Trevor Paglen – The Octopus
2. Obergeschoss

Trevor Paglen: The Octopus

Trevor Paglen sucht in seiner Arbeit nach möglichen Metaphern für die allgegenwärtige Massenüberwachung und Datengewinnung sowie die damit zusammenhängenden Systeme von Macht. Im Zentrum seiner Projekte steht die vor den Blicken der Öffentlichkeit verborgene und als ‚Black World‘ bezeichnete Infrastruktur von Überwachungsaktivitäten der USA. Durch hochentwickelte technische Methoden und Modelle kollektiver Wissensgewinnung gelingt es Paglen, entlegene militärische Sperrgebiete, geheime Flugrouten von Spionagesatelliten und Drohnen oder Topographien ozeanischer Kabelnetzwerke zu fotografieren. Die Spuren der Auswirkungen staatlich angeordneter Kontrolle und militärischer Überwachung bleiben stets in seinen Bildern eingeschrieben. Ihre Produktion wird dahingehend zu einem politischen Projekt
mit ästhetischen Konsequenzen. Paglens Arbeit geht eine breit angelegte Recherche in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern, Amateurastronomen, Programmierern und Menschenrechtlern voraus, deren Dokumentation er zum ersten Mal im Rahmen seiner umfassenden Werkschau zeigt.

 

National Geospatial-Intelligence Agency, Springfield, Virginia;

National Security Agency, Ft. Meade, Maryland;

National Reconnaissance Office, Chantilly, Virginia (2013)

Das Triptychon von nächtlichen Luftaufnahmen zeigt Orte, von denen aus die Geheimdienste der amerikanischen Regierung agieren. Die Größe der Anlagen lassen den enormen Umfang der von ihnen gesteuerten Überwachung erahnen. Paglen wählt bei der Abbildung des Hauptsitzes der National Security Agency (NSA) in Fort Meade bewusst jene Perspektive eines Fotos aus den 1970er Jahren, welches die Behörde nach wie vor für ihre öffentliche Darstellung nutzt.

 

Untitled (Reaper Drone) (2013 und 2010)

Der Himmel als extraterritorialer Raum, erhält in der Fotografie Paglens eine veränderte Konnotation. Paglen zitiert das Repertoire der barocken Himmelsmalerei wie die von Giovanni Battista Tiepolo, der mit den Ansichten von Himmel und Wolken den symbolischer Raum der Geistigkeit und Transzendenz evoziert. Paglen behält den klassischen Bildaufbau bei, addiert aber ein wesentliches Element zur Bildkomposition: einen technologischen Flugkörper, der Teil der Überwachungsinfrastruktur nationaler Behörden ist. Denn heute kolonisieren Satelliten oder Drohnen den Himmel, wodurch dieser freie Raum zu einem politisierten geworden ist.

 

Everyday Landscape: Sportsflight Airways, Richmor Aviation, Dyncorp, Central Intelligence Agency (1996 – 2006)

Die Arbeit Everyday Landscape präsentiert Zusammenhänge und Netzwerke zwischen Fluggesellschaften, privaten Spionageunternehmen, Staatsbeamten und den ökonomischen Interessen verschiedener verdeckter staatlicher Aktivitäten, unter anderem dem CIA-Programm zur Überstellung von Terrorverdächtigen. Als Ergebnis jahrelanger investigativer Recherche, die anhand legal zugänglicher Unterlagen sowie paparazziartiger Fotodokumentation betrieben wurde, verweist die Arbeit auf einige der gewaltsamsten und geheimsten Programme der amerikanischen Regierung. Sie stellt die Frage nach den ästhetischen Eigenschaften visueller Beweisführung und gleichzeitig nach der Sehgewohnheit des Betrachters im Umgang mit einer Ästhetik der Gewalt.

 

Seventeen Letters from the Deep State (2011)

Die ausgestellten Dokumente wurden während eines Gerichtsverfahrens zwischen zwei für die amerikanische Regierung arbeitende Transportunternehmen veröffentlicht. Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass unter demselben Namen unterschiedliche Unterschriften gemacht wurden. Tatsächlich stehen die Transporte häufig in Verbindung mit den ‚Black Sites‘, von den USA betriebene geheime Gefängnisse. Sie sind durch die demokratisch strittige Praxis der ‚extraordinary rendition‘, der außerordentlichen Auslieferung, bekannt geworden: Dem Erfassen von Menschen ohne legale Genehmigung und ihr Verschleppen an Orte, an denen sie nicht mehr Gegenstand der amerikanischen Gerichtsbarkeit sind.

 

Drone vision (2010)

Überwachungstechnologien und Drohnen senden Daten über weite Distanzen und lange Zeiträume an auf US-Boden stationiertes Personal. Die Bilder werden oft unverschlüsselt übertragen, um Verzögerungen innerhalb des Systems zu verringern. Das Ausgangsmaterial für Paglens Videoarbeit wurde durch einen Hacker von einem für diese Zwecke genutzten Kanal abgefangen und ‚geleakt‘, also im Internet für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

 

Reaper Drone (Indian Springs, NV Distance ~ 2 miles) (2010)

Large Hangars and Fuel Storage; Tonopah Test Range, NV; Distance approx. 18 miles; 10:44 am (2005)

The Fence (Lake Kickapoo, Texas) (2010)

Eine Reihe von Militäranlagen befinden sich in entlegenen Teilen der USA, abgeschirmt durch dutzende Meilen von Sperrgebiet. Sie sind so unzugänglich, dass es keinen Standpunkt gibt, von dem man sie mit bloßem Auge sehen könnte. Um Bilder dieser abgelegenen und versteckten Orte zu produzieren, sind unkonventionelle Seh- und Abbildungstechniken notwendig. Die immense Entfernung, die zwischen Kamera und Sujet liegt, sowie die Staubpartikel in der Atmosphäre und die thermische Lichtbrechung, die sich ergibt, lösen die Grenzen des Abbildbaren auf. Die Serie Limit Telephotography umfasst Fotografien von Landschaften, die mit Hilfe der Technik von Hochleistungs-teleskopen ähnlich solchen aus der Astrofotografie entstanden sind. Die Kontrolle von Sichtbarkeit durch die Aktivitäten des Militärs wird hier allegorisch durch den Moment des Sehens erkundet.

 

Autonomy Cube (2014)

Der Autonomy Cube ist eine Skulptur, die von Trevor Paglen in Kooperation mit dem Internetaktivisten Jacob Appelbaum entwickelt wurde. Er enthält mehrere mit dem Internet verbundene mainboards (Hauptplatinen), die einen frei zugänglichen WiFi-Hotspot erzeugen. BesucherInnen können das Netzwerk nutzen und darüber im Internet surfen. Die Skulptur leitet alle Datenströme über ‚Tor‘, ein Netzwerk zur Anonymisierung von Verbindungsdaten, das aus einem globalen Netz von tausenden freiwillig betriebenen Servern getragen wird. Der Autonomy Cube wird selber zu einem Relais, also eine Weiterleitung im Rahmen des Netzwerks, die anderen Nutzern weltweit dabei hilft ihre Internetnutzung zu anonymisieren. Die Skulptur, der Kunstverein und die BesucherInnen werden somit Teil einer Privatsphären-orientierten und freiwillig betriebenen Infrastruktur des Internets.