Karlsruher Institut für Technologie, Fakultät für Architektur

Prof. Dr. Dirk Hebel

MycoTree, 2017
Myzel und Bambus
100 x 100 x 150 cm

Courtesy Karlsruher Institut für Technologie, Fakultät für Architektur

Der MycoTree ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen dem Institut für Nachhaltiges Bauen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), der Block Research Group an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und der Abteilung für Alternative Construction Materials des Future Cities Laboratory Singapore.

Der Frankfurter Kunstverein zeigt einen der Prototypen für das Exponat, das 2017 als zentrale Arbeit auf der Seoul Biennale für Architektur und Städtebau präsentiert wurde. MycoTree veranschaulicht, dass regenerative Ressourcen in Kombination mit Bauplanung das Potenzial haben, Alternativen zu etablieren, um neue Methoden zu schaffen, Baumaterialien für eine nachhaltigere Bauindustrie biobasiert herzustellen. Für die nötige Stabilität der Konstruktion ist nicht mehr die Stabilität der eingesetzten Materialien wie beispielsweise Metall und Beton erforderlich, die einen großen ökologischen Fußabdruck aufweisen und planetare Rohstoffe benötigen. Vielmehr setzt das KIT auf Stabilität durch eine veränderte Geometrie im Planungsaufbau. Unter der Leitung von Professor Dipl.-Arch. Dirk E. Hebel wird im Fachbereich Entwerfen und Nachhaltiges Bauen an der Fakultät für Architektur am KIT intensiv zu nachhaltigen Verfahren und Materialien für die Bauindustrie geforscht.

Der MycoTree ist eine modellhafte räumliche Verzweigungsstruktur, die aus verschiedenen Myzel- und Bambuskomponenten gefertigt wurde. Der Name MycoTree verweist auf seine baumartige Struktur. Die Form wird zum Vorbild einer naturgeschaffenen Geometrie, die von Architekt:innen mithilfe des Statik-Programms 3D-Graphic-Statics weiterentwickelt und berechnet wird. Innerhalb der Struktur des MycoTree wurden die modularen Einzelteile mit Steckverbindungen aus dem ebenfalls nachwachsenden Rohstoff Bambus befestigt.

Der MycoTree besteht aus organischen Stoffen. Die weißen Baumodule entstehen aus Resten der Agrar-, Forst- oder Textilwirtschaft, die durch Myzelien zusammengehalten werden. Die wesentlichen Produktionsschritte erfordern streng kontrollierte Bedingungen, damit der lebende Pilz optimale Wachstumsbedingungen vorfindet. Die organischen Reststoffe werden sterilisiert, ihnen werden Pilzsporen zugesetzt und die Masse wird für mehrere Wochen bei 30 Grad zum Wachsen gebracht. Gelingt die Aktivierung des Pilzes, wächst dieser einen bis fünf Zentimeter am Tag und durchwurzelt das Substrat. Hat das Myzel die Gesamtheit des Substrates durchdrungen, wird das Wachstum durch Trocknung angehalten und durch anschließende Pressung verdichtet. Die Wurzelfilamente des Pilzes kompaktieren das ursprünglich lose Substrat zu einer festen Form und vermeiden die Zugabe meist toxischer Leimstoffe. Dadurch ist der Werkstoff biologisch vollständig abbaubar. Die Form der Behältnisse, in denen der Pilz wächst, bedingt die Gestaltung des finalen Baumoduls, gleichzeitig aber auch einen erfolgreichen Wachstumsprozess.

Diese Myzelmodule werden durch Steckverbindungen mit Bambusteilen verbunden, um die Stabilität des Objektes zu erhöhen. Auch Bambus ist eine schnell nachwachsende Pflanze, die pro Tag bis zu einem Meter wächst. Bambus ist biegsam und robust und spielt in Asien schon seit

Jahrhunderten und bis heute im Hochhausbau eine zentrale Rolle. Im Gegensatz zu Bäumen braucht die Bambuspflanze weniger Wasser und keine Düngemittel und wächst wesentlich schneller.

Das Myzel-Material ist jedoch wenig biegsam und zugfest. Daher muss eine innovative und auf die organische Materialbeschaffenheit ausgerichtete architektonische und statische Planung entwickelt werden. Der MycoTree wurde als Prototyp am KIT Karlsruhe geschaffen, um seine Belastbarkeit zu testen.

