Prof. Dr. Luciano Rezzolla, Institut für Theoretische Physik, Goethe-Universität Frankfurt

„In der Physik geht es darum, die Transzendenz der Mathematik zu nutzen, um die Immanenz des Universums, in dem wir leben, zu enthüllen. Das Foto eines schwarzen Lochs ist ein perfektes Beispiel dafür, wie ein Objekt, dessen Existenz rein mathematisch war, durch die gemeinsame Arbeit von Hunderten von Wissenschaftlern in ein physisches Objekt verwandelt wurde. Die Ausstellung nimmt den Besucher mit auf diese Reise von der Mathematik zur Physik, von der Abwesenheit zur Anwesenheit und zurück.“

Prof. Dr. Luciano Rezzolla, Institut für Theoretische Physik, Goethe-Universität Frankfurt

 

Schönheit und Komplexität

Einsteins Feldgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie und Schwarzschild-Lösung des Schwarzen Lochs, 1915
ADM Gleichung von Arnowitt, Misner und Deser
CCZ4 Gleichung von Alic, Bona-Casas, Bona, Palenzuela, Rezzolla
Foliendruck auf Plexiglas, jeweils 150 x 85 cm
Courtesy Prof. Dr. Luciano Rezzolla, Institut für Theoretische Physik, Goethe-Universität Frankfurt

In der modernen Physik schwankt eine Theorie oft zwischen der Anwesenheit von Schönheit bei Abwesenheit von Komplexität und der Anwesenheit von Komplexität bei Abwesenheit von Schönheit.

Dies geschieht jedes Mal, wenn die Theorie in ihrer idealisierten Form – in der die mathematische Schönheit dominiert und die Komplexität verborgen ist – sich realistischen Bedingungen unterordnet, wie sie für tatsächliche Berechnungen erforderlich sind. Dann verblasst die mathematische Schönheit und wird durch eine weniger schöne Komplexität ersetzt.

Die erste Zeile auf der linken Tafel zeigt die Einstein-Gleichungen, wie sie vollends die Theorie beschreiben, die unser Verständnis von Schwerkraft revolutioniert hat. Die zweite Zeile hingegen zeigt die Lösung, die der Frankfurter Karl Schwarzschild gefunden hat und die ein Schwarzes Loch repräsentiert. In beiden Fällen verbirgt die einfache mathematische Schönheit die enorme Komplexität von Einsteins Theorie und die Herausforderungen hinter dem Konzept des Schwarzen Lochs.

Die mittlere Tafel zeigt die Einstein-Gleichungen in einer Form, die häufig verwendet wird, um physikalische Gesetze darzustellen. In diesem Fall wird die vierdimensionale Raumzeit (also die Kombination von Raum und Zeit) in einen dreidimensionalen Raum und eine eindimensionale Zeit aufgeteilt. Ein Übergang zwischen Schönheit und Komplexität beginnt sich abzuzeichnen.

Die rechte Tafel zeigt dieselben Einstein-Gleichungen wie die linke, jedoch in einer Form, die notwendig ist, um diese Gleichungen mit Hilfe von Supercomputern zu lösen. So geschrieben, können die Einstein-Gleichungen verwendet werden, um beispielsweise zu berechnen, was geschieht, wenn zwei Neutronensterne kollidieren und ein Schwarzes Loch entsteht. In diesem Fall ersetzt Komplexität (die nichtsdestotrotz über ihre eigene Schönheit verfügt …) die kompakte Schönheit der Einstein-Gleichungen.

 

Sehen, was nicht gesehen werden kann

Das Schwarze Loch Sagittarius A*, 2022
Digitalprint auf schwarzem Forex, 150 x 150 cm
© Event Horizon Telescope collaboration et al.
Courtesy Prof. Dr. Luciano Rezzolla, Institut für Theoretische Physik, Goethe-Universität Frankfurt

Im April 2017 nutzten Wissenschaftler:innen der internationalen Kollaboration „Event Horizon Telescope“ (EHT, dt. „Ereignishorizontteleskop“) acht hochfrequente Radioteleskope, die über den gesamten Globus verteilt sind, um Radiowellen einzusammeln, die vom Zentrum unserer Galaxie ausgesendet wurden.

Im April 2022, nach drei Jahren sorgfältiger Analyse der Daten und ihrer theoretischen Modellierung, präsentierte das EHT der Welt das Bild von Sagittarius A*, dem Schwarzen Loch im Zentrum der Milchstraße, das hier gezeigt wird.

Was umgangssprachlich als „Foto“ bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit eine Karte der über die Zeit gemittelten Intensität der Radioemission. Das Eigenartige an diesem Bild – das aussieht wie ein Donut – ist die nahezu kreisförmige Gestalt des hellen Bereichs und die Präsenz eines dunklen Bereichs in der Mitte. Einer Region, die Wissenschaftler:innen den „Schatten“ des Schwarzen Lochs nennen.

Der Schatten, der eine präzise Vorhersage von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie ist, offenbart die Anwesenheit eines Ereignishorizonts und damit eines Schwarzen Lochs. Mathematisch ist ein Schwarzes Loch eine Lösung im Vakuum der Einstein-Gleichungen im Vakuum, das heißt, in Abwesenheit jeglicher Form von Materie oder Energie. Dennoch manifestiert sich die Anwesenheit des Schwarzen Lochs durch die Krümmung der Raumzeit, die es erzeugt, und die die Bewegung von Objekten in seiner Nähe verändert.

