Maurizio Montalti

RECIPROCITY // Mogu Acoustic ASPEN Fliesen Tiles, 2023
Biofabrizierte Myzel-Komposit-Akustikplatten, gezüchtet durch Pilzgärung auf geringwertigen Substraten/Reststoffen, einschließlich Hanf, Baumwolle und Myzel-Biomasse
Dreiecksförmige Module, jedes davon 45,5 x 39,8 cm

RECIPROCITY // The Alchemist – Ganoderma lucidum, 2021
Pilzbiomasse und Fruchtkörper/Pilze, die auf agroindustriellen Rückständen, einschließlich Hanfstroh und Sägemehl, gezüchtet werden
Anamorphes Volumen, eingeschrieben im vollen Volumen von 75x75x45 cm

Courtesy Maurizio Montalti / Mogu

RECIPROCITY // The Lower Fungi, Gefilmt von Wim van Egmond, 2023
Film, bestehend aus einer maßgeschneiderten Montage hochwertiger Zeitrafferfilme, die das Wachstum und Verhalten von Pilzen auf der Grundlage hochauflösender Mikrofotografien zeigen
13:30 min

RECIPROCITY // Metabolic Transformation, 2023
Filmstill aus One Minute/Four Seconds gedreht von Wim van Edgmond, In Auftrag gegeben 2016 für Fungal Futures, kuratiert von Officina Corpuscoli / Maurizio Montalti
Makrofotografie, bedruckte Tapete an der Wand montiert
420 x 260 cm

Courtesy Officina Corpuscoli / Maurizio Montalti & Wim van Egmond

Maurizio Montalti ist Künstler, Innovationsforscher und Unternehmer mit einer Ausbildung im Ingenieurswesen. Er arbeitet an der Schnittstelle zur Biotechnologie und leistet seit über einem Jahrzehnt Pionierarbeit bei der Entwicklung nachhaltiger und zukunftsorientierter Materialien.

Montalti interessiert sich für ein umfassendes Verständnis der Lebenszyklen im Wechsel von Werden und Vergehen. Er untersucht dafür verschiedene Lebewesen und natürliche Vorgänge mit einer gesamtheitlichen Auffassung, bei der der Mensch (nur) ein Teil ist. Dabei erforscht er biologische Prozesse, die als Grundlage dienen, um biologische Materialien herzustellen. Seine Arbeit mit Pilzen begreift er als eine Kooperation zwischen Menschen und nicht-menschlichen Organismen, die alle Teile eines lebenden Systems sind. Montaltis Wissen basiert auf theoretischen und spekulativen Ideen neuer Formen des Miteinanders und hat von dort aus den Weg ins praktische Handeln gefunden.

Was im Sprachgebrauch als Pilz bezeichnet wird, ist das Fortpflanzungsorgan (Fruchtkörper) eines größeren lebenden Organismus, des Myzels. Dieses wächst in langen Zellsträngen im Boden oder innerhalb abgestorbener nährstoffreicher Organismen und ist meist nicht sichtbar. Das Netzwerk besteht aus pilzförmigen Fäden (Hyphen), die so fein sind, dass sie für das bloße Auge unsichtbar sind, und kann sich zu einem kompakten Geflecht verdichten.

Für die Ausstellung Bending the Curve hat Montalti eine Rauminstallation mit dem Titel RECIPROCITY konzipiert, in der er einen von Myzelien geschaffenen Kreislauf von Elementen und Transformationsprozessen für die Betrachter:innen sichtbar macht. Montaltis Installation besteht aus verschiedenen Elementen, die das nicht Sichtbare zeigen: einer Wandinstallation aus Myzelmodulen, einer fotografischen Großaufnahme von Myzelfäden in organischem Material, einem Film, der das Wachstum von Schimmelpilzen zeigt, sowie einem Glasobjekt, das ein mit Pilzsporen geimpftes Substrat enthält und auf dessen Oberseite sich eine Pilzskulptur befindet.

Montaltis künstlerische Praxis basiert darauf, dass in der Natur der Tod und Verfall biologischer Zellen und Körper Voraussetzung für das Entstehen neuen Lebens sind. Seine Arbeit nimmt diesen natürlichen Prozess und die zentrale Rolle auf, die Pilze in der Umwelt als zersetzende Akteure einnehmen. Sie bauen abgestorbene Zellen ab und wandeln sie in Substrat um, das Nahrung für das neue Leben anderer Organismen wird.

