Trevor Paglen: The Octopus
20.06.2015 — 30.08.2015
Für diese Ausstellung erhielt Trevor Paglen den Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2016.
Eröffnung: 19. Juni 2015, 19 Uhr (im Rahmen der Eröffnung der Triennale RAY 2015), mit Bekanntgabe der Preisträger des Eagle-Eye Photo Contests durch Trevor Paglen um 20.30 Uhr
Der Frankfurter Kunstverein zeigte die erste umfassende institutionelle Werkschau des US-amerikanischen Künstlers Trevor Paglen in Europa. Unter dem Titel The Octopus thematisierte er Überwachung und politische Einflussnahme. Die Ausstellung präsentierte neben einer großen Auswahl an bestehenden Fotografien und Bilderserien auch neue Produktionen und Videoarbeiten, zusammen mit weitreichenden Materialien und Dokumenten aus Paglens Recherche- und Forschungspraxis. Die Skulptur Autonomy Cube, ein offener WiFi-Hot-Spot, verdeutlichte gemeinsam mit seinem neuen partizipativen Werk, dem im Vorfeld der Ausstellung ausgelobten Fotowettbewerb Eagle-Eye Photo Contest: Landschaften der Überwachung, den neuen künstlerischen Ansatz Paglens. Seine künstlerische Herangehensweise zielt immer wieder darauf ab, direkten Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen und aus den institutionellen Räumen der Kunst in die reale Welt hinauszureichen.
Trevor Paglen sucht in seiner Arbeit nach möglichen Metaphern für die allgegenwärtige Massenüberwachung und Datengewinnung sowie die damit zusammenhängenden Systeme von Macht. Im Zentrum seiner Projekte steht die vor den Blicken der Öffentlichkeit verborgene und als ‚Black World‘ bezeichnete Infrastruktur von Überwachungsaktivitäten der USA. Die geheimdienstlichen Einheiten, die staatlich beauftragt, aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit arbeiten, identifizieren sich in ihren Teams durch geheime Abzeichen. Paglen hat eine Werkserie diesen Abzeichen gewidmet und eines davon als Leitmotiv der Ausstellung gewählt, einen Oktopus, der der Ausstellung im Frankfurter Kunstverein den Titel gab.
In seiner langjährigen fotografischen Arbeit gelingt es Paglen durch hochentwickelte technische Methoden und Modelle kollektiver Wissensgewinnung, entlegene militärische Sperrgebiete, geheime Flugrouten von Spionagesatelliten und Drohnen oder Topographien ozeanischer Kabelnetzwerke zu fotografieren. Die Spuren der Auswirkungen staatlich angeordneter Kontrolle und militärischer Überwachung bleiben stets in seinen Bildern eingeschrieben. Ihre Produktion wird zu einem politischen Projekt mit ästhetischen Konsequenzen. Paglens Arbeit geht eine breit angelegte Recherche in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern, Amateurastronomen, Programmierern und Menschenrechtlern voraus, deren Dokumentation zum ersten Mal im Rahmen seiner umfassenden Werkschau gezeigt wurde.
In seinem Werk macht er geheime Standorte der NSA und CIA, verborgene Militärbasen und Transportwege zu Geheimgefängnissen oder versteckte Abhörstationen und Flugbahnen geheimer Überwachungssatelliten und Drohnen sichtbar. Trevor Paglen kann als einer der wichtigsten Vertreter des Landschaftsbildes im Zeitalter von Big Data bezeichnet werden. Seine farbgewaltigen Fotos erinnern an die dramatischen Naturszenen der abstrakt anmutenden Gemälde des britischen Malers und Romantikers William Turner, oder auch an die Farbfeldmalerei des US-amerikanischen Künstlers Mark Rothko. Sein politischer und investigativer Ansatz stellt wiederum Bezüge zu einem der profiliertesten Vertreter politisch engagierter Kunst her, dem deutschen Konzeptkünstler Hans Haacke. Auch kann ein Bezug zur Praxis des US-amerikanischen Künstlers Mark Lombardi gesehen werden, der politisch-ökonomische Machtstrukturen in ästhetisch aufbereiteter Form aufzeigte. In seinen konzeptuell miteinander verbundenen Fotografien, Videos, Büchern und überwachungskritischen Aktionen, lässt Paglen Techniken und Strukturen von Politik und Macht sichtbar werden. Der studierte Geograf arbeitet dabei wie ein investigativer Journalist: durch langwierige Recherchen, in Zusammenarbeit mit Aktivisten, Wissenschaftlern, Programmierern, Amateurastronomen und Technikern gelingt es ihm, staatlich angeordnete und nicht demokratisch legitimierte Kontrolle und Überwachung aufzuspüren und sichtbar zu machen.
