Thomas Feuerstein
Hydra, 2021
Grünalgen (Chlorella vulgaris), Kunststoff, Stahl, Glas, Pumpsystem, Bioreaktor aus Glas, Stahl, Pumpentechnik, PVC-Schläuche, Lichtelement
110 x 110 x 495 cm; 315 x 100 x 100 cm (Bioreaktor)
Mit freundlicher Unterstützung durch Muffathalle München
Green Hydra, 2021
Hydren (vielköpfige Hydra viridissima), Glas, Kunststoff, Pumpentechnik, Kühlschrank
170 x 72 x 57 cm
Ernte, 2007
Karbonisierte Algen und Kunstharz auf Holz
200 x 270 cm
Green Blood, 2021
Wandgrafik
325 x 250 cm; 325 x 1137 cm
Courtesy der Künstler und Galerie Elisabeth & Klaus Thoman
Thomas Feuerstein ist ein Universalkünstler, der Philosophie betreibt, Literatur- und Science Fiction-Texte verfasst, naturwissenschaftliche Versuchsanordnungen konzipiert, Labormethoden zur Gewinnung von Rohstoffen einsetzt und damit malerische und skulpturale Werke schafft. Seit fast dreißig Jahren arbeitet er an der Schnittstelle all dieser Disziplinen und untersucht die Wechselwirkung von Naturwissenschaft und Kunst, wobei ihn die übergeordneten Fragen nach der Existenz des Menschen interessieren.
Hydra ist seine neue raumgreifende Installation. Hierbei handelt es sich um ein geschlossenes System, das von einem Fotobioreaktor betrieben wird, der an ein U-Boot oder einen Walfisch erinnert und den Raum beherrscht. An die Metallform sind zahlreiche Schläuche angeschlossen, durch die eine grüne Flüssigkeit gepumpt wird, eine Suspension aus Wasser und lebendigen Grünalgen (Chlorella vulgaris). Die über 1000 Meter langen Polyurethanschläuche sind transparent, sodass die Lebewesen Licht erhalten, um die für sie lebensnotwendige Fotosynthese durchführen zu können.
Immer wieder in Feuersteins Werken kommt diese Mikroalge zum Einsatz. Chlorella vulgaris ist ein Modellorganismus in der Botanik, der in großer Anzahl im Labor gezüchtet wird, um als Versuchsobjekt für die biologische, medizinische und biotechnologische Forschung verwendet zu werden. Schon seit Beginn seiner Erforschung wurden Konzepte zur Nutzung als Nahrungsmittel, später als Energieträger und Biomasse in bioökonomischen Produktionen entwickelt.
Feuersteins Fotoreaktor Hydra ist Teil eines Kreislaufs, um das lebendige Material Alge zu filtern, zu trocknen und dann zu karbonisieren. Dieser Prozess findet bei der natürlichen Entstehung von Kohle über Millionen Jahre statt, wird aber durch menschliche Technik und dessen Nutzungsbestreben extrem zeitlich und räumlich konzentriert. Aus dem gewonnenen schwarzen Pigment presst der Künstler Stifte, mit denen er Zeichnungen und Gemälde fertigt. In der Ausstellung ist das Bild Ernte präsentiert. Wie oft bei Feuerstein werden Begriffe aus produktiven und ökonomischen Kontexten entliehen. Denn Ökonomie, so der Künstler, ist ein Grundprinzip des Zusammenlebens und der Gemeinschaftsbildung. Sowohl auf einer mikrobiologischen Ebene, als auch in menschlichen Gemeinschaften. Der Prozess des Stoffwechsels dient Feuerstein immer wieder als Modell eines Lebensprinzips. So wie das Endprodukt der chemischen Umwandlung einer Zelle der anderen als Baustoff dient, so erhebt Feuerstein diesen realen Prozess zu einem metaphorischen Denkmodell. Seine Arbeiten sind keine passiven Objekte, sondern autonome Agenten. In ihnen geschehen wahrhaftige Umwandlungen, Stoffwechselprozesse, die über die Dauer der Ausstellung am Leben gehalten werden müssen.
