International Institute for Applied System Analysis, IIASA
David Leclère et al.
Bending the Curve of Biodiversity Loss, 2020
Infografik aus: Leclère D, Obersteiner M, Barrett M, Butchart SHM, Chaudhary A, De Palma A, DeClerck FAJ, Di Marco M, et al. (2020). Bending the curve of terrestrial biodiversity needs an integrated strategy.
Courtesy Adam Islaam | IIASA
Immer mehr Pflanzen- und Tierarten auf der ganzen Welt verschwinden aufgrund menschlicher Aktivitäten. Laut einer großen, vom International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) durchgeführten Studie kann der Verlust der biologischen Vielfalt bis 2050 nur gestoppt werden, wenn ehrgeizige, aufeinander abgestimmte Maßnahmen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Natur und eine tiefgreifende Änderung der weltweiten Nahrungsmittelsysteme umgesetzt werden. Die Studie hat dabei durch die Modelle und Szenarien zur Erforschung der Zukunft biologischer Vielfalt neue Maßstäbe gesetzt. Die Studienergebnisse liefern essenzielle Eckdaten für die Gestaltung des Biodiversitätsrahmens des völkerrechtlichen Vertrags Kunming-Montreal, der 2022 in Kraft getreten ist. Diese Methoden können auch dabei unterstützen, gerechte Maßnahmen für Klima, biologische Vielfalt und menschliche Entwicklung umzusetzen.
Die biologische Vielfalt, also der Reichtum an Arten, nimmt seit vielen Jahren in alarmierendem Tempo ab und der Umfang und der Zustand der Ökosysteme, die sie beherbergen, verschlechtert sich. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich dieser Trend fortsetzt. Denn wenn dies geschieht, wird nicht genug Natur übrig bleiben, um künftige Generationen zu versorgen. Die Frage, wie die rapide wachsende Weltbevölkerung ernährt werden kann, macht das Erreichen der ehrgeizigen Ziele zur Herausforderung.
Die Studie, die in der Zeitschrift „Nature“ veröffentlicht wurde und deren Ergebnisse in den Living Planet Report von 2020 und 2022 des World Wide Fund for Nature (WWF) einflossen, untersucht erstmals das ehrgeizige Ziel einer Umkehrung des globalen Biodiversitätstrends. Sie zeigt, welche aufeinander abgestimmten Maßnahmen zur Erreichung der Ziele nötig sind.
Die Autor:innen untersuchen in ihrer fundierten Analyse, ob der von der heutigen Landnutzungsrate verursachte Rückgang terrestrischer Biodiversität aufzuhalten ist, ohne die Ziele der Agenda 2030 der Vereinten Nationen zu gefährden. Darüber hinaus wurde analysiert, welche Maßnahmen in welcher Kombination erforderlich sind, um möglichst wenig Kompromisse einzugehen, und wo sich Synergieeffekte einstellen.
Mithilfe zahlreicher Modelle und unterschiedlicher Szenarien wurde untersucht, wie Maßnahmen aufeinander abgestimmt werden können, um die Biodiversitätsziele zu erreichen. Die Studie liefert wichtige Informationen, wie die Vision des UN-Übereinkommens zur biologischen Vielfalt 2050 „Living in Harmony with Nature“ konkret verwirklicht werden kann. Die Forscher:innen betonen, dass in zwei wesentlichen Bereichen am dringendsten gehandelt werden muss, um den Rückgang biologischer Vielfalt zu stoppen, der durch Landnutzung ausgelöst wurde, und eine Erholung bis 2050 in Gang zu bringen. Diese Maßnahmen sind:
- Ein sofortiger, dezidierter Schutz und die Wiederherstellung von Landflächen in Verbindung mit einer verbesserten Wirksamkeit des Flächenmanagements. Für eine Erholung müssen Gebiete unter Schutz gestellt werden, und zwar bis zu 40 % der weltweiten Landflächen. Zusätzlich müssen ausgelaugte Böden und Land wiederhergestellt werden (in den Szenarien der Studie betrifft dies bis 2050 etwa 8 % der weltweiten Flächen). Landnutzungspläne müssen aufgestellt werden, die auf allen bewirtschafteten Flächen ein Gleichgewicht zwischen Produktions- und Schutzzielen herstellen. Ohne diese Anstrengungen kann der Rückgang der biologischen Vielfalt nur noch verlangsamt, nicht aber aufgehalten werden.
- Umgestaltung der Nahrungsmittelsysteme: Weil massive Schutz- und Wiederherstellungsbemühungen allein nicht ausreichen werden, sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich und hierzu müssen Forderungen an die weltweiten Nahrungsmittelsysteme gestellt werden. Dazu gehört die Verringerung der Lebensmittelverschwendung. Zudem müssen Nahrungsmittel mit geringeren Umweltauswirkungen produziert werden sowie eine nachhaltige Herstellung und Handel stattfinden.
