Berlinde De Bruyckere

Embalmed – Twins I, 2017
Embalmed – Twins II, 2017
Wachs, Stoff, Leder, Seil, Holz, Eisen, Epoxid
197 x 158 x 615 cm; 190 x 145 x 570 cm; Eisenstruktur: 80 x 107 x 178 cm

Courtesy die Künstlerin und Hauser & Wirth

Berlinde De Bruyckeres Werk entsteht aus der Suche nach Bildern, um den großen existentiellen Fragen zu begegnen. Vergänglichkeit und Körperlichkeit, Schutzlosigkeit und Verbundenheit zu anderen Wesen sind die Themen, die ihre Arbeiten zu einmaligen Erfahrungen in der zeitgenössischen Kunst machen. In der Ausstellung Die Intelligenz der Pflanzen ist die monumentale Doppelskulptur Embalmed Twins I und II zu sehen. Die Skulpturen entstanden aus einem Fund in Frankreich. Zwei jahrhundertealte Eichen, die die Künstlerin immer wieder bei ihren Spaziergängen in ihrer Erhabenheit beindruckten, fielen dem Orkan Cyrill 2016 zum Opfer. Sie waren gemeinsam gewachsen und fielen mit verschränkten Kronen, als wäre dies Teil ihres Schicksals. Die Emotion beim Anblick der Macht natürlicher Gewalten wollte Berlinde De Bruyckere in ein Werk verwandeln.

Mit diesen gefundenen Stämmen begann ihre Arbeit der Transformation. Mit Wachs, Metall, Epoxid und Textilien hat sie die gefundenen Eichen zu Körpern verwandelt, die nicht mehr wie Bäume anmuten, sondern durch die Materialität in eine universelle Leiblichkeit umgestaltet wurden. Wunden, Narben und unter der Rinde durchscheinende Adern lassen den Baum zu einem Wesen zwischen Mensch, Tier und Pflanze werden. Das Leben ist aus der Materie gewichen und hat reine Physis zurückgelassen. Im Titel wird auf die antike Technik des Einbalsamierens verwiesen, eine Praxis der Bewahrung von Körpern, die die künstlerische Tätigkeit Berlinde De Bruyckeres prägt.

Die Künstlerin formt in Wachs neue Körperpartien nach, fügt unterschiedliche Stoffe zu neuen Körpern zusammen, die die Zuschreibung ob Pflanze, Tier oder Mensch verwischt. Die erschaffenen Wesen verbindet eine verletzte Fleischlichkeit, die hilflos ausgestellt sich offenbart.

Die Bildsprache lässt die Traditionen der niederländischen und flämischen Renaissancemalerei aus dem 16. Jahrhundert anklingen. De Bruyckere schöpft aus dem Erbe der europäischen Alten Meister und der christlichen Ikonografie, schafft aber neue Formen, die diese starken Referenzen in eine heutige Sprache übertragen.

Die Embalmed Twins liegen allein, aufgebahrt, in einem Raum, durch Licht erhellt, das dem des Mondes nachempfunden ist. Unser Körper begegnet ihren ohne Abstand. Es sind die Körper der beiden Bäume, die für De Bruyckere der Ausgangspunkt waren, von dem aus sie über die Zerbrechlichkeit des Lebens und der Körperlichkeit nachdenkt. Es war der Moment der Begegnung im Anblick der gefallenen Bäume, ihre tiefe Empfindung der Einsamkeit, die jedes Wesen im Verlassen seiner Lebendigkeit erfährt, den die Künstlerin in ihr Werk übertrug. Es ist der empathische Blick der Künstlerin, der auch in dem gestürzten Baum das Kreatürliche berührt. Weder Angst oder Abscheu leiten sie, sondern ein Impuls, Schutz zu geben, die Verletzlichkeit des Wesens zu umsorgen. Sie bandagiert Teile des Baums, legt Decken auf ihn und schützt die Stellen, die die Transparenz vergänglichen Fleisches aufzeigen. Als Künstlerin sucht sie die Zwischenräume menschlichen Erlebens, in denen sie sich mit den tiefsitzenden Ängsten verbindet, für die wir heute kaum mehr Rituale oder Worte finden. Mit ihrer Kunst schafft De Bruyckere einen Raum, der ohne Worte auskommt und uns eine Begegnung mit der Essenz des anderen darbietet. Es ist kein menschliches Wesen, kein Tier und kein Baum, es ist der Ausdruck des verletzbaren Lebens per se, einem Ecce homo organischer Vergänglichkeit und wesensübergreifenden Leiblichkeit.

Berlinde De Bruyckere (*1964, Gent, BE) ist eine belgische zeitgenössische Künstlerin die in ihrem Heimatsort Gent lebt und arbeitet. Sie realisiert großformatige Skulpturen, Installationen, Zeichnungen, Aquarelle um das Thema Körper und Existenz. 2013 wurde De Bruyckere ausgewählt, Belgien auf der 55. Biennale von Venedig (IT) zu vertreten, wo sie ihr monumentales Werk Kreupelhout – Cripplewood, eine Zusammenarbeit mit dem Nobelpreisträger J.M. Coetzee, vorstellte. In jüngster Zeit hat De Bruyckere ihr Tätigkeitsfeld auf die darstellenden Künste als Bühnenbildnerin erweitert, in enger Zusammenarbeit mit der Fotografin Mirjam Devriendt. Ihre Werke wurden in zahlreichen internationalen Ausstellungen präsentiert, u.a. in den folgenden Institutionen: Bonnefanten Museum, Mastricht (NL), Fondazione Sandretto Re Rebaudengo, Turin (IT) Kunsthal Aarhus (DK), Kunsthaus Bregenz (AT), Palazzo delle Esposizioni, Rome (IT), Berlin Biennale, Berlin (DE), The Metropolitan Museum of Art, New York City (US), Whitechapel Gallery, London (GB), Pinchuk Art Centre, Kiev (UA).