Pia Ferm

Capriccio (study), 2023

Handgetufteter Wandteppich
Woll-, Leinen- und Polyestergarn, Polyestergewebe, Textilkleber
225 x 420 cm
Courtesy die Künstlerin

Pia Ferm zeichnet, ist Bildhauerin und arbeitet mit textilen Materialien und mit Marmor. Ihre Arbeiten entstehen aus dem zeichnerischen Akt, den sie dann in verschiedene Materialien und Praktiken übersetzt.

Für die Ausstellung hat die Künstlerin eine großformatige Rauminstallation, ein skulpturales Textilbild, realisiert. Über Wochen arbeitete Pia Ferm in einer eigens für sie aufgebauten Werkstatt im Frankfurter Kunstverein, um das erste Mal an einem monumentalen Format zu arbeiten. Das Panorama, das sie realisiert hat, zeigt eine abstrahierte, vom Menschen geschaffene Landschaft, die aus ihrer Erinnerung an ganz verschiedene urbane Orte entstanden ist: an eine Baustelle in der Stadt, an ein verlassenes sonnendurchflutetes Industriegebiet mit Flachdächern, ein Steinbruch oder eine große Steinmühle. Ferm denkt diese Orte als freistehende Gebilde, getrennt durch staubige Freiflächen. Diese architektonischen Fundstellen hat sie zu einem Ensemble zusammengefügt. Wie in urbanen Räumen ist Ferms Landschaft durch Verdichtungen und Leerstellen geprägt.

Pia Ferm geht bei der Umsetzung ihrer Werke extrem planvoll vor. Sie fertigt visuelle Ideen als Skizzen an, sie notiert sich Erinnerungen und Eindrücke von Farben und Formen. Ferm forscht an einer eigenständigen Farbpalette, um präzise konzipierte Farbmischungen und -nuancen durch das Mischen unterschiedlicher Wollfäden zu erzielen. Die fertigen Farbschattierungen innerhalb einer Fläche entstehen durch zeitaufwändige und akkurate Arbeit mit den einzelnen Wollfäden.

Die Künstlerin empfindet ihren Arbeitsprozess als eine Erfahrung des Verstehens und des Bändigens ihres Materials. Die Formen und Oberflächen sind oft durch Linien konturiert. Ausgehend von ihren Zeichnungen setzt sie auf dem gespannten Tufting-Stoff Linien und Konturen, die sie dann mit Farbflächen füllt und dreidimensional modelliert. Einzelne architektonische Körper scheinen durch Sonnenlicht ihre Schatten und Reflektionen zu zeichnen. Pia Ferms Motive sind in der Schwebe zwischen Abstraktem und Figürlichem und werden nicht allein durch Linien und einfarbige Flächen gebildet. Die textile Skulptur wird dank einer tragenden Struktur aus Holz, die der Künstlerin als Tufting-Rahmen gedient hat, im Raum positioniert.

Seit mehreren Jahren arbeitet sie mit der Tufting-Technik. Beim Tuften handelt es sich um eine Praxis, die seit den 1920er Jahren mit der ersten Tufting-Maschine für die industrialisierte Herstellung von Teppichböden genutzt wird. Das Tuften funktioniert ähnlich wie eine Nähmaschine: mit hohem Tempo sticht die Maschine das dicke Garn in den Teppichbodenrücken. Es wird von hinten gearbeitet, auf der Vorderseite entstehen dadurch Schlaufen, die wie ein modellierbares Material behandelt und beschnitten werden, um dreidimensionale textile Flächen herzustellen. Während im industriellen Verfahren mehrere Nadeln nebeneinandergesetzt werden, arbeitet Pia Ferm mit einer speziell entwickelten Handtuftmaschine, die von einer Luftdruckpistole und einem Kompressor aktiviert wird, um Stiche auf das gespannte Trägermaterial zu nähen. Das Arbeiten mit der pistolenähnlichen Maschine wählt die Künstlerin auch, um Assoziationen mit weiblich konnotierter Textilproduktion zu brechen.

Die prozesshafte Handarbeit spielt eine zentrale Rolle in ihrer Praxis: von der sorgfältigen Auswahl ihrer Materialien über den Einsatz der kontrollierten körperlichen Bewegungen für den Arbeitsablauf bis hin zum profunden Wissen um ihren Werkstoff und dem technischen Know-how.

Vertraut mit traditionellen Handwerkstechniken, die Zeit, Wissen und konzentriertes manuelles Arbeiten erfordern, entscheidet sich Pia Ferm bewusst für das Tuften, um dreidimensionale Bilder zu schaffen, die sie gleichzeitig als Zeichnung, Malerei und als Skulpturen betrachtet. Ob Wolle, Leinen, Baumwolle oder Cottolin, Pia Ferm bezieht ihr Material immer aus familiengeführten Unternehmen aus Schweden, wo es von einer kleinen Färberei mit Naturpigmenten gefärbt wird. Der Arbeitsprozess ist langwierig, dynamisch und körperlich anstrengend. Er besteht aus einer ständigen Wiederholung von Schauen, Schießen, Zurücktreten, Schauen, Schießen und immer wieder das Überprüfen der anderen Seite. Der Prozess des Schaffens wird zu einem Akt malerischen Ringens um die finale Komposition.

Pia Ferm (*1986 in Lykesil, SE) absolvierte 2020 ihr Studium an der Hochschule für Bildende Künste – Städelschule in Frankfurt am Main (DE) bei Prof. Tobias Rehberger. Seitdem produziert sie Wandteppiche und Marmorskulpturen. Zuvor studierte Sie Druckgraphik und Malerei an der Dômen Artschool in Göteborg (SE). Unter anderem stellte sie in folgenden Institutionen aus: Galerie Judith Andreae, Bonn (DE), Nassauischer Kunstverein Wiesbaden (DE), Opelvillen, Rüsselsheim, (DE), Museum Villa Rot, Burgrieden (DE), Portikus, Frankfurt am Main (DE), Göteborgs Konstförening, Göteborg (SE).