Dominique Koch

Holobiont Society, 2017
Video-, Sound-, Rauminstallation, 33 min
Courtesy the artist

Dominique Kochs Arbeit steht für eine zurzeit in zahlreichen Disziplinen geführte Debatte über die Notwendigkeit gefestigte Denkmodelle anhand neuen Wissens wieder kritisch zu hinterfragen. Als Künstlerin gelingt es ihr eine ästhetische Form zu finden, in der sie Fragmente diskursiver Wissensmodelle emotional auflädt.

Holobiont Society ist der Titel der Arbeit von Dominique Koch und entstand als Konstruktion aus zwei Begriffen. „Holobiont“ stammt aus der Biologie und wurde 1991 von der Mikrobiologin Lynn Margulis als Fachbegriff für den Zusammenschluss zwischen einem Wirt und all seinen mikrobiologischen Mitbewohnern geprägt. Koch fügt diesen Begriff mit dem der „Society“ zusammen und eröffnet somit in ihrer Arbeit die Möglichkeit biologische Thesen als Metapher sozialer und politischer Modelle zu verstehen.

Die Arbeit besteht aus einer bildstarken Filmmontage, die von zwei voneinander getrennten Audiospuren begleitet wird: elektronische Musik von Tobias Koch schafft eine surround Klanglandschaft im Raum. Darüber hinaus sind in den Kopfhörern Interviews dreier international renommierter Wissenschaftler – Scott Gilbert, Maurizio Lazzarato und Donna Haraway – zu hören. Die Sprachfragmente werden mit verschiedenen Bildern kombiniert, welche auf die theoretischen Diskurse verweisen und diese erweitern. Der Film beginnt mit Aufnahmen der Meeresoberfläche – in seiner ruhigen Bewegung Symbol des Endlosen, die aber von Haraway im Prinzip des Pars pro Toto für die Geschichte der Verfrachtung von Waren und Menschen gedeutet wird. Diese Assoziationen werden von den Worten des Philosophen Maurizio Lazzarato verstärkt, der über koloniale Transportwege und kapitalistische Ausbeutung spricht.

Der Film beginnt mit Gedanken des Biologen Scott Gilbert über den sogenannten genetischen Determinismus – einer These, die behauptet, dass jede/r über seine Gene gänzlich vorbestimmt ist. Gilbert erachtet dieses wissenschaftliche Paradigma als falsch und sogar destruktiv, da es das Individuum als gänzlich von seinen Genen vorbestimmt sieht. Darüber hinaus leitet der genetische Determinismus eine extrem problematische Idee von Rasse, Geschlecht und sogar der Intelligenz ab, mit der das Individuum als rein von der DNA, und nicht von Umwelt oder Erfahrung, vorbestimmte Identität definiert wird.

Im Folgenden leitet Dominique Koch zu einer politischen Dimension über, die im Film mit der Stimme und den Gedanken Maurizio Lazzaratos zu Wort kommt. Lazzarato steht für eine Kritik der Mechanismen des Kapitalismus. Er reflektiert über die Prinzipien der Ausbeutung, die dem Zweck der Macht und des Besitzzuwachs dienen. Seine Analyse benennt als Methoden die Kriegsführung, die Gewaltanwendung und die Plünderung. Das Wesen der Ausbeutung unterteilt er in drei Hauptkategorien: die Ausbeutung der Klasse, die Ausbeutung über koloniale Strukturen und somit die Idee der Rasse und als dritte Kategorie die Ausbeutung der Frau.

Die letzte Position in Kochs Film wird von der Biologin und Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway eingenommen. Haraway kommt mit Auszügen aus ihrem komplexen theoretischen Apparat zu Wort. In diesem stellt sie die Idee der Sonderstellung des Menschen und die Einheit des Individuums in Frage. Haraway sieht diese Konstruktionen als nicht mehr tragfähig; zu umfassend ist das Wissen aus zahlreichen Disziplinen, um nicht eine weit komplexere und umfassendere Idee von Leben und des Zusammenspiels aller Dinge und Wesen zu verhandeln.

 

Dominique Koch (*1983 in Luzern, Schweiz) lebt und arbeitet in Basel und Paris und studierte von 2004 bis 2011 Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Ihre Installationen können als „Denklaboratorien“ bezeichnet werden. Die Künstlerin lässt unterschiedliche Forschungsbereiche wie zum Beispiel Recherchen aus der Molekularbiologie mit Theorien des Kapitalismus zusammenfließen und kreiert in diesem Zusammentreffen hybride Formen und unwahrscheinliche intellektuelle Begegnungen, die Themen aufwerfen, welche gewöhnlich im Bild- und Informationsfluss untergehen.

Zu den jüngsten Einzelausstellungen zählen: „Holobiont Society“ im CAN, Centre d’art Neuchâtel (2017), „Maybe We Should Rejuvenate the Words rather than the Bodies“ bei Rinomina in Paris (2016) und „Beyond Chattering and Noise“ im Centre Culturel Suisse in Paris (2015). Zu den jüngsten Gruppenausstellungen gehören „Futurs Incertains“ im Musée d’Art de Pully (2019), „An Eye Unruled“ im Swissnex San Francisco (2019), „Operaismo Naturale: Ecology of the Event“ im Center of Contemporary Art Plovdiv (2018), „1 iJ“ im EKKM Tallinn (2018), „Angekauft !“ im Kunsthaus Baselland (2018), „Biotopia“ in der Kunsthalle Mainz (2017), „Ex Situ. Samples of Lifeforms“ im Copenhagen Contemporary (2017), sowie weitere Gruppenausstellungen in der Kunsthalle Basel (2015/2018), im Photoforum Pasquart (2017) und dem Fotomuseum Winterthur (2014).