Roots. Indonesian Contemporary Art

26.09.2015 — 10.01.2016

„Roots. Indonesian Contemporary Art“ fand anlässlich des Ehrengastauftritts von Indonesien zur Frankfurter Buchmesse 2015 statt und war eine Koproduktion mit der National Gallery of Indonesia in Jakarta, unter Schirmherrschaft des Ministeriums für Bildung und Kultur der Republik Indonesien. Um der internationalen Kooperation Ausdruck zu verleihen, lud Franziska Nori die indonesischen Kuratoren Asikin Hasan und Rizki A. Zaelani dazu ein, gemeinsam mit ihr die Ausstellung und ein umfangreiches Kulturprogramm zu entwickeln.

Die eingeladenen Künstler Joko Avianto, Jompet Kuswidananto, Eko Nugroho und das Künstlerkollektiv Tromarama sind Teil einer jüngeren Generation der sogenannten Post-Reformation nach 1998. Im Anschluss an die 30-jährige Autokratie von Suharto ist diese durch den Aufbruch in eine Ära der Ausdrucksfreiheit und experimenteller Freiräume geprägt. Ihre künstlerischen Praktiken wurzeln im Bewusstsein der eigenen überlieferten Kultur und bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Tradition und der Partizipation am modernen Leben. Die vier Künstlerpositionen vereinen politischer Diskurs, religiöse Vorstellungen und Praktiken traditionellen Kunsthandwerks mit Populärkultur, Street-Art und Comiczeichnung. Der Frankfurter Kunstverein präsentierte Arbeiten, die von den Künstlern eigens für die Ausstellung und vielfach vor Ort realisiert wurden. Die spektakuläre Bambusinstallation von Joko Avianto umfasste die Fassade des Kunstvereins und wirkte als Teil der Architektur in den urbanen Raum Frankfurts hinein, während Jompet Kuswidananto, Eko Nugroho und Tromarama mit umfangreichen Einzelpräsentationen in den Ausstellungsräumen vertreten waren.

Indonesien zählt zu den bevölkerungsreichsten Ländern der Welt und vereint auf seinem über 17.000 Inseln umfassenden Archipel unzählige unterschiedliche Ethnien, Sprachen, Religionen und Kulturen. Unter der knapp 350 Jahre währenden Kolonialherrschaft der Niederlande erfuhr die indonesische Kultur bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts starke soziokulturelle Umwälzungen. Dieser Prozess der Annäherung an eine westlich geprägte Moderne wurde von einer längeren Phase der Unabhängigkeitsbestrebungen und politischen Instabilität begleitet und wirkt bis heute als Spannungsfeld in der Gesellschaft. Die zeitgenössische indonesische Kunstproduktion bringt die vielschichtigen Aspekte von Geschichte, Naturverbundenheit und Spiritualität in Verbindung mit zeitgenössischer Populärkultur, politischen Haltungen und öffentlichem Leben zum Ausdruck.

Die ausstellenden Künstler leben und arbeiten in Indonesien und sind Teil dieses pulsierenden soziokulturellen Umfelds, welches von einem rasanten Wandel von traditioneller hin zu einer modernen Gesellschaft erfasst ist. Gleichzeitig nehmen sie in ihren künstlerischen Ansätzen einen distanzierten, wenn nicht kritischen Standpunkt ein. Ihre Kunstwerke veranschaulichen Wandlungsprozesse innerhalb tief verwurzelter Konventionen, welche von Reibungskräften zwischen Traditionalismus und Moderne, Nationalität und Internationalität, lokaler Verbundenheit und Globalisierung sowie Universalität und Pluralität geprägt sind.

 

Für die Umsetzung seiner künstlerischen Konzepte nutzt Joko Avianto vorwiegend Bambus. Mit diesem Material entwickelt er ortsspezifische, groß angelegte Installationen für den öffentlichen Raum, die eindrucksvolle Dimensionen einnehmen können. Aviantos skulpturale Arbeit mit dem Bambus als künstlerisches Medium thematisiert dessen traditionelle Verwendung und bricht gleichzeitig mit ihr. Der Künstler ist dem Formalismus verschrieben.

Aus dieser Haltung heraus entwickelt er Formen und Techniken, die aus dem extrem stabilen Bambusholz ein plastisch formbares Material werden lassen, aus dem er die Skulpturen schafft. Die Arbeiten behaupten sich im Raum als eigenständige Architekturen und entwickeln eine einmalige ästhetische Präsenz. Die Verwendung dieses nachwachsenden Rohstoffs ist Ausdruck einer neuen künstlerischen Strategie und eröffnet gleichzeitig eine kritische Sichtweise auf die Umweltauswirkungen der Modernisierung. Avianto verbindet so seine Arbeit mit einem Bewusstsein über die gesellschaftliche Tragweite von Kunst. In Bandung betreibt er sein Atelier als gemeinschaftsbasiertes Projekt. Mit der Nutzung von Bambus verweist er auf dessen Tradition als Baumaterial, die in einer schnell wachsenden Gesellschaft durch industrielle Bebauungsprojekte zunehmend verdrängt wird. Die von Joko Avianto im Laufe von drei Wochen speziell für die Fassade des Frankfurter Kunstvereins geschaffene Installation „Pohon Besar“ (Big Trees) besteht aus insgesamt 1.500 eigens geschlagenen, sechs Meter langen und miteinander verwebten Bambusstangen.

Bereits während seines Studiums am Indonesia Institute of Art Yogyakarta begann Eko Nugroho öffentliche Räume und Wände als Medium der künstlerischen Intervention