Personal Photographs November 2007, 2019
Installation
Maßgefertigte Kabeltrassen von OBO Bettermann, Ethernet-Kabel, digitale Bilder, Single-Board-Computer, Metallgehäuse, Micro-SD-Karten, USB-Flash-Laufwerke, Ethernet-Adapter, eigens entwickelte Software
Größe variabel
Courtesy die Künstler:innen und Apalazzo Gallery
Personal Photographs November 2007 ist ein in sich geschlossenes Netzwerk zwischen zwei Raspberry Pi-Mikrocomputern, die mit Kabeln verbunden sind und ständig Dateien miteinander austauschen. Mit den Kabeln und Kabeltrassen entsteht eine ortsspezifische temporäre Skulptur. Wie der Titel der Installation bereits andeutet, zirkulieren im geschlossenen System 101 persönliche Fotos des Künstler:innenduos. Die Bilddateien bleiben für die Besucher:innen allerdings bewusst unsichtbar – Bilder ohne Betrachter:in und doch immer da, wie die meisten Bilder heutzutage.
Die Installation basiert auf dem mit David Huerta entwickelten Code, der auf der Open-Source-Plattform Github verfügbar ist. Huerta ist Trainer für digitale Sicherheit bei der Freedom of the Press Foundation, wo er an Methoden arbeitet, um Journalist:innen darin zu schulen, die Vorteile von Technologien zur Verbesserung der Privatsphäre zu nutzen, um eine freie Presse zu stärken. Das Open-Sourcing ermöglicht Entwickler:innen und Künstler:innen weltweit, den Code zu nutzen, zu erweitern und anzupassen.
Die Bilddateien, die im System Personal Photographs zirkulieren, wurden von Eva & Franco Mattes im November 2007 aufgenommen. Die Auswahl vermittelt einen Eindruck davon, welch riesige Quantität an Bildern sich auf Handys und Computern ansammelt, da Kommunikation und Interaktion zunehmend in Form digitaler Bilder stattfindet und in immenser Menge hochgeladen wird.
Seit der Entstehung des öffentlichen Internets gab es wesentliche Phasen der Entwicklung. Anfangs als Read-Only-Instrument – also reines Zugreifen auf Informationen – entwickelte es sich zu einem interaktiven Kommunikationsnetz. Ab 2004 wurde mit Web 2.0 die direkte Beteiligung der Nutzer:innen möglich. Jeder konnte Inhalte selbst generieren und veröffentlichen. In nachfolgenden Wellen wurden Bildplattformen zum Trend, die sich in immer rasanterer Abfolge gegenseitig ablösten: die Fotobörse Flickr (2004), der Fotoblog WordPress (2005), das soziale Netzwerk Facebook (2004), der Mikrobloggingdienst Twitter (2006), Instagram (2010) oder TikTok (2016) sowie Instant-Messaging-Apps wie WhatsApp (2009), Snapchat (2011) und BeReal (2020).
Die überwiegende Mehrheit der Bilder existiert heutzutage nicht in Form von gedruckten Fotografien, die an einer Wand hängen oder in einem Buch abgebildet sind. Sie werden als allgegenwärtige Dateien ständig kopiert und zwischen Geräten, von einem Datenzentrum zu einem anderen, durch kilometerlange Kabel oder Luft übertragen.
Die freiwillige Teilnahme aller Nutzer:innen weltweit gibt den wenigen globalen Internetkonzernen die Möglichkeit, die Totalität der veröffentlichten Inhalte als Datensätze zu nutzen. Einerseits existiert ein nur geringes Bewusstsein über den Zugriff der Konzerne auf die Daten. Andererseits ist die Akkumulation von Informationen bei den wenigen, großen Konzernen so erschreckend hoch, dass sie über Big Data Management Vorhersagen über kollektives Verhalten, aber auch Kontrolle über Gesellschaften ausüben können. Politik und demokratische Strukturen hinken hinterher.
Über die Metadaten geben digitale Bilder viele Informationen preis: das Datum und die Uhrzeit der Aufnahme, geografische Koordinaten, aber auch Details über die verwendete Technik. Somit werden beim Teilen von Bildern unbewusst zusätzliche Informationen an eine Öffentlichkeit weitergegeben. Auch wurden Social Media-Inhalte bereits seit ihrer Entstehung ohne das Wissen der Nutzer:innen als Datensätze für das maschinelle Lernen genutzt.
Während Menschen Content auf sozialen Medien zum Zweck der Unterhaltung und Freizeit hochladen, werden diese frei zugänglichen Informationen von Unternehmen genutzt und monetarisiert, um Einnahmen zu erzielen, ohne dass die Autorenschaft eine Rolle spielt.
Lange vor dem Aufkommen sozialer Medien haben sich Eva & Franco Mattes mit dem Teilen persönlicher Informationen auseinandergesetzt. In ihrer Performance Life Sharing, die von 2001 bis 2004 stattfand, veröffentlichten die Künstler:innen alle Inhalte ihres Computers: Alle ihre Kunstwerke sowie privates Material – einschließlich E-Mails, Texte, Fotos und Kontoauszüge – waren über ihre Webseite frei zugänglich. Damals als radikaler Akt empfunden, wird heute diese Handlung des oversharing auf sozialen Medien als akzeptabel, oder sogar wünschenswert, wahrgenommen.
Durch ihre Installation Personal Photographs revidieren die Künstler:innen diese Praxis und stellen ein Privatarchiv aus, zu dem Außenstehende keinen Zugang haben. Allein die Trägerstruktur, die Hardware, bleibt als skulpturale Erscheinung im Raum zurück. Nicht ihre Privatsphäre, sondern die Infrastruktur von Daten wird sichtbar gemacht. Die Materialität erzeugt eine Präsenz im Raum. Diese verweist darauf, dass digitale Inhalte und Bilder eine materielle Infrastruktur benötigen, um gespeichert, gesendet und geteilt zu werden. Die physische Fragilität von digitalen Netzwerken wird als Skulptur umgesetzt. Diese passt sich der bereits vorhandenen Architektur an und prägt die Art und Weise, wie sich die Besucher:innen im Raum bewegen. In diesem Fall kanalisiert sie nur die physischen Bewegungen, aber natürlich formt die Technologie auch unser Verhalten, unsere Gefühle, Erinnerungen, Erwartungen, Ängste und Träume.
Wir danken OBO Bettermann