Lucy Dodd

Lucy Dodd verbindet Kunst und Leben zu einer Einheit, die über eine spirituelle Interpretation unserer physischen Existenz danach strebt, den Dingen einen Sinn zu verleihen. Ihre Arbeit ist geprägt von ihrer ganzheitlichen Sicht auf die Existenz, in der das Weibliche als vitale Kraft eine Rückbindung an Welt bedeutet. In den kosmischen Explosionen von Farben und Material werden Symbole wie Blumen, Monde und Sterne angedeutet, die den Weg zu mythologischen Welterzählungen eröffnen, mit denen sich der Mensch seit Jahrhunderten bereits den Sinn seiner eigenen Existenz zu erklären sucht. In den abstrakten Gesten ihrer Malerei entwirft Lucy Dodd Symbole, die Ausdruck eines Lebens mit der Umwelt sind, in der diese Elemente nicht als Rohstoffe gelten, sondern zu spirituellen Ankerpunkten werden.

Für Rückbindung an Welt hat die Künstlerin eine spezifische Verbindung zwischen der neuen Werkreihe und der Ausstellung im Frankfurter Kunstverein konzipiert. Das bestimmende Element des Raumes war das Quadrat, an das sie anknüpfte. Lucy Dodd griff die geometrische Form auf, um sie in ihren zahlreichen kulturhistorischen und symbolischen Bedeutungsebenen zu erweitern. Als Klammer diente eine Werkreihe mit 45 Arbeiten auf Papier – eine von der Künstlerin getroffene Auswahl aus einer umfassenderen Serie –, die in den vergangenen zehn Jahren entstanden waren. Wie Zeitkapseln standen sie für Lucy Dodd für zentrale Momente ihres Lebens und wurden in dieser Form zum ersten Mal öffentlich gezeigt.

Lucy Dodds Werke sind gemacht aus dem, woraus unsere Welt besteht. Durch eine große Vielfalt an malerischen Mitteln lässt sie verschiedenartige Farben und Texturen entstehen. Ihre Substanzen umfassen natürliche Pigmente wie Kristalle, Azurit, Karmin und Tintenfischfarbe, aber auch pflanzliche Stoffe wie fermentierte Schwarznüsse, Avocadoschalen, Kombuchapilze und Matchatee, die wir als Nahrung zu uns nehmen und daher Teil unseres eigenen Organismus werden, bis hin zu tierischen und menschlichen Körperflüssigkeiten.
Die im Entstehen begriffenen Formen erschaffen ganze Welten aus Material. Durch den Kontakt unterschiedlicher Strukturen, durch Verdickung, Bewegung und Emotion erschließen die Leinwände das Sein. Die organischen Elemente bringen jeweils eigene visuelle Effekte hervor, die mit traditionellen Mitteln nicht erreicht werden können. Die dabei entstehenden Formen sind zumeist nicht rein geometrisch, sondern wuchern organisch und sind Spuren der Bewegung der Künstlerin auf den Bildoberflächen. Zu der Auswahl ihrer Materialien kommt Lucy Dodd durch Resonanz mit sich und den Dingen aus ihrer Umgebung, die sie im Bewusstsein verwendet, dass Leben und Kunst für sie eine untrennbare Einheit bilden.

Jedem Element, jeder Farbe und Form misst Lucy Dodd eine symbolische Bedeutung zu, die sie als Erzählung über das Wesen der Welt und einer alles umfassenden spirituellen Kraft deutet. Die weibliche Kraft wird darin als Grundprinzip alles Lebendigen verstanden. Das Bild der Mutter Erde als heilige Ganzheit und Quelle des Lebens drückt sich in ihrem gesamten Schaffen aus.
In ihrer konkreten Existenz lassen die Gemälde die Realität der Welt in die Abstraktheit der Darstellung einbrechen. Sie tauchen als physische Körper auf, die mehr sind, als nur sie selbst. Sie hängt ihre Leinwände nicht klassisch auf, sondern platziert sie im Raum, um ganzheitliche Arrangements zu schaffen, durch deren theatrale Atmosphäre die BetrachterInnen das Gefühl bekommen, mehr als nur ZuschauerInnen zu sein. Wie auch die Zusammenstellung ihrer Materialien auf der Leinwand sind ihre Installationen Gesten der Erschaffung von Welt.

