Pressestimmen zu „Bending the Curve”
„Und deshalb setzt die Schau auf positive Erzählungen und nicht auf apokalyptische Narrative, von denen die Künste in Zeiten von Krisen überschwemmt werden. Die Präsentation wird vielmehr von dem positiven Impuls getragen, dass der steile Anstieg des Artensterbens durch neue Handlungsoptionen gemildert werden kann. Doch so wenig, wie sie die ökologische Kränkung durcharbeitet, die dem Menschen derzeit widerfährt, die lähmende Macht von Verlustangst und Umwelttrauer, so wenig ist die Ausstellung ein einhegendes Unternehmen, das falschen Optimismus durch die Illusionsmaschine Kunst verbreitet. Die Finesse, Kunst und Wissenschaft als gleichberechtigte und sich gegenseitig ergänzende Sichtweisen zu präsentieren, ist ein Gewinn und folgt aktuellen Ansätzen von Donna Haraway, Anna Lowenhaupt Tsing, Stefano Mancuso und einer Reihe anderer theoretischer Positionen. (…) Seit Jahren profiliert sich der Frankfurter Kunstverein mit Projekten zur Transformation von Mensch-Natur-Verhältnissen, die die utopischen Potentiale der Kunst mit wissenschaftlichen Erkenntnissen verflechten, wie etwa in den Ausstellungen Trees of Life (2019 / 20) oder Die Intelligenz der Pflanzen (2021 / 22). (…) Könnte die Präsentation dieser fein austarierten Mikrowelten symbiotischer Existenz nicht zu einer Kultur des Staunens verhelfen? Und könnte nicht das Staunen über das Winzige, das eine grandiose Wirkung zu entfalten vermag, zu mehr Behutsamkeit und Fürsorge führen? In der Begriffstradition jedenfalls begegnet die admiratio, das Staunen über die Natur, als Demutsbegriff, und in diesem Sinne bräuchte es noch viel mehr Ausstellungen wie diese.”
Judith Elisabeth Weiss, Bending the Curve, Kunstforum International, Band 294, Februar 2024
„Im ersten Obergeschoss zeigt ein munteres Diagramm mit Tieren, Bäumen, Menschen auf der weißen Wand, wie das tatsächlich gelingen kann, die Kurve abzuflachen, wenn nicht gar zu drehen, bis ins Jahr 2100. Wenn wir mehr Erhaltungspflege betreiben, unsere Konsum umstellen und nachhaltig produzieren. Das hat man schon oft gehört – aber in Zeiten, in denen die einen mit Protest auf jedes gefühlte Verbot reagieren und zugleich viele, vor allem junge Leute bis zur psychischen Erkrankung hoffnungslos sind angesichts der ökologischen Entwicklung, ist das Diagramm, bunt auf weiß, samt einiger Zitate, die den großen Wandel in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft in machbare Päckchen aufteilen, geradezu tröstlich. Und Trost, so seltsam das klingen mag, ist ein Gefühl, das die Besucher durchaus ergreifen kann angesichts der künstlerischen Positionen, die regelrecht verschmelzen mit der Wissenschaft in „Bending The Curve“. Trägt die Ausstellung doch den Untertitel „Wissen, Handeln, (Für)sorge für Biodiversität“. (…) So versucht der Parcours durch den Kunstverein, die fatal nach unten zeigende Kurve unserer Zuversicht und Tatkraft umzukehren. Er spricht die Empathie jedes Einzelnen an und eine Ermunterung aus: Sich als Teil eines Ganzen zu verstehen. Für das es sich zu kämpfen lohnt.”
Eva-Maria Magel, Die Kurve der Zuversicht, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.10.2023
„Zugvögel, Ameisen und Biodaten sollen Kunst schaffen? Der Frankfurter Kunstverein zeigt Schönes aus der Natur, um ihrer Zerstörung entgegenzutreten. (…) Die ungewöhnliche Zusammenarbeit zwischen Franziska Nori vom Kunstverein und Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums, zeigt aber keine – oft effekthascherische – „Bio Art“. Die Ausstellung präsentiert bedacht ausgewählte Exponate aus Naturwissenschaft und bildender Kunst unter einer prägnanten These: Um Klimawandel, Verlust von Biodiversität und Umweltverschmutzung zu stoppen und so die Ökosysteme zu schützen, bedürfe es „positiver Erzählungen“. (…) Wenn man erst mal angefangen hat, die Exponate wie reine Kunstwerke zu betrachten, kommen die erstaunlichsten Assoziationen. Da sind zum Beispiel sechs Aluminiumabgüsse von unterirdischen Ameisenbauten des US-amerikanischen Biologen Walter R. Tschinkel. Von der Decke hängend sehen sie aus wie abstrakte Kleinskulpturen, die von Calder, Giacometti oder Brâncuși inspiriert sein könnten.”
Tilman Baumgärtel, Die Kunst der Tiere, taz, 15.11.23
„Die mit Glasröhren verbundenen Glaskuben ziehen das Publikum unwiderstehlich an. In ihrem Inneren krabbeln Ameisen, zerschneiden Blätter, legen Pilzgärten an. Was fasziniert uns so? (…) Stundenlang möchte man staunen: über die Präzision des Ablaufs, die Fresskammern oder Abfallhaufen – ausgeschiedene organische Reste, die so gar nichts mit unseren toxischen Müllhaufen zu tun haben.“
Yvonne Volkart, Bending the Curve. Wissen, Handeln, [Für]Sorge für Biodiversität, Springerin, 4/2023
Umwerfend, was Design-Professorin Julia Lohmann präsentiert: eine begehbare Skulptur aus Seetang und eine Werkschau ihrer Arbeit mit den Pflanzen der Ozeane, die schnell wachsen und umweltfreundliches Baumaterial abgeben. (…) Noch mehr wow: Alexandra Daisy Ginsberg entwarf einen Algorithmus, der Pflanzen und Bestäuber mit den größten Erfolgsaussichten je nach Standort zusammenbringt – und schuf fünf großformatige digitale Pflanzengemälde in den Farben, in denen die Bestäuber sie sehen. Wow. Und noch einmal wow: Oben unterm Dach wachsen zu sphärischen Klängen im Dämmerlicht Kohlenstoff-Felsen aus dem Boden, die man berühren darf, eine interaktive Rauminstallation. Dazu Virtual-Reality-Brillen als Einladung, an atemberaubenden Vogelflügen teilzunehmen. Und warum „Bending the Curve“? Weil es darum geht, noch die Kurve zu kriegen fürs Klima und die Biodiversität. Die Kurve in ihren verschiedenen Verläufen ist Teil der Ausstellung. Sie zeigt: Es liegt an uns, dass es wieder aufwärts geht mit der Vielfalt.“
Thomas Stillbauer, Die Artenvielfalt retten, aber ästhetisch, Frankfurter Rundschau, 12.10.23
„Ein Stockwerk höher findet sich ein ganz besonderes Ausstellungsstück: ein zeltähnliches Gebilde aus Algen. Die Gestalterin Julia Lohmann hat es gebildet. (…) Das Erstaunliche: Von der Konsistenz und der Struktur her erinnert das Material tatsächlich an Leder. Das begehbare Algenhäuschen und andere Algenexponate dürfen nämlich – was ansonsten oft nicht erlaubt ist – berührt werden. Dadurch solle das Museum als Raum dienen, um intensiver nachzudenken und mit anderen zusammenzukommen, statt die Stücke nur allein zu begutachten.“