Die notwendige Technik und Infrastruktur für Kontrolle und Überwachung verfolgte er beispielsweise in den Serien Untitled (Drones), The Other Night Sky und Limit Telephotography, die in der Ausstellung zu sehen waren. Paglen unternahm den Versuch, Überwachungssatelliten, Drohnen oder Abhörstationen oftmals zum ersten Mal überhaupt in einem Bild fest zu halten. Dabei leitete ihn die Frage: Wenn Geheimhaltung eine Art und Weise ist menschliche Aktivitäten zu organisieren, wie können diese dann sichtbar gemacht werden? Für digitale, global agierende Überwachungsprogramme benötigt man Rechenzentren, Büros, Technologien und ein riesiges Netz an personellen und materiellen Ressourcen. Paglen macht durch sein künstlerisches Werk deutlich, dass Geheimnisse nicht unsichtbar sind, sondern vielmehr eine Organisationsform darstellen. Seine politische Arbeit mündet in einem künstlerischen Werk, durch das eine neue Art des Sehens thematisiert wird.
In seinen eindringlichen und ästhetisierten Aufnahmen aus der mehrteiligen Bildserie The Other Night Sky verband Paglen einen dokumentarischen Ansatz mit medien- und fototheoretischen Diskursen. Fotografische Stilmittel wie Unschärfe, Belichtungszeit und Zoom setzte er mit einem inhaltlichen Bezug auf seine Motive ein und reflektierte somit über das Sehen und neue optische Apparate der Überwachung. Die Bilder der Serie weckten zunächst harmlose Assoziationen, sie ließen an Naturschauspiele am Nachthimmel denken: rote Nebelschwaden, Sternschnuppenregen oder gar die Flugbahn eines Kometen. Die Astrofotografien von Paglen machen amerikanische Raumflugkörper sichtbar, u.a. den Satelliten Keyhole 12-3/Improved Crystal, der mit einer Funktion zur Gesichtserkennung ausgestattet ist und Aufnahmen von Menschen und Aktivitäten aus dem All sammelt. An der Grenze zur Abstraktion verweisen seine Bilder auf die wechselseitige Beziehung zwischen Sehen und Gesehen werden und auf die Fraglichkeit des Bildes selbst.
Mit den Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden, die im Juni 2013 einen globalen Überwachungsskandal auslösten, wurden die verfassungswidrigen Aktivitäten der US-Geheimdienste zum erstem Mal öffentlich. Weltweit standen funktionierende Spionagenetzwerke, aber auch Social-Media-Plattfomen und Suchmaschinen, die Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung und Überwachungsbefugnisse der europäischen Sicherheitsbehörden im Fokus der Berichterstattung. Rückte der NSA-Skandal das Thema der Überwachung durch anlassloses Speichern von privaten Daten überhaupt erst ins Bewusstsein vieler BürgerInnen, setzte sich der US-amerikanische Künstler Trevor Paglen bereits seit über einem Jahrzehnt mit dieser Thematik auseinander.
In der Ausstellung zu sehen war auch Autonomy Cube, ein aktiver Internetserver, der in enger Zusammenarbeit mit dem Internetaktivisten und Spezialist für Computersicherheit Jacob Appelbaum entstanden war. Hierbei handelte es sich um eine Skulptur, die eine formale Dimension mit einer Funktionalität verband. Der Hochleistungsrechner ermöglichte den Zugang zum Internet über das sogenannte Tor-Netzwerk, ein von Nutzern betriebenes Netzwerk zur Anonymisierung von Verbindungsdaten. Indem der Frankfurter Kunstverein Autonomy Cube öffentlich präsentiert, wurde er zur Skulptur erklärt und fungierte als Teil einer datenschutzorientierten bürgerbasierten Internet-Initiative.
Trevor Paglen wurde am 21. Juni 2015 im Frankfurter Kunstverein mit dem Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh) ausgezeichnet. Im selben Jahr erhielt er einen Oscar als investigativer Künstler und Kameramann im Team um den Dokumentarfilm Citizenfour der Regisseurin Laura Poitras über die Snowden-Affäre.
Kuratorin: Franziska Nori