Matt Welch

The Secret Millionaire Part 2 – Sense of Doubt, 2021
Installation mit 1-Kanal Video und 4-Kanal Audio
30 min
Courtesy der Künstler

Matt Welch ist Bildhauer, Zeichner und Filmemacher. Für die Ausstellung And This is Us 2021 hat Welch einen neuen Film produziert, den er als zweiten Teil der Trilogie The Secret Millionaire vorsieht.

In Sense of Doubt stellt Welch zahlreiche Bezüge zu Filmen und Musik her, die in Zusammenhang mit der Vergangenheit der Stadt Berlin und ihrer symbolhaften Deutung stehen. Welchs Drehbuch verwebt zahlreiche Referenzen miteinander. So auch Bilder und Erinnerungen an seine eigene Lebenszeit in Berlin und die Erzählungen eines deutschen Freundes, der 1984 aus der ehemaligen DDR in den Westen Berlins floh.

Der Film ist gänzlich in subjektiver Kameraeinstellung gedreht, die dem Blick des Hauptdarstellers im Film entspricht und sich auf drei verschiedenen Ebenen abspielt. Wir sehen durch die Augen der männlichen Figur, wie sie in einer scheinbar ziellosen Autofahrt durch das heutige Berlin fährt, und hören dabei seinen inneren Monolog, die Erinnerung an prägende Erfahrungen von Entfremdung und Ausgrenzung; wir erleben, wie er durch Straßen läuft und dabei den Anweisungen einer inneren Stimme folgt, wie der Stimme eines Regisseurs. Schließlich gleitet die Kamera durch einen roten, nassen, wunden Tunnel. Der Durchgang, Speiseröhre und Abwasserkanal zugleich, dient als Übergang zwischen der Außenwelt und dem Inneren, als Membran zwischen einer bewussten und einer unbewussten Wahrnehmung von Welt.

Die Figur im Film läuft an den Nicht-Orten einer urban veränderten Umgebung. Diese Architekturen Berlins werden zu Bühnenbildern für diese zeitgenössische Inszenierung. Die Reste der Mauer und des einstigen Todesstreifens zwischen Ost und West sind zu einem Niemandsland geworden, in dem die Figur im Film wie in einem Zwinger nach Auswegen und Deckung sucht. Es verdichtet sich eine Atmosphäre der Erschöpfung und Verzweiflung und das Fehlen einer klaren Richtung.

Immer wieder in Welchs Arbeit taucht der Magen als metaphorische Form auf. Welch spricht von dem Organ als einem biologischen Äquivalent zur städtischen Infrastruktur eines Abfallsystems, als verborgener Ort der Verarbeitung, der Absorption und der Entsorgung. Die Kamera taucht in die Tiefen des Körpers und in sein Inneres ab, sie dringt in einen Untergrund ein, in einen dunklen Raum, der dem Protagonisten symbolhaft als Schutzraum dient.

Matt Welch hat für die Präsentation seiner Arbeit den Raum im Frankfurter Kunstverein ausgesucht, der außerhalb der regulären Sichtbarkeit der Museumsbesucher*innen liegt und für Künstler*innenaufenthalte genutzt wird. Welch verleiht den Räumen die Anmutung einer anonymen Airbnb-Wohnung, in der man sich zurückziehen kann, ohne dass die Räume die eigene Identität widerspiegeln.

In den beiden Räumen spielt der Sound eine zentrale Rolle. Im Wohnraum hallt Klaviermusik, im Schlafraum, in dem der Film zu sehen ist, hören wir die innere Stimme der agierenden Figur. Die Musik stammt aus zwei instrumentalen Arrangements von David Bowies Alben Low und Heroes. Diese Alben hat Bowie als Teile seiner Berlin-Trilogie mit Brian Eno komponiert und aufgenommen. Bowie war von Los Angeles nach Berlin geflohen, um seiner Drogensucht zu entkommen. Hier konnte er mit Iggy Pop, der zufällig sein Nachbar war, relativ unerkannt in der Stadt leben, in Untergrund Clubs und Bars gehen, ohne von Fans oder Paparazzi verfolgt zu werden. Die Piano-Interpretationen im Frankfurter Kunstverein nehmen die Synthesizer-Instrumentalstücke Bowies auf und verstärken die Atmosphäre der Einsamkeit und Melancholie des Films.

Sense of Doubt ist von einer Stimmung diffuser Beklemmung beherrscht. Der fließende Wechsel zwischen der Beobachtung und Abtastung der Welt in ihrer Erscheinung und der Wahrnehmung aus der Binnensicht der Magenebene lösen die Kategorien Innen und Außen, Zentral und Peripher auf. Der innere Monolog ist das Bindeglied, in dem die Gedanken und Gefühle der Perspektivfigur atmosphärisch dicht der Betrachter*in zuteilwerden.

Matt Welch (*1988 in Liverpool, UK) arbeitet vorwiegend mit Skulptur und Video. Er studierte Malerei an der Wimbledon School of Art, London (UK), und erhielt im Oktober 2020 seinen Abschluss als Meisterschüler in der Klasse von Haegue Yang an der Hochschule für Bildende Künste – Städelschule in Frankfurt am Main (DE). 2020 gewann er den Absolventenpreis der Sammlung Pohl für seine Arbeit in der Kunsthalle Portikus, Frankfurt am Main (DE). Matt Welch hat unter anderem in folgenden Institutionen ausgestellt: Kunsthalle Portikus, Frankfurt am Main (DE), Croy Nielsen, Wien (AT), Dortmunder Kunstverein, Dortmund (DE), Limazulu2, London (UK), Ormside Projects, London (UK), Neue Alte Brücke, Frankfurt am Main (DE).