Sonja Yakovleva, INSTAREXIE, Gym Bro und Pink sexy gym boot camp

Gym bro, 2024
Papierschnitt, Fotokarton
110 x 318 cm

Pink sexy gym boot camp, 2024
Papierschnitt, Fotokarton
265 x 295 cm

Ohne Titel, 2024
Papierschnitt, Fotokarton
680 cm / ⌀ 47 cm

INSTAREXIE, 2024
Deckeninstallation aus 240 Papierschnitten, Fotokarton, Farbfolie
je 68 x 68 cm

Courtesy die Künstlerin

Seit mehr als zehn Jahren perfektioniert Sonja Yakovleva die Kunst des Scherenschnittes. Sie überführt dieses historische Medium in die absolute Gegenwärtigkeit. Yakovleva lebt mit Intensität und ist gleichzeitig Chronistin der heutigen Zeit. Ihr Blick auf die Welt, auf Menschen und auf die Alltagskultur ist präzise und lustvoll, sie sammelt und erkennt Muster menschlichen Verhaltens, die sie in Zeichnungen bannt und in ihren Schattenbildern verdichtet zeigt. Ihre Kunst ist prall und lebensbejahend. Ihre Arbeit ist wie der Beitrag einer „embedded artist“. Sie berichtet unabhängig aus gegenwärtigen Popkulturen, für die sie sich ins unmittelbare Geschehnis begibt.

Für die Ausstellung des Frankfurter Kunstvereins hat Sonja Yakovleva ihren Blick und ihre intensive Recherche auf neue Bereiche gerichtet. Alle Werke wurden neu geschaffen und über drei Räume als monografische Präsentation entwickelt. Es ist die Macht des Körpers, den die Künstlerin untersucht – einerseits der Körper als formbare Materie für die mediale Eigeninszenierung und andererseits der streikende Klassenkörper im städtischen Raum.

Yakovleva eröffnet den Ausstellungsparcours mit überdimensionalen Figuren aus dem Körperkult der Fitnesswelten: Gym bro und Pink sexy gym boot camp. Zwei Silhouetten, eine männliche und eine weibliche, in der Pose des Muskeln flexens – Körper aus der CrossFit Welt – bigger than life, muskulös, stark und geformt.

Sonja Yakovleva entwickelt die Motive zwischen Dokumentation und Fiktion, zwischen der eigenen Trainingspraxis, umfassenden Recherchen in Studios, Instagram Fitness Feeds und geprompteten Fantasien, die sie dann in ihren Scherenschnitten verdichtet. Sie durchforstet digitale Bildwelten in den unterschiedlichen Echoblasen der Online-Kulturen und filtert Bilder heraus, die sie als Material verwendet. Ihr sicheres Gespür für ikonografische Elemente und kulturelle Symbole, die unsere Zeit markieren, ist unverwechselbar.

Selbstoptimierung und Selbstinszenierung des Körpers sind schon immer menschliche Bestrebungen. In der digitalen Netzkultur haben Beauty-Filter die Schönheitsideale durch die Übertreibung einzelner Merkmale so verschoben, dass Menschen den realen Körper an ihr digitales Abbild anpassen – ein Zeitgeist Phänomen ist einstanden: Snapchat-Dysmorphia.

In thematischen Fitnesswelten wird jede und jeder zum/zur Bildhauer:in und Image Produzent:in des eigenen Körpers und dessen Abbilds. Allein in Deutschland wachsen Mitgliedschaften in Fitnessstudios um 10% im Jahr. Aktuell bescheren mehr als 11 Millionen Menschen der Branche Umsätze in Höhe von über 5,44 Milliarden Euro.

Sonja Yakovlevas Werk feiert schon von Beginn an die Körperlichkeit. Der Gegensatz zwischen absolut gegenwärtigen Motiven und der historischen Technik, die sie seit Jahren perfektioniert hat, ist ihr Wiedererkennungsmerkmal. Bilder aus der schnelllebigen Netzkultur übersetzt sie mit extremer Zeitintensität und manuellem Aufwand als minuziöse Handarbeit zu Scherenschnitten.