Um die Kurve des Biodiversitätsverlustes bis 2050 oder früher nach oben zu führen, müssen integrierte Maßnahmen in beiden Bereichen gleichzeitig ergriffen werden.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass fast die Hälfte der Biodiversität verloren gehen wird, wenn wir so weitermachen wie jetzt oder nur wenig tun. Bei einem gezielten Schutz von Landschaften könnte eine mögliche Verbesserung ab der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts einsetzen. Die Studie zeigt auch, dass dezidierte Schutz- und Wiederherstellungsmaßnahmen zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise führen könnten, wodurch wiederum Fortschritte bei der Beseitigung des Hungers möglicherweise behindert würden.
Im Gegenzug zeigen Szenarien, die verstärkt Maßnahmen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Natur mit Bemühungen zur Umgestaltung des Ernährungssystems kombinieren, dass die Chancen für ehrgeizige Naturschutz- und Wiederherstellungsmaßnahmen steigen. Potenziell nachteilige Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit wurden entschärft. Demnach würde dies dazu beitragen, die weltweiten Trends bei der Artenvielfalt bis 2050 durch Landnutzungsänderungen zu verbessern. Zusätzlich bringen Veränderungen bei der Ernährung und Landnutzung weitere Vorteile wie eine bessere Bekämpfung des Klimawandels, eine geringere Belastung für Wasserressourcen, weniger schädlichen Stickstoff in der Umwelt und Gesundheitsvorteile.
Zusätzlich stellt die Studie fest, dass in Zukunft die Artenvielfalt durch weitere unvorhersehbare Faktoren wie den Klimawandel und biologische Invasionen unter Druck geraten wird. Um den Verlust der Artenvielfalt umzukehren, sind ehrgeizige Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels erforderlich, die Synergien mit der Artenvielfalt nutzen, statt sie weiter zu verschlechtern.
Die Ergebnisse der wegweisenden Studie spiegeln sich im kürzlich verabschiedeten globalen Rahmenabkommen für Biodiversität Kunming-Montreal wider. Das Abkommen legt international vereinbarte Ziele und Maßnahmen fest, um den Rückgang der Artenvielfalt in den kommenden Jahrzehnten umzukehren. Es wird jedoch auch noch viel wissenschaftliche Arbeit nötig sein, um eine erfolgreiche Umsetzung der Ziele des Pariser Abkommens der Vereinten Nationen zur Klimarahmenkonvention zu unterstützen.
Ein Schlüsselthema, um den notwendigen Wandel gemäß diesen beiden Abkommen zu erreichen, ist die gerechte Verteilung von Anstrengungen auf dem Weg zu einer „Nature-positiven“ Zukunft. Weiterentwickelte Nationen, die für einen erheblichen Teil der Treibhausgasemissionen und der Naturzerstörung verantwortlich sind und über mehr Ressourcen verfügen, sollten gemäß den Prinzipien der Gerechtigkeit einen größeren Beitrag zu den Klima- und Biodiversitätsmaßnahmen sowie zur Schließung von Finanzierungslücken leisten. Die Anerkennung und Einbeziehung marginalisierter Akteure wie indigener Völker und lokaler Gemeinschaften wird entscheidend sein, um einen gerechten Übergang zu schaffen.
Auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit ist es wichtig, sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf das Leben und die Lebensgrundlagen der Menschen zu berücksichtigen und bestehende Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zu reduzieren. Dies erfordert die Anerkennung der Werte, Rechte und Interessen aller Individuen, eine Verschiebung hin zu einer rechtebasierten Kontrolle, die Sicherstellung einer inklusiven Vertretung und eine systematische Bewertung, wie die Maßnahmen, Kosten und Nutzen unter den verschiedenen Akteuren zu verteilen sind. Modelle und Szenarien können bei der Erforschung alternativer Zukunftsperspektiven für die Natur und die Menschen entscheidend sein.
Insgesamt hat die Studie „Bending the curve of biodiversity loss“ gezeigt, dass die Weltgemeinschaft noch in der Lage ist, den Verlust der Natur zu stabilisieren und umzukehren. Um dies jedoch so früh wie möglich zu erreichen, müssen wir die Art und Weise, wie wir Lebensmittel produzieren und konsumieren, fair und grundlegend ändern und uns mutiger und ehrgeiziger für den Naturschutz einsetzen. Wenn wir dies nicht tun und so weitermachen wie bisher, wird unser Planet heutige und künftige Generationen von Menschen nicht mehr ernähren können.
Referenz: Leclère, D., Obersteiner, M., Barrett, M., Butchart, SHM., Chaudhary, A., De Palma, A., DeClerck, FAJ., Di Marco, M. et al. (2020). Bending the curve of terrestrial biodiversity needs an integrated strategy. Nature DOI: 10.1038/s41586-020-2705-y