Der Titel der Rauminstallation – RECIPROCITY – fasst die Haltung des Künstlers zusammen. Reziprozität bedeutet, dass jedes Lebewesen in einer wechselseitigen Beziehung zu allen anderen Lebewesen steht. Menschen leben in einer ko-evolutionären Wechselbeziehung mit anderen Tieren, Pflanzen, Bakterien, Viren und Pilzen. Dies bedeutet, dass die Veränderungen und Entwicklungen der Arten jeweils aufeinander reagieren. Mit der Wahl des Titels verweist der Künstler auf die Erkenntnisse der Biologin und Philosophin Lynn Margulis (1938 – 2011), die ihr Leben und ihre Forschung der Evolutionstheorie der Symbiogenese gewidmet hat. Diese beschreibt die Entstehung und Entwicklung von Lebensgemeinschaften, in denen unterschiedliche Organismen eng miteinander interagieren und ihre Lebensfunktionen nur in wechselseitiger Abhängigkeit stattfinden können. Margulis forschte an Mikroorganismen wie Algen, Bakterien, Hefen und Pilzen, die in Symbiose mit anderen Lebewesen DNA-Veränderungen bewirken und dadurch zur Entstehung neuer Arten beitragen.

Im Zentrum der Installation RECIPROCITY steht die lebende organische Skulptur The Alchemist – Ganoderma lucidum. Sie besteht aus einem gewachsenen Pilzkörper, einem ausgereiften Fruchtkörper, der durch Trocknung seine Form beibehält. Der transparente Glassockel, auf dem die Skulptur steht, enthält ein mit Pilzsporen geimpftes Substrat, das seinen Lebenszyklus im Lauf der Ausstellung entwickeln wird. Nicht die Skulptur lebt, sondern der Inhalt des Sockels, was in gewisser Weise die Priorisierung klassischer Präsentationsformen in Kunstmuseen umkehrt. Der Titel The Alchemist verweist auf die historische Lehre, die die Eigenschaften der Stoffe und ihre Reaktionen erkundete, oft auch, um sie in Gold zu verwandeln.

Während Pflanzen durch Photosynthese aus Sonnenlicht und Luft ihre Nährstoffe selbst herstellen, gewinnen Pilze ihre Energie, indem sie lebendige oder tote organische Materie verdauen, so wie Tiere es tun. Sie wachsen, verzweigen sich und absorbieren Nährstoffe direkt durch ihre Zellwände. Dabei scheidet das Myzel Enzyme aus, die Zucker aus dem Material abbauen und aufnehmen. In einer natürlichen Umgebung besteht eine ihrer Hauptfunktionen darin, abgestorbenes Material und organische Materie abzubauen und die Nährstoffe dem Boden zuzuführen, damit Pflanzen sie erneut aufnehmen können. Die Geschwindigkeit, mit der sie dies tun, spielt eine große Rolle dabei, wie Regeneration in Ökosystemen stattfindet.

Den natürlichen Abbauprozess von Pilzen betrachtet Montalti als sinnbildlich für den Kreislauf aller Dinge und allen Lebens, bei dem Tod und Verfall notwendig sind, um Raum für neue Lebensformen und Prozesse zu schaffen. Montalti vertritt wie zahlreiche Künstler:innen und Innovationsforscher:innen die Haltung, sein Schaffen im Bewusstsein einer sozial-ökologischen Transformation und Verantwortung umzusetzen. Die Metapher reicht ihnen nicht mehr aus, sondern sie streben eine reale Umsetzung und Handlung an. Montalti ist Mitbegründer des italienischen Unternehmens SQIM und der Marken Mogu und Ephea, die mittels Biodesign Biomaterialien mit Myzelien herstellen, die sie für die Gestaltung von Innenräumen und der Textilfertigung produzieren.

Die Jungunternehmen sind Teil einer Transformation hin zu naturinspirierten, nachhaltigen Materialien und einer neuen Ökonomie. Mit dem Unternehmen SQIM stellt Montalti die Idee einer Kooperation mit nicht-menschlichen Lebewesen ins Zentrum seines unternehmerischen Handelns. Die Idee der Reziprozität und der Ko-Kreation sind wesentlich sowohl für sein künstlerisches Werk als auch für seine unternehmerische Arbeit.

