Mechanismen der Gewalt – Regina José Galindo und Arcangelo Sassolino
Erdgeschoss

Die Ausstellung „Mechanismen der Gewalt“ begann im Erdgeschoss mit jeweils einem zentralen Werk der Künstler: Regina José Galindo mit Estoy Viva und Arcangelo Sassolino mit Afasia 2.

Estoy Viva (Ich bin am Leben) ist ein Zitat einer der Überlebenden der Massenmorde an Guatemaltekischen indigenen Frauen. „Estoy Viva“, sagte eine der Frauen der Künstlerin, die monatelang die Zeugenaussagen in den Prozessen um die Schuld an den Genoziden begleitete. Hier wurden die Berichte von Frauen öffentlich gemacht, in denen das unsagbare Leid und das Grauen der Gewalttaten an den Frauen an die Öffentlichkeit kamen. Galindo hat über Jahre die Gerichtsverhandlung verfolgt, Akten eingesehen und mit Überlebenden gesprochen. In zahlreichen ihrer Arbeiten vollzieht die Künstlerin am eigenen Körper Handlungen, die den Frauen widerfahren waren. Eine Suche nach dem Begreifen, nach leiblichem Nachvollziehen, nach körperlichem Erfahren des Unsagbaren und gleichzeitig als Akt der Anklage durch die Macht von Bildern durch ihre künstlerischen Aktionen.

Bei Arcangelo Sassolino Arbeit Afasia 2 handelt es sich um ein Objekt, das mit der runden Form, der lackierten Oberfläche still und reglos im Raum stand. Es mutete unscheinbar an. Fast harmlos. Begleitet wurde die Präsentation der Arbeit von Dokumenten, offiziellen Papieren, in denen technische Angaben und die Zertifizierung der Sicherheitsprüfung gemacht wurden. Das Metallobjekt besteht aus zwei konkaven Hälften, die den Druck von 2,5 Bar standhalten. Der Druck im Inneren der Form entsprach der Macht eines Sprengkörpers, der die zerstörerische Kraft gehabt hätte, das umliegende Altstadtareal in die Luft zu sprengen.

Die kuratorische Entscheidung bestand darin, bereits am Eingang der Kunsthalle diese zwei sinnbildhaften Werke der beiden Künstler zu präsentieren, welche beide unter dem gemeinsamen Titel „Mechanismen der Gewalt“ das Haus bespielten. Dort wo Regina Jose Galindo mit ihrer einmalig radikalen, am eigenen Leib vollzogenen, performativen Arbeit die verwüstende Wucht von Gewalt nachvollziehbar machte, standen Arcangelo Sassolinos skulpturale Arbeiten mit ihrer tatsächlichen physischen Gewalteinwirkung auf Materialien und das Gebäude des Frankfurter Kunstvereins, in ihrer realen Zerstörungskraft im Raum.

 

ESTOY VIVA / ICH BIN AM LEBEN, 2013
Schmiedeeisen
Courtesy für alle Arbeiten: the artist and prometeo gallery di Ida Pisani Milan / Lucca

Guatemala hat einen dreißigjährigen Krieg durchgemacht, der mehr als 200.000 Opfer forderte, davon viele indigene Maya. In den letzten Jahren erschienen jedoch einige Lichtblicke von Gerechtigkeit. Der Prozess gegen Ríos Montt begann 2013, er wurde des Genozids angeklagt und zu 80 Jahren Haft verurteilt. Seine Verurteilung währte jedoch nicht lange, da die Oligarchie und der Staat Bemühungen unternahmen, das Urteil zu revidieren und ihn frei zu lassen. Die Hoffnung und der Mut der Ixil-Frauen, die ihn vor Gericht brachten, bleiben dennoch ungebrochen. Sie sind am Leben und haben eine Wahrheit zu erzählen.

ESTOY VIVA ist eine Würdigung dieser Wahrheit, dieses Kampfes. Aus einem politischen Bewusstsein heraus ist ESTOY VIVA eine Bejahung des Daseins und des Lebens.

 

Afasia 2, 2008
Stahl und 250 Bar komprimierter Stickstoff
Courtesy Pietro Fiorentini

In der Skulptur Afasia 2 befindet sich Stickstoff von 250 Bar, der so stark komprimiert wurde, dass er sich der Größe des Behälters anpasst. Der 600 Kilogramm schwere und massive Stahlbehälter ist dadurch einem enormen inneren Druck ausgesetzt. Ein Autoreifen ist vergleichsweise mit 2,5 Bar gefüllt. „Aphasie“ bezeichnet in der Medizin eine Störung des Sprachzentrums im Gehirn. Der Titel verweist in diesem Sinne auf die dem Werk innewohnende, aber nicht sichtbare potentielle Kraft zur Zerstörung. Die geometrische Form und die glatte, glänzende Oberfläche muten harmlos und in sich ruhend an. Das reale Potenzial der kinetisch gedachten Plastik steht in krassem Widerspruch dazu. Im Laufe der Entwicklung verschiedener Versionen dieser Arbeit intensivierte Sassolino seine Kooperation mit der italienischen Firma für Öl- und Gastechnologie Pietro Fiorentini. Die ausgestellte Skulptur besteht aus Versiegelungskapseln, die üblicherweise für die Abdichtung von Rohren für die Weiterleitung von Gas verwendet werden. Durch das Bureau Veritas zertifiziert, wurde das Objekt von der Europäischen Union für Ausstellungszwecke zugelassen.