Lawrence Malstaf
Shrink 01995, 1995 – fortlaufend
PVC, Vakuumpumpe, Luftschläuche, Stahlrohre
260 x 320 cm
Aufführungen jedes Wochenende mit wechselnden Teilnehmenden
Samstags: 16:00 und 17:00 Uhr
Sonntags: 15:30 und 16:30 Uhr
Sondertermin: 26. Dezember, um 14:30, 15:30 und 16:30 Uhr
Dauer 20 min
Courtesy Lawrence Malstaf / Tallieu Art Office
Lawrence Malstaf ist bekannt für seine interdisziplinären Arbeiten, die sich frei zwischen visueller Kunst, Installation, Tanz und Theater bewegen. Seine Werke setzen sich mit dem menschlichen Körper und seinen Wahrnehmungsmöglichkeiten auseinander und sie loten physische und psychische Grenzen aus. Der Atem bildet den Ausgangspunkt der Aufführung Shrink 01995. Sie entstand ursprünglich als sechsstündige performative Installation. Malstaf selbst führte sie auf. Später erweiterte er die Arbeit auch für Besucher:innen, die somit ebenfalls die Erfahrung dieses intensiven Werkes machen konnten.
In einer Rahmenstruktur sind zwei große, transparente Folien gespannt. In deren Zwischenraum presst sich der Mensch. Umhüllt von dieser Haut hält er zwei Schläuche. Einer entzieht, einer führt Luft zu. Der eine schafft ein Vakuum zwischen den Folien, sodass der Körper gepresst schwebt, und der andere ermöglicht es zu atmen. Für die Dauer der Aufführung bewegt sich die Person im Inneren langsam und wechselt ihre Positionen. Es ist die Person selbst, die ihre Luftzufuhr reguliert. Für die Teilnehmenden besteht keine Gefahr. Sie stehen aber vor der Herausforderung, die eigene psychologische Erwartung, dass dies schwierig und gefährlich sein könnte, überwinden zu müssen. Und es bedarf einer veränderten und bewussten Kontrolle über die eigene Körperlichkeit. Die Atmung muss einen neuen Rhythmus finden.
Ein Atemzug steht am Anfang und am Ende jeden Lebens. Wir atmen die Welt ständig ein und aus, das ist die basale Art der Weltbeziehung. Der Atem kann ins Stocken geraten oder fließen. In allen antiken Hochkulturen ist das Zusammenspiel von Atmung und geistiger Verfasstheit bekannt. Pranayama entstand in Indien als Technik von Atemübungen zur Meditation und Lenkung der Gedanken.
Die konstruierte Anordnung des Werkes schaltet Sehen und Hören aus und verstärkt stattdessen die Wahrnehmung von Berührung und Druck auf der gesamten Körperoberfläche. Die Sinne richten sich nach innen, eine erhöhte Konzentration auf das Innere des Körpers – den Schlag des Herzens, das Rauschen des Blutes, den Rhythmus der Atmung – setzt ein. Eine tiefgehende Erfahrung von Raum und Körperlichkeit, Isolation und Begrenzung, sowie von Ruhe und Schutz eröffnet sich. Die Installation reflektiert die Anpassungsfähigkeit des menschlichen Geistes und schafft eine intensive Reflexion über die Dualität von Zerbrechlichkeit und Resilienz unter extremen Bedingungen.
Malstaf sucht nach einem Erlebnis, das den Menschen auf das Existentielle zurückwirft. Er selbst lebt seit Jahren in der Abgeschiedenheit der norwegischen Natur. Stille, Weite und die Naturgewalten sind Grunderfahrungen, die er als wesentlich für ein Gefühl des Kreatürlichen erachtet.
In regelmäßigen Abständen nehmen die an der Erfahrung Teilnehmenden neue Posen ein. In Momenten der Bewegungslosigkeit sehen sie fast wie Gemälde oder Stillleben aus. Je nachdem, wie man sie betrachtet, kann es schrecklich oder friedlich anmuten. Der dreidimensionale Schwebezustand kann unzählige Assoziationen eröffnen: von der nature morte im Sinne von Körpern, die als Ware oder Produkt ausgestellt werden, bis hin zum Zustand vor der Geburt und der Schwerelosigkeit im Mutterleib. Malstafs Kunst will keine Geschichte erzählen. Er erzeugt keine bildhaften Metaphern. Er stellt Räume her, die ganz ursprüngliche Kräfte erfahrbar machen.
Der Frankfurter Kunstverein hat den Sommer über einen öffentlichen Aufruf gestartet, um Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen und mit verschiedensten Hintergründen dafür zu gewinnen, Teil von Malstafs Werk zu sein. Der Künstler hat die Teilnehmenden in mehreren Sitzungen auf die Erfahrung vorbereitet. Sie erleben Shrink 01995 aus einer persönlichen Perspektive, agieren nicht nur als Beobachter:innen des Kunstwerks, sondern auch als Mitgestalter:innen, die die Grenzen ihrer körperlichen und sensorischen Wahrnehmung erforschen und das Werk des Künstlers auf einer intensiven Ebene zum Leben erwecken.
Lawrence Malstaf (*1972, Brügge, BE) lebt und arbeitet zwischen Tromsø (NO) und Oudenaarde (BE). Malstafs Kunst bewegt sich zwischen visueller Kunst und Theater. Er ist bekannt für seine sensorischen Installationen, die sich mit Raum und Orientierung auseinandersetzen und Besucher:innen als Co-Akteur:innen einbeziehen. Seit seinem Abschluss in Industriedesign am Henry van de Velde Instituut in Antwerpen (BE) im Jahr 1995 ist er sowohl als Künstler als auch als innovativer Szenograf in der internationalen Tanz- und Theaterszene tätig. Allein seine Aufführung Shrink wurde weltweit mehr als fünfzig Mal gezeigt. Malstafs Werke wurden in bedeutenden Institutionen wie dem Musée des Beaux-Arts, Le Havre (FR), dem IOMA Art Center, Peking (CN), dem CCBB – Centro Cultural Banco do Brasil, in São Paulo (BR), dem Centre Pompidou, Paris (FR), dem Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg (DE), dem Trondheim Kunstmuseum (NO), Palais des Beaux Arts – BOZAR, Brüssel (BE), FACT, Liverpool (UK), Eyebeam Art + Technology Center, New York (US) sowie Z33, Hasselt (BE) und auf zahlreichen Festivals ausgestellt. Er hat mehrere internationale Auszeichnungen im Bereich Kunst und neue Technologien erhalten, darunter den Golden Nica der Ars Electronica in Linz (AT) und den Excellence Prize beim Japan Media Arts Festival in Tokio (JP).