Heather Dewey-Hagborg & Chelsea E. Manning

Probably Chelsea, 2017
30 3D-Drucke, algorithmisch generiert mithilfe von Mannings DNA
Größe variabel
Courtesy of the artist

Die Arbeit Probably Chelsea der Künstlerin und Bio-Hackerin Heather Dewey-Hagborg entstand in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Whistleblowerin Chelsea E. Manning. Diese befand sich von 2010 bis 2017 wegen der Weitergabe von 40.000 vertraulichen Dokumenten zum Irakkrieg an WikiLeaks in Haft. 2015 unterzog sich Manning einer Hormonersatztherapie, um eine weibliche Identität anzunehmen. In den Jahren der Haft erreichten keine Bilder der Inhaftierten die Öffentlichkeit. Aus dem Militärgefängnis übermittelte Manning 2015 an Dewey-Hagborg einen Wangenabstrich und Haarsträhnen. Die Künstlerin analysierte die DNA und realisierte dank einer algorithmischen DNA-Phänotypisierung dreißig verschiedene Gesichtsmodelle, maschinelle Entwürfe möglicher Physiognomien von Manning, die mithilfe eines 3D-Druckverfahrens erstellt wurden und in der Ausstellung zu sehen sind.

Probably Chelsea zeigt auf, welches Spektrum an Visualisierungsmöglichkeiten eine DNA-Analyse zulässt und wie offen diese Datenumwandlung tatsächlich ist. Die Berechnung der Portraits lässt gewaltige Spielräume zu, sodass die Resultate ungenau werden und eine ganze Bandbreite an möglichen Interpretationen zulassen. Trotzdem werden die berechneten Ergebnisse als faktisch akzeptiert. Spezialisierte Unternehmen bieten das hier angewandte Phänotypisierungsverfahren bereits kommerziell an. Bereits auf Basis minimaler DNA-Bestandteile werden Phantombilder von Personen erstellt, die für polizeiliche Behörden (in der Täterfahndung) bis hin zur forensischen Archäologie zum Einsatz kommen.

Die molekulare Realität ist jedoch komplexer. Geschlecht und Herkunft können nicht allein anhand von DNA-Spuren bestimmt werden. Probably Chelsea thematisiert diese fehlende Eindeutigkeit des Lesevorgangs und wirft dadurch Fragen sowohl über die behördliche Nutzung fehlerhafter Verfahren und Methoden, als auch zu unserer Identität auf. Was macht uns als Menschen aus? Wie stark sind wir durch unsere Gene definiert? Die dreißig Gesichter der Installation von Dewey-Hagborg bilden ein breites Spektrum an somatischen Merkmalen ab, obwohl sie auf denselben Genproben basieren. Das Genom liefert also Wahrscheinlichkeiten zum Äußeren eines Individuums, aber keine eindeutige Abbildung der Person. Alle dreißig Gesichter sind gleich richtig und gleich falsch.

Die Amerikanerin Heather Dewey-Hagborg (*1982) ist eine transdisziplinäre Künstlerin und Pädagogin, die sich für Kunst als Forschung und kritische Praxis interessiert. Ihre Arbeiten wurden international gezeigt, so zum Beispiel beim World Economic Forum, Zürich (CH), der Urbanism and Architecture Biennale, Shenzhen und Hong Kong (CN), dem New Museum, New York (US), dem Centre Pompidou, Paris (FR) und PS1 MOMA, New York (US).

Chelsea Elizabeth Manning (*1987), vor der rückwirkenden Änderung ihrer Geburtsurkunde als Bradley Edward Manning bekannt, ist eine US-amerikanische Whistleblowerin. Sie war Angehörige der US-Streitkräfte und als IT-Spezialistin tätig.