In INSTAREXIE erschafft Yakovleva ihre Schattenbildarbeit zum ersten Mal als Deckeninstallation. Sechs Bildflächen mit insgesamt 240 Kacheln komponieren das monumentale Motiv. Jedes einzeln gezeichnet, skaliert, übertragen und herausgeschnitten. Eine komplexe Komposition aus Konturen und Binnenschnitten. In der neuen, raumgreifenden Installation ist das zentrale Element der Körper als Materie des optimierbaren Selbst. Die Deckenareale zeigen in sich geschlossene Fitnesswelten mit differenzierten Community-Ästhetiken – Barry’s Bootcamp, Urban Heroes, Pilates Fused und unzählige mehr – Boutique Gyms, die zu thematischen Bühnen werden. Hier tritt man auf und performt die Arbeit am eigenen Körper unter den Blicken der Anderen. Die großflächigen Spiegel, transparenten Glasfassaden und allgegenwärtigen Handykameras dienen nicht nur als perfekte Kulissen für die Präsentation des Körpers. Sie dienen auch der Selbstkontrolle, zum Vergleich, zum Antrieb und der Konkurrenz. Jede:r will die persönliche körperliche Macht inszenieren und dafür Anerkennung ernten. Aussehen wird durch Leistung geformt. Sag mir welcher Fitness Welt du angehörst und ich sage dir, wer du bist.

Yakovleva betont explizit den anstaltsähnlichen Charakter der Fitnessstudios. In der Multioptionsgesellschaft wird der menschliche Körper quantifiziert, vermessen, überwacht. Die Fitnessuhr misst immer mit. Der Leib ist nicht schicksalhaft zu akzeptieren, sondern das Resultat von Willen, Disziplin und Arbeit.

Es ergibt sich ein neoliberales Spannungsfeld zwischen Freiwilligkeit und Unterwerfung. Leistungsanforderungen und Idealbildanpassung sind verinnerlicht und üben Macht aus. Das Fitnessstudio wird zu einer Körperfabrik: Körper werden optimiert, die Effizienz gesteigert, Flexibilität ist ein Leitbild, Strenge und Härte gegenüber der eigenen Durchhaltekraft sind Tugenden. Das Arbeiten gegen die eigenen Grenzen gilt als übergeordnetes Motto.

Sonja Yakovlevas Arbeit führt ans Licht, dass jeder Körper Spuren seiner sozialen Herkunft trägt und sich an ihm die Machtverhältnisse einer Gesellschaft abzeichnen. Die Häufigkeit der Besuche von Fitnessstudios wird zum Statussymbol – genauso wie die Auswahl des Clubs. Man besucht ihn täglich, vor und nach der Arbeit – besonders bei den gut bezahlten Jobs, in denen keine körperliche Arbeit mehr verrichtet wird, ist Workout Pflicht. Und eine Statistik von 2017 zeigt, dass Frankfurt die Großstadt mit dem höchsten Anteil an aktiven Fitnesstudiobesucher:innen ist, meist im Premium-Segment.

Yakovleva selbst boxt im Ibra Boxing in Frankfurt. Für die Ausstellung hat sie exzessiv neue Fitnesswelten ausprobiert. Die Essenz ihrer Beobachtungen hat sie in den Schattenbildern gebannt. Ass Ass Ass ist ein dominantes Element. Der weibliche Arsch als Ikone. Das Brazilian Butt Lifting ist weltweit zum praktiziertesten Eingriff avanciert. Inbegriff der Objektivierung des weiblichen Körpers durch den männlichen Blick und gleichzeitig Symbol der neoliberalen, postfeministischen Weiblichkeit – autonom, frei entscheidend, unternehmerisch. Yakovlevas Arbeiten provozieren dadurch, dass ihre Bilder sexistische Darstellungen zitieren, sie aber in der Haltung befreiten Empowerments geschaffen wurden. Die Selbstoptimierung des Körpers in der Fitnesskultur ist harte Arbeit. Arbeit in der freien Zeit, einem inneren Diktat folgend, verspricht durch den perfekten Körper gesellschaftliche Anerkennung und Teilhabe.

Yakolevas monumentale Bildwelten verdichten und komprimieren, zitieren und karikieren ihre Beobachtungen. Sie schaut mit Humor und Ironie auf die neue Generation der Gläubigen bei der Zelebrierung kollektiver Rituale eines Fitnesskultes. Sie portraitiert die Orte, in denen fanatisch Körperarbeit ausgeübt und quantifizierte Leistungssteigerung durch Coaches, Headsetkommandos und präzise Taktungen geleistet wird. Oder die Dehnbarkeit des idealen Körpers in minimalistischen Pilateswelten mit Smoothies und Bowls. Yakovlevas Blick ist schonungslos und sinnlich zugleich. Sie stellt sich aber nie über ihre Figuren, sondern lässt sich voll und ganz auf sie ein.