Progress vs. Sunsets (2017, work in progress)

Der Film zeigt Kinder, die über ihr Verständnis von Natur und von Tieren sprechen. Durch ihre Erzählungen wird der dominante Einfluss sichtbar, den mediale Bilder und ein rein durch Kommunikationstechnologien vermitteltes Erleben von Natur auf die zukünftig handelnde Generation hat.

Seit über zehn Jahren arbeitet Melanie Bonajo an einem fortlaufenden Bild- und Videoarchiv, einem Atlas gefundenen Materials, das anonyme Nutzer im Internet veröffentlichen. Das Bildmaterial besteht aus Amateuraufnahmen von Tieren, Pflanzen und Landschaften, die meist auf unnatürliche Weise inszeniert, in Gefangenschaft und gänzlich wesensfremden Umgebungen fotografiert wurden. Die Künstlerin nutzt die Methode wissenschaftlicher Klassifizierung, fasst die Bilder jedoch in unüblichen Kategorien zusammen. Der Atlas wurde in der Publikation Matrix Botanica– Non Human Persons (2015) erstmals veröffentlicht.

Die wachsende Verbreitung und Popularität derartiger Amateuraufnahmen hat unsere Wahrnehmung von Wildnis und Natur maßgeblich verändert. Die Bilder offenbaren das ambivalente und verzerrte Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Zum einen zeugen die Bilder von dem destruktiven Verhalten der Menschheit und der zunehmenden Urbanisierung, die zu immer extremeren Zerstörungen und dem Verschwinden der natürlichen Umgebung führt. Zum anderen ist Natur kulturell überformt worden: Tiere, Pflanzen und Landschaften werden verniedlicht und erfahren eine Vermenschlichung.

Die Künstlerin fragt nach dem Stellenwert des Abbildes von Natur. Die existentielle menschliche Erfahrung sich als Einheit mit der Natur zu begreifen, ist einem medial vermittelten Erlebnis gewichen: von wissenschaftlichen Dokumentarfilmen über Disney-Zeichentrickserien bis hin zum aktuellen Massenphänomen der lustigen YouTube-Tiervideos. Begegnungen mit allem Nicht-Menschlichen werden über Medien- und Kommunikationstechnologien vermittelte und die unvermittelte, reale Erfahrung ersetzt.

Bonajos Werk handelt immer wieder von der Notwendigkeit eines neuen Verhältnisses des Menschen zu seinen Mitlebewesen. Sie nimmt aktiv Teil an der aktuellen international und interdisziplinär geführten Debatte über die Auswirkungen eines rationalistischen Weltbildes westlicher Prägung. Im sogenannten Anthropozän, dem Zeitalter, in dem der Mensch einer der wichtigsten Einflussfaktoren auf der Erde geworden ist, ist alles Natürliche zum Objekt utilitärer Nutzung geworden. Der Mensch hat sich zum Gestalter der Welt erhoben. Bonajo ist Vertreterin einer neuen Haltung, die fordert, dass der Mensch einen reflexiven Sprung macht: die Menschheit kann seinen schöpferischen Geist nicht länger außerhalb des ganzheitlichen natürlichen Systems sehen, über die er gottgleich herrscht. Der historische Dualismus zwischen Natur und Kultur ist nicht mehr tragfähig, das wissenschaftliche Ziel der Naturbeherrschung muss einer Auffassung von Leben in seiner Ganzheit und als System der Interdipendenz aller Phänomene weichen.