Thuy Tien Nguyen
Tokyo, 2025
47 x 46 x 62 cm
New York Toronto, 2025
200 x 46 x 56 cm
Beijing Hanoi Paris, 2025
78 x 44 x 65 cm
Edelstahl, Sperrholz, PU-Leder, Stahlgetriebe, Motor, Schrittmotor, Spieluhrmechanik
Courtesy die Künstlerin
Thuy Tien Nguyen (*1993 in Hanoi, VN) ist Absolventin der Hochschule für bildende Künste–Städelschule und lebt zwischen Frankfurt am Main und Hanoi. Ausgangspunkt ihrer Arbeit sind oft die Eigenschaften von Alltagsgegenständen. Sie hinterfragt deren erzählerische Bezüge und die Aussagekraft innerhalb von gesellschaftlichen Codes.
Für And This is Us hat Nguyen drei Möbelstücke in Vietnam produzieren und nach Deutschland importieren lassen. Ein Schubladenschrank, ein Konferenztisch und ein Bürostuhl. Elemente, die zur festen Einrichtung jedes Büros zählen. Diese fertigt sie mit auf Hochglanz polierten Oberflächen, in reflektierenden Dunkeltönen und mit glänzenden Stahlstangen an. Die hochwertige Formsprache vermittelt eine edle, jedoch standardisierte Wirkung, wie man sie aus executive offices großer Kanzleien oder Konzernen kennt. Nguyen hat die Dimension der drei Objekte im Maßstab reduziert. Sie wurden ihrer ursprünglichen Funktion entleert, um zu Resonanzkörpern eines Räderswerks zu werden, dass eine Melodie spiel.
In allen Kulturen und zu allen historischen Zeiten wurde die Inszenierung von Macht durch die Anordnung und Gestaltung von Räumen und deren Einrichtung kultiviert. Die Größe des Tisches eines Präsidenten/einer Präsidentin, die Distanz, die dieser zum Gegenüber herstellt, die modulierte Höhe eines Sitzmöbels, die eine hierarchische Ordnung vorzugeben weiß, oder ein Raumtrenner, der die öffentliche von der privaten Sphäre abtrennt, als verzierter Paravent. Auch am Finanzplatz Frankfurt, wo Banken und internationale Rechtsanwaltskanzleien ihren Sitz haben, sind Räume, in denen Macht verwaltet und ausgeübt wird, immer sorgfältig inszeniert.
In die drei Objekte des finanzkapitalistischen Alltags hat Nguyen filigrane Systeme mit Zahnrädern installiert, die durch Spieldosen eine Melodie erzeugen. „It’s just a burning memory“. Der Song rekurriert auf ein Musikprojekt, welches das Vergessen in den Mittelpunkt stellt. Der Song ist die verlangsamte Version eines Originals aus den 1930er Jahren, womit das Vergangene ein Echo im Heute hinterlässt. Die mechanische Funktionsweise hat sie anhand existierender Mechanismen studiert, reverse-engineered und dann von einem vietnamesischen Ingenieur nachbauen lassen. Um das System im Frankfurter Kunstverein spielen zu können, setzt Nguyen einen Spannungsumwandler ein. Diese Umwandlung der Stärke der elektrischen Spannung vom vietnamesischen zum deutschen System ist bei Nguyen programmatisch. Sie unterstreicht die verschiedenen normierten Systeme, die hier als Differenz an Leistung eine Verzerrung der gespielten Melodie hervorbringen. Die Anpassung einer globalen Ästhetik des Mobiliars scheint nicht zu gelingen, der verzerrte Klang lässt den Anschein der Perfektion zerfließen. Nguyen verwendet in vielen ihrer Arbeiten Materialien mit konträren Eigenschaften – das Harte und das Weiche, das Organische und das Metallene, das Solide und das Flüssige.
Die makellosen und edlen drei Objekte zeigen sich in all ihrer Perfektion der Ausführung. Diese veredelte Formsprache strahlt eine Allgemeingültigkeit aus. Die Objekte erwecken den Eindruck, als Metaphern globaler gesellschaftlicher und ökonomischer Systeme dazustehen. Jedoch sind sie das Erzeugnis ausgelagerter Arbeit innerhalb einer globalen Marktwirtschaft, die immernoch kolonialen Trennlinien folgt.
Nguyen reflektiert, wie feine Unterschiede in der Gestaltung und Bearbeitung von Materialien hierarchische Positionen vermitteln können. Diese Formsprache transportiert gleichzeitig das Modell von unternehmerischem Handeln und Organisation, das weltweit übernommen wird.
Thuy Tien Nguyen (*1993, Hanoi, VN) lebt und arbeiten in Hanoi (VN) und Frankfurt am Main (DE). 2024 hat sie ihr Studium an der Hochschule für Bildende Künste – Städelschule als Meisterschülerin in der Klasse von Prof. Haegue Yang abgeschlossen. Zuvor schloss sie 2015 ihr Bachelorstudium an der Hanoi Academy of Theater and Cinema (VN) ab. In ihren Skulpturen und Installationen erforscht Nguyen Materialität und Wahrnehmung, indem sie Gegensätze wie Härte und Weichheit oder Trockenheit und Feuchtigkeit inszeniert. Ihre Arbeiten erzeugen oft atmosphärische Szenen, die Spuren vergangener Handlungen tragen und die Sinne der Betrachter:innen herausfordern.
Ihre Werke wurden in zahlreichen internationalen Institutionen, Festivals und Off-Spaces gezeigt, unter anderem in der Stiftung BINZ39, Zürich (CH), Hanoi Creative Festival Weekend 2024, Hanoi (VN), RAY Triennale im Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main (DE), Nova Contemporary, Bangkok (TH), Delfina Foundation, London (GB), Documenta 15 im Stadtmuseum Kassel (DE), Nassauischer Kunstverein, Wiesbaden (DE). Sie wurde für mehrere bedeutende Auszeichnungen nominiert und hat zahlreiche Preise gewonnen, den Young Generation Art Award von Monopol Magazine x Degussa (2025), den Absolventenpreis der Städelschule – Portikus e.V. (2024), den McKinsey Award (2023), das Deutschlandstipendium (2021), den DAAD Preis (2020) sowie den Ernst & Young Rundgang Preis (2020). Zu ihren Künstlerresidenzen zählen unter anderem das V.A.C. Residency Program in Hanoi, VN (2025), Salonul de proiecte in Bukarest, RO (2024), Koganecho Bazzar in Yokohama, JP (2018), Mutual Unknow by CuratorsLab in Jakarta, ID (2017).