Teil von RECIPROCITY ist auch das Wandobjekt, das aus Myzel-Modulen besteht. Das akustische Paneelsystem aus dreieckigen Myzel-Formen produziert der Künstler in seinem von ihm mitgegründeten Jungunternehmen MOGU. Durch ihre poröse Struktur erzeugen die Myzel-Module eine akustische Isolierung. Die Objekte werden biologisch produziert und sind biologisch abbaubar. Durch die Steuerung von Feuchtigkeit, Temperatur und Substratzusammensetzung sowie den Einsatz mineralischer Pigmente können verschiedene Arten von Myzelien mit unterschiedlicher Festigkeit, Dichte und Farbigkeit hergestellt werden. Mit dem Ziel, Teil einer ökologischen Transformation zu sein, haben Maurizio Montalti und seine Mitstreiter:innen von Mogu die Bandbreite myzelbasierter Produkte erweitert und zu einer standardisierten Serienfertigung ausgebaut.

Der Film The Lower Fungi und die Makrofotografie Metabolic Transformation sind in Zusammenarbeit zwischen dem Mikrofotografen Wim van Egmond und Maurizio Montalti entstanden. Durch beschleunigte Langzeitaufnahmen vom Wachstum der Pilze, die durch Mikroskope und Stereoskope beobachtet wurden, entstanden hochauflösende Aufnahmen im Zeitraffer. Bei dem Objekt der Makrofotografie handelt es sich um dieselbe Art von Pilz, aus dem die Mogu Acoustic ASPEN-Fliesen bestehen.

Biomimicry, das Wissen und die Übertragung natürlicher Formen, Prozesse und Ökosysteme auf menschliches Handeln, ist ein zentraler Teil von Montaltis künstlerischer Praxis. 2010 gründete er in den Niederlanden das multidisziplinäre Studio Officinia Corpuscoli, in dem Wissenschaftler:innen und Designer:innen zu biologischen Prozessen und zur Verbindung menschlicher und nicht-menschlicher Wesen forschen. Insbesondere arbeitete Montalti eng mit Mykolog:innen (Pilzwissenschaftler:innen) und Forscher:innen der Universität Utrecht sowie des Fungal Biodiversity Centre CBS zusammen, um vielfältige Formen des Myzels, die Gesamtheit aller fadenförmigen Zellen eines Pilzes, und ihr Potenzial für die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen zu erforschen. Gemeinsam mit ihnen hat Montalti Methoden entwickelt, die die biologischen Eigenschaften des Myzels nutzen, um biobasierte, abbaubare Produkte als Alternativen für traditionelle, oft umweltschädliche Produkte herzustellen.

„In nature, and that’s where you have to look if you want to learn something new, nothing disappears. It simply changes shape.“ (Maurizio Montalti)

Maurizio Montalti (IT) ist ein italienischer Designer, Forscher, Pädagoge und Unternehmer mit einem Master in Conceptual Design von der Design Academy Eindhoven (NL) und in Industrial Engineering and Management von der Università di Bologna (IT). Er ist der Gründer und kreative Leiter des in Amsterdam (NL) ansässigen Büros Officina Corpuscoli (2010), wo er Designforschung betreibt. Zudem ist er Mitbegründer, Designer und Direktor für Forschung und Entwicklung bei Mogu, einem Designunternehmen, das sich auf die Entwicklung von Hochleistungslösungen und -produkten auf der Grundlage von Myzel spezialisiert. Er war Co-Leiter des MAD-Masterstudiengangs (Materialisation in Art and Design) am Sandberg Instituut in Amsterdam (NL), hat an der Design Academy Eindhoven (NL) geforscht und ist derzeit als künstlerischer Leiter der DAS – Design Akademie Saaleck (DE) tätig. Darüber hinaus unterrichtet er an verschiedenen niederländischen und internationalen Akademien und Universitäten. Seine Arbeiten wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und weltweit in renommierten Museen, Galerien und Institutionen ausgestellt, darunter das Museum of Modern Art in New York (US), das Centre Pompidou in Paris (FR), das Design Museum London (UK), die Triennale di Milano (IT), das MAXXI in Rom (IT) und das Museum für Angewandte Kunst in Wien (AT).