxis umfasst die Bereiche Botanik, Fotografie, Materialforschung und Skulptur. In den letzten Jahren hat sie in mehreren internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen u.a. im Textilmuseum, Tilburg (NL), Victoria & Albert Museum, London (GB), Stedelijk Museum, Amsterdam (NL), RIXC Art Science Festival, Riga (LV) ausgestellt und wird demnächst an der Biennale von Sydney (AU) und dem MIT Museum, Boston (US) teilnehmen. Sie veröffentlichte zwei Bücher bei Van Zoetendaal Publishers: Nurture Studies (2015) und Mädchen (2017). Ihr Projekt Interwoven wurde mit dem New Material Fellow Award ausgezeichnet, einem alle zwei Jahre vergebenen Preis des Het Nieuwe Instituut in Rotterdam (NL), der Künstler*innen und Designer*innen herausfordert, nachhaltige Materialien und innovative Technologien zu entwickeln und anzuwenden.