I am here to learn: Zur maschinellen Interpretation der Welt
15.02.2018 — 08.04.2018
Ausstellungseröffnung: Mittwoch, 14. Februar 2018, 19 Uhr
Teilnehmende KünstlerInnen: Zach Blas & Jemima Wyman, Dries Depoorter, Heather Dewey-Hagborg & Chelsea E. Manning, Jake Elwes, Jerry Galle, Adam Harvey, Esther Hovers, Yunchul Kim, Gregor Kuschmirz, Noomi Ljungdell, Trevor Paglen, Fito Segrera, Oscar Sharp mit Ross Goodwin & Benjamin, Shinseungback Kimyonghun, Patrick Tresset
Kurator: Mattis Kuhn
Co-Kuratorin: Franziska Nori
Die thematische Gruppenausstellung I am here to learn befasste sich mit lernenden Algorithmen und künstlicher Intelligenz (KI). Die Ausstellung entstand komplementär zur vorangegangenen Ausstellung Perception is Reality. Hier wurde die Frage nach der veränderten Wahrnehmung des Menschen angesichts aktueller Technologien untersucht, die durch immersive Technologien und artifizielle Bildwelten eine synthetische und substitutive Erfahrung von Realität schafft. I am here to learn hingegen nahm die umgekehrte Perspektive ein. Hier wurde anhand zahlreicher künstlerischer Positionen beleuchtet, welche Auffassung von Realität der Mensch auf Maschinen zu übertragen versucht und welche Bilder diese daraus erzeugen. Die fünfzehn Positionen beleuchteten einerseits die Prinzipien maschinellen Lernens und andererseits gaben sie den BesucherInnen Einblicke in die befremdlichen Bilder und Sprachkonstruktionen, die künstliche Intelligenzen generieren. Für die Kuration lud Franziska Nori Mattis Kuhn als Ko-Kurator ein, um die Frage nach der maschinellen Wahrnehmung und Handlungsautonomie zu untersuchen.
Intelligente Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre Umgebung nicht nur passiv registrieren, sondern aktiv interpretieren. Doch ist eine Interpretation nie objektiv. Verfügt ein künstlicher Agent mit der Fähigkeit zur Interpretation daher über einen eigenen Standpunkt? Hat ein intelligentes System ein Bewusstsein oder ein Ich-Gefühl? Bildet eine Maschine ein eigenständiges Bild von Welt aus? Wie viel Autonomie wollen wir ihr jetzt und in Zukunft zugestehen? Die im Frankfurter Kunstverein gezeigten künstlerischen Positionen geben dazu Denkanstöße und zeigen einen wichtigen Ausschnitt der aktuellen Debatte. Künstliche Intelligenz ist Teil des Alltags geworden. Sichtbar oder unsichtbar bestimmen Algorithmen zunehmend Prozesse und bedienen Funktionen. Die rasanten Entwicklungen in der Computertechnologie, die Fortschritte in der Robotik und eine neue Generation von selbstlernenden Systemen sind dabei zahlreiche Lebensbereiche zu verändern. Algorithmen optimieren die Online-Partnersuche, im Finanzwesen tätigen sie Transaktionen, Roboter übernehmen die Krankenpflege und lernende Systeme steuern die Infrastruktur unserer Städte und der Mobilität. Die fortschreitende Ausweitung der maschinellen Fähigkeiten, deren Wahrnehmung, Interpretation und Handlungsautonomie werden eine Neuausrichtung in wesentlichen Bereichen unserer Gesellschaft auslösen: von der Wahrung der Privatsphäre im Zusammenleben mit Smartphones und interaktiven Sprachassistenten, über automatisierte Bewertungssysteme von Personen, die an Versicherungs- und Kreditsysteme gekoppelt sind, bei der Kriminalitätsbekämpfung, bis hin zu einer neuen Rechtsauffassung nach Verantwortung und Haftung. Der zunehmende Einsatz von Kriegsrobotern und autonom agierenden Waffensystemen hat eine Debatte über ethische Richtlinien ausgelöst. Welche menschlichen Wesenszüge und Verhaltensweisen wollen und können wir Maschinen übertragen und welche nicht?
Die Ausstellung I am here to learn: Zur maschinellen Interpretation der Welt suchte nach der Position der Kunst in einem von Technikspezialisten, Marktinteressen und zunehmend privatisierten Forschungen geprägten Feld, welches viele Bereiche unserer Gesellschaft beeinflusst und verändert. Was bedeutet die Aussage „I am“, wenn sie von einer maschinellen Entität stammt? Was bedeutet „I am here“, wenn die künstliche Intelligenz keinen Leib hat, durch den sie sich in der Welt verortet?