Da der Ereignishorizont das Licht absorbiert, das in seiner Nähe produziert wird, ist das Zentrum des Fotos dunkler, da es das Licht „stiehlt“, das wir sonst empfangen würden. Gleichzeitig kann in der Nähe des Ereignishorizonts, wo die Temperaturen hoch sind und die Emission verstärkt ist, noch Licht ausgestrahlt werden, ohne vom Schwarzen Loch absorbiert zu werden. Dies ist das Licht, das wir effektiv empfangen und das auf dem Foto zu sehen ist.

 

Berühren, was nicht berührt werden kann

Schwarzes Loch SgrA* als tastbares 3D-Modell, 2024
⌀ 19,5 cm, Höhe 6 cm
Produziert für die Ausstellung Das Anwesende des Abwesenden im Frankfurter Kunstverein mit Unterstützung des Europäischen Forschungsrates (ERC – European Research Council)
Courtesy Prof. Dr. Luciano Rezzolla, Institut für Theoretische Physik, Goethe-Universität Frankfurt

Der Ereignishorizont, also die äußere Oberfläche eines Schwarzen Lochs, kann nicht gesehen werden, da von dieser Oberfläche, wo die Schwerkraft extrem ist, kein Licht ausgestrahlt werden kann.

Dennoch kann die Anwesenheit eines Schwarzen Lochs in Bezug auf seinen „Schatten“ abgeleitet werden, also der dunklen Vertiefung in der Mitte des großen Bildes an der Wand, das von der internationalen Kollaboration „Event Horizon Telescope“ (EHT) erstellt wurde. Die dunkle Region spiegelt die Abwesenheit von Licht in der Nähe des Ereignishorizonts wider und hat es uns ermöglicht, ein Schwarzes Loch im Zentrum der Galaxie (Sgr A*) zu „sehen“, wie es Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie vorhergesagt hat.

Aber was, wenn wir nicht sehen können? Wie kann ein Schwarzes Loch von denen „gesehen“ werden, deren Augen kein Licht empfangen können?

Was hier gezeigt wird, ist eine 3D-Darstellung der Intensität der Radioemission von Sgr A*. Erkunden Sie sie gerne mit Ihren Händen. Auf diese Weise können Sie sich vorstellen, wie eine blinde Person das wahrnimmt. Das Rendering hilft uns auch dabei, uns die sehr starke Krümmung von Raum und Zeit vorzustellen, die sich in der Nähe eines Schwarzen Lochs entwickelt und die der 3D-Druck durch die steilen Wände nahe der Mitte des Schattens gut wiedergibt.

 

Die Anwesenheit enthüllen

Glashologramm-Kubus von Photon-Laufbahnen gekrümmt von der Anziehungskraft eines Schwarzen Lochs, 2024
15 x 15 x 15 cm, Glas
Produziert für die Ausstellung Das Anwesende des Abwesenden im Frankfurter Kunstverein mit Unterstützung des Europäischen Forschungsrates (ERC – European Research Council)
Courtesy Prof. Dr. Luciano Rezzolla, Institut für Theoretische Physik, Goethe-Universität Frankfurt

Ein Schwarzes Loch ist eine Lösung der Einstein-Gleichungen im Vakuum, also in Abwesenheit von Materie. Sein äußerer Rand wird durch den „Ereignishorizont“ repräsentiert, eine geometrische Oberfläche, wo die Schwerkraft so stark ist, dass nichts, nicht einmal Licht, ihr entkommen kann. Es ist also möglich, den Ereignishorizont zu betreten, aber nicht, ihn wieder zu verlassen.

Da er kein Licht ausstrahlen kann, kann der Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs auch nicht „gesehen“ werden, zumindest nicht im Hinblick auf Lichtstrahlen. Die Bewegung von Lichtstrahlen in seiner Nähe kann jedoch seine Präsenz offenbaren.

Der Block zeigt die Bahnen von Lichtstrahlen oder „Photonen“, wie Physiker sie auch nennen. Sie entstehen, wenn sie sich einem rotierenden Schwarzen Loch nähern oder es verlassen. Ihre komplexen und manchmal bizarren Bahnen sind das Ergebnis der stark gekrümmten Raumzeit. Der Kubus hilft zu verstehen, dass das zweidimensionale Bild eines Schwarzen Lochs, das wir mit Radioteleskopen vermessen und das daraus resultierende Foto, wirklich das Produkt der dreidimensionalen Bewegung von Lichtstrahlen ist, die aus allen Richtungen kommen und vom Schwarzen Loch abgelenkt werden.

Diese auch Trajektorien genannten Bahnen liefern nicht nur Informationen über die Existenz eines Schwarzen Lochs, sondern auch über seine Eigenschaften, nämlich Masse und Drehmoment (wie schnell es rotiert). Auf einer Seite des Kubus ist eine fast kreisförmige Form zu sehen, die Wissenschaftler den „Schatten“ des Schwarzen Lochs nennen. Die Größe und Form des Schattens zu messen, hilft ihnen, die Anwesenheit eines Schwarzen Lochs zu enthüllen und seine Eigenschaften zu verstehen.

Texte von Prof. Dr. Luciano Rezzolla