Seit Jahren wird weltweit an der Methode der Myzelpräparation organischer Abfälle geforscht und Patente dafür eingereicht. Heute existieren zahlreiche Verfahren und Anbieter verschiedener Materialien, deren Beschaffenheit von leicht, aber bröselig, bis zu hart und kompakt unterschiedliche Bedarfe von Bauprojekten und Innenarchitektur erfüllt, zum Beispiel schallschluckend, wenig brennbar, abdichtend oder durch Pigmente einfärbbar. Biochemisch binden während des Wachstums sowohl der Pilz als auch die Bambuspflanze Stickstoff und Kohlenstoff, der in der Zellulose gespeichert bleibt.

Das 21. Jahrhundert steht vor einem radikalen Paradigmenwechsel dafür, wie wir Materialien für den Bau unserer Lebensräume produzieren. Das lineare Konzept „Produzieren, verwenden und wegwerfen“ hat sich angesichts knapper Ressourcen und exponentiell wachsender Stadtbevölkerungen als nicht tragbar für die zukünftige Bewohnbarkeit des Planeten erwiesen. Für einen Kreislauf aus Produktion, Nutzung und Wiederverwendung müssen alternative Materialien und Bauweisen erforscht und eingesetzt werden.

Ein Umdenken im internationalen Architekturkontext findet zwar statt, was sich auch in der Biennale für Architektur in Venedig 2023 zeigt. Jedoch bilden weder die aktuelle Baupraxis und die Zulieferindustrie noch der behördliche und politische Auflagenapparat den Wandel zu einem veränderten Bauen ab. Rasant steigende Flächenversiegelung, globaler Rohstoffverbrauch und die häufig damit einhergehende Ökosystemzerstörung bleiben eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.

Prof. Dipl.-Arch. Dirk E. Hebel hat das von ihm geleitete Forschungsinstitut aus der Überzeugung heraus gegründet, dass im Bausektor dringend ein Paradigmenwechsel Einzug halten muss. Seit 1990 hat sich die weltweite Treibhausgasemission, die allein von der Zementindustrie verursacht wird, geschätzt verdreifacht. Die Bauindustrie benötigt exponentiell wachsende Mengen an Holz, Wasser, Bodenressourcen und Energie und ist einer der größten Verursacher von Abholzung, Bodenverbrauch, Wasserverschmutzung und nicht wiederverwendbarer Bauabfälle. Der Abbau von Sand, der zur Herstellung von Beton genutzt wird, wird den Ökosystemen aus Flüssen, Küsten und Meeresböden entnommen, was zur Zerstörung von Lebensräumen für Menschen, Tiere und Pflanzen führt.

Mit der wachsenden Bevölkerung und steigenden Ansprüchen nimmt auch die Nachfrage nach Materialien und Ressourcen zu. Während diese in der Vergangenheit noch meist von lokalen und regionalen Gebieten erfüllt wurde, wird sie nun zunehmend global und weitreichend. Dieses Phänomen hat Materialströme von transkontinentaler Tragweite hervorgebracht und hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit, die Funktionsweise, das Eigentumsgefühl und die Identität der zukünftigen Städte. Die globale Konzentration der Bauindustrie auf einige wenige Materialien setzt unsere natürlichen Ressourcen stark unter Druck. Wenn wir über die Städte der Zukunft sprechen, wird klar, dass sie nicht mit denselben Ressourcen gebaut werden können wie die bestehenden Städte.

Dirk Hebel ist, wie viele andere Teilnehmer:innen von Bending the Curve, aktiver Verfechter zirkulärer Wirtschaftsmodelle. Dieser Ansatz würdigt Materialien als kostbare, begrenzte Ressourcen und fördert aktiv ihre Wiederverwendung und Schonung. Ressourcen effizienter zu nutzen und Abfälle zu minimieren, den Lebenszyklus von Produkten zu verlängern und die Wiederverwertung von Materialien zu fördern, sind mögliche Strategien. Die Zeit linearer Modelle, bei denen Produkte nach ihrer Nutzung entsorgt werden, sollte vorbei sein. Kreislaufwirtschaft, Repair-Kultur oder zumindest Recycling müssten politisch gefördert werden, um auch in Zukunft die Bewohnbarkeit unseres Planeten zu ermöglichen.