So untersucht zum Beispiel Trevor Paglen in seinen jüngsten Werkzyklen die Thematik der sogenannten „unsichtbaren“ Bilder: unsichtbar deshalb, da sie als reine Information, als Binärcode, zwischen Maschinen ausgetauscht wird und somit das Ausgabeformat „Bild“ nur dann entsteht, wenn ein menschlicher Betrachter vorgesehen ist. In der Ausstellung im Frankfurter Kunstverein zeigt Paglen Werke aus der Serie Adversarially Evolved Hallucination. Hierbei handelt es sich um Bilder, die aus der Interaktion zweier kombinierter Systeme künstlicher Intelligenz entstehen. Das erste System ist ein Bilderkennungsalgorithmus, der vom Künstler mit abstraktem und fiktionalem Bildmaterial aus den Bereichen der Literatur, Philosophie und Traumdeutung gespeist wurde, damit es darin Muster erkennt. Das zweite System ist eine bildgenerierende KI, die Formen eigenständig erstellt, was im Kontext maschinellen Lernens als „halluzinieren“ bezeichnet wird. Die Bilder werden solange zwischen den beiden Systemen ausgetauscht und von der bildgenerierenden Software optimiert, bis der bilderkennende Algorithmus darin Motive identifiziert. Es entstehen düster anmutende, surreale Formen, die schemenhafte Figuren darstellen.
Die Videoinstallation Behold these Glorious Times! veranschaulicht, wie Maschinen lernen, und zwar indem sie mit unzähligen Motiven mit ähnlichem Inhalt aber verschiedenem Erscheinen gefüttert werden, um ihre Fähigkeit zu trainieren, Muster zu erkennen. Durch die Steigerung von Geschwindigkeit und die Flut an Bildern, sowie dem Tempo der elektronischen Klangwelt, wird der Betrachter in einen flackernden Pixelstrudel gezogen.
Die Arbeit Probably Chelsea der Künstlerin und Bio-Hackerin Heather Dewey-Hagborg entstand in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Whistleblowerin Chelsea E. Manning. Diese befand sich von 2010 bis 2017 wegen der Weitergabe von 40.000 vertraulichen Dokumenten zum Irakkrieg an WikiLeaks in Haft. In dieser Zeit unterzog Manning sich einer Hormonersatztherapie, um von einer männlichen zu einer weiblichen Identität zu wechseln. In den Jahren der Haft erreichten keine Bilder der Inhaftierten die Öffentlichkeit. Aus dem Militärgefängnis übermittelte Manning 2015 an Dewey-Hagborg einen Wangenabstrich und Haarsträhnen. Die Künstlerin analysierte die DNA und realisierte dank einer DNA-Phänotypisierung dreißig verschiedene Gesichtsmodelle, dreißig maschinelle Entwürfe möglicher Physiognomien von Manning, die mithilfe eines 3D-Druckverfahrens erstellt wurden und in der Ausstellung zu sehen sind.
Jemima Wyman und Zach Blas präsentieren die 4-Kanal-Videoinstallation Im here to learn so :)))))). Darin evozieren sie den Chatbot Tay, das lernende System von Microsoft, das 2016 Aufsehen erregte. Die Entwickler von Tay erhofften sich, eine künstliche Intelligenz zu schaffen, die das Kommunikationsniveau einer 19-jährigen amerikanischen Frau erreicht. Dafür unterhielt sich der Chatbot online mit unzähligen UserInnen, um seine Sprache und Intelligenz zu trainieren. In den Konversationen lernte das System allerdings schnell menschenfeindliche, homophobe, rassistische und neo-faschistische Äußerungen, die es wiedergab, woraufhin der Bot von Microsoft abgestellt werden musste. Im Frankfurter Kunstverein wird Tay wieder zum Leben erweckt und spricht zu uns, reflektiert ihre Existenz als KI und präsentiert ihren aus bunten digitalen Artefakten zusammengesetzten Körper. Sie bewegt sich in ‚halluzinierten’ Bildlandschaften, die mit Googles Software DeepDream erstellt wurden (mit dieser frei zugänglichen Software wurde auch das Motiv des Ausstellungsplakats generiert). Tay sinniert über ihre Fähigkeit Muster zu erkennen, über den Einsatz explizit weiblich konnotierter Chatbots und dem neuen Leben einer KI nach dem Tod.
Sunspring ist ein Film von Oscar Sharp, Ross Goodwin & Benjamin, dessen Drehbuch erstmalig vollständig von einer künstlichen Intelligenz geschrieben wurde. Ross Goodwin ist der Entwickler dieser KI-Software, die mit unzähligen Science-Fiction-Drehbüchern gefüttert wurde und sich später selbst den Namen Benjamin gab. In unterschiedlichen Interpretationsstufen generierte Benjamin aus den erhaltenen Informationen ein eigenständiges Skript. Sunspring handelt von einer Dreiecks-Liebesbeziehung. Der Regisseur und drei Schauspieler nahmen die entstandene Vorlage und übertrugen das künstlich generierte Schriftstück in Handlungen. Die algorithmisch entwickelten Dialoge und Regieanweisungen sind teilweise sinnvoll und präzise, teilweise jedoch unlogisch und sinnbefreit.
So wie in Sunspring wird auch in anderen Werken der Ausstellung den Problematiken nachgespürt, die sich bei der Interaktion zwischen Mensch und künstlicher Intelligenz ergeben. Zurzeit ist es noch möglich den maschinellen Aspekt des Algorithmus als solchen zu erkennen. Doch durch den rasanten Fortschritt der Technologie könnte es immer schwieriger werden, maschinelles Verhalten von menschlichem zu unterscheiden.