Die Green Hydra ist eine manuell gefertigte Glasskulptur, in deren Inneren die Lebewesen enthalten sind, deren äußere Form sie vergrößert abbildet. Mikroskopische Quallen leben in einer Flüssigkeit und gehen durch Symbiose eine Verbindung mit den Chlorella Algen ein. Im Inneren ihrer transparenten Körper sieht man den grünen Farbstoff der Mikroalgen. Beide Lebewesen ermöglichen es dem anderen durch ihre verschiedenen Stoffwechselprozesse zu leben. Symbiotische Lebensgemeinschaften haben in den vergangenen Jahren einen metaphorischen Stellenwert in der Debatte um neue Gesellschaftmodelle erhalten. Lynn Margulis hat mit ihrem Buch Der symbiotische Planet (1998) biochemische Beobachtungen auf menschliche Lebensformen übertragen und diese gedanklichen Abstraktionen disziplinübergreifend verfochten. Sie betonte die Fähigkeit von pflanzlichen Lebewesen mit ihrer Umwelt durch Kooperation Verbindungen mit anderen Arten einzugehen, sodass das Leben unterschiedlicher Arten in einem dauerhaften Gleichgewicht bleibt.
Ebenfalls interdisziplinär arbeitet Feuerstein seit Jahren mit einem Team von Biochemiker*innen, Physiker*innen und Mikrobiolog*innen unterschiedlicher Universitäten. Feuerstein setzt mit hoher wissenschaftlicher und ingenieurstechnischer Kompetenz biochemische Prozesse in seinen lebendigen Rauminstallationen ein. Diese Versuchsanordnungen lädt er auf mit seinem geisteswissenschaftlichen Wissen. So referieren die Werktitel auf antike Erzählungen. Die Hydra, das vielköpfige Ungeheuer der griechischen Mythologie, dem zwei Köpfe nachwachsen, wenn man ihr einen abschlägt, steht heute als Gleichnis für Konstellationen, in denen jeder Versuch einer Eindämmung oder Unterdrückung nur zur Ausweitung einer Eskalation führt.
Naturwissenschaft und Kunst vereint das Potenzial Ideen über die Wirklichkeit zu entwerfen. Dort wo die Wissenschaften eine These formulieren, die dann durch das Ersinnen von Versuchsanordnungen objektiv belegt werden muss, kann die Kunst die Hypothese frei im Raum stehen lassen und darauf ein Gedankenmodell bauen, das ergebnisoffen in den öffentlichen Diskurs getragen wird. Die Fiktion entsteht als öffentlich verhandelbares Bild, das eine gesellschaftliche Debatte initiieren kann.
Thomas Feuerstein (*1968, Innsbruck, AT) lebt und arbeitet in Wien (AT). Er studierte Kunstgeschichte und Philosophie an der Universität Innsbruck (AT), an der er auch promovierte. Seine künstlerische Praxis verbindet Phänomene aus Philosophie, Kunstgeschichte und Literatur mit Biotechnologie, Wirtschaft und Politik zu künstlerischen Narrativen. Seine Arbeiten umfassen Installationen, prozessuale Skulpturen, Zeichnungen, Hörspiele, Bio- und Netzkunst. Seit 1997 ist Feuerstein Lektor und Gastprofessor an Universitäten und Kunsthochschulen, derzeit Professor für künstlerische Diskurse am Institut für experimentelle Architektur/studio3 der Universität Innsbruck (AT). Unter anderem hat Thomas Feuerstein in den folgenden Institutionen ausgestellt: 15. Biennale de Lyon (FR), 6. Guangzhou Triennial (CN), Moscow Museum of Modern Art, Moskau (RU), Kunstraum Dornbirn (AT), ERES Foundation, München (DE), Medical Museion, Kopenhagen (DK), Chronus Art Center, Shanghai (CN), Galerie im Taxispalais, Innsbruck (AT), Kunstverein Heilbronn (DE), ZKM Zentrum für Kunst und Medien, Karlsruhe (DE), Palazzo Strozzi, Florenz (IT).