Die spezifische Anordnung ihrer Werke im Raum hat Lucy Dodd als wesentlichen Bestandteil ihrer Erzählung gedacht. Als Leitmotiv aller hier gezeigten Werke stellte das Quadrat eine Verbindung zu den architektonischen Prinzipien des Ausstellungsraums her. Die geometrische Form bestimmte das Format der Leinwände und Papierarbeiten und strukturierte den Aufbau der Installation. Im Mittelpunkt des Raums befanden sich freistehende, hintereinander aufgereihte Leinwände. Ein skulpturales Objekt stellte den perspektivischen Fluchtpunkt des Raumes dar. Dodd hatte einen Sitz mit unzähligen Baumwollsträngen, die sie mit natürlichem Pigment gefärbte hatte, zu einem tentakelartigen Wesen geknüpft, das sich inmitten des zirkulären Raumes behauptete.
Die Installation im Frankfurter Kunstverein denkt den Betrachter mit, dessen Position als aktiver Bestandteil des Rezeptionsprozesses im Mittelpunkt steht. In dieser Achse ermöglicht der Blick von der Sitzplastik eine zentrale Perspektive auf die Anordnung, in der sich die sukzessive erweiternden Leinwände auffächern bis auf der hintersten Wand mit The Son (2018) eine leuchtende Sonne erschien.

Zahlreiche Bedeutungsebenen und Referenzen verschmelzen in dieser Konstellation miteinander. Durch das quadratische Format wurden die Arbeiten in der Strenge einer geometrischen Form gerahmt, die in der Natur nicht vorkommt und allein vom Menschen geschaffen ist. Die aus vier Seiten bestehende Form symbolisiert das weibliche Prinzip, für das in der Zahlenmystik die Ziffer Vier steht. In der pythagoreischen Philosophie ist das Quadrat Sinnbild für das vereinte Wirken der vier Elemente und gleichzeitig Symbol für das Zusammenwirken der vier weiblichen Gottheiten Aphrodite, Demeter, Hestia und Hera, als deren Vereinigung die Göttermutter Rhea gesehen wurde. In zahlreichen Kulturen, ob bei den ägyptischen Pyramiden oder den frühchristlichen Kreuzgängen, bauten Architekten heilige Orte auf der Grundform des Quadrates, da dessen regelmäßige Form mit magischen Kräften verbunden wurde.
Der Kreis steht in enger Verbindung zur Form des Quadrates, aus dem sowohl ein Umkreis als auch ein Inkreis gebildet werden kann. In diesen beiden Formen stellte Leonardo da Vinci die Proportionen des menschlichen Körpers nach den Idealmaßen dar, die der Architekt und Ingenieur Vitruv formuliert hatte. Lucy Dodds Gemäldefolge gipfelt in der den Raum dominierenden Darstellung der Sonne, die in strahlenden Gelb- und Ockerfarben, aus Cadmium und Zwiebelschalen, die schöpferische Kraft des Gestirns zelebriert. In allen Kulturen wurde die überragende Bedeutung der Sonne wie eine Gottheit verehrt, die die Abfolge der Jahreszeiten, die tägliche Wiederkehr und somit den gesamten Zyklus des Lebens bestimmt. The Son ist der Titel des großformatigen Werks, der mit der Zweideutigkeit Sun/Son spielt. Die Künstlerin lässt die Doppeldeutigkeit zu, bei der Sonne und Sohn als Symbole der Fruchtbarkeit und Kraft miteinander verschmelzen.

In der Papierarbeit Exhibition Poster (2018) vereinten sich zwei der zentralen Symboliken in Dodds aktuellem Werk – die Himmelskörper Sonne und Mars. In der griechisch-römischen Mythologie ist der Kriegsgott Mars eine der wesentlichen Gottheiten, die für die kriegerische Kraft steht, die gleichzeitig zerstört und Neues schafft. Im römischen Kalender, in dem der Monat März nach der Gottheit benannt ist, endet der Winter und die Natur beginnt ihren vitalen Zyklus erneut. Die Attribute des Mars sind die Lanze, der Helm und das Schild und ihm wird symbolisch das Blut zugeordnet, das in der Farbe Rot, durch das Mineral Hämatit, dargestellt wird. Als Zeichen des Mars gilt ein Kreis mit einem nach rechts-oben gerichteten Pfeil – ein Element, das in der strahlenförmigen Verlängerung der Sitzplastik nachhallt. Lucy Dodd verband die Monate, in denen sie den neuen Werkzyklus geschaffen hatte und gleichzeitig mit ihrem zweiten Kind schwanger war, mit einer Zeit, in der Mars nach einer langen Phase der Abwesenheit wieder in ihren astrologischen Kreis eintrat, wo er für Willen, Trieb und Kraft stand.
An der Wand bildeten 45 Zeichnungen eine Horizontlinie, die wie eine Sequenz Schritt für Schritt aus dem Leben von Lucy Dodd berichteten. Wie eine Zeitkapsel funktionierten die aus dem persönlichen Besitz der Künstlerin ausgewählten Arbeiten auf Papier als Erzählung über Ereignisse der letzten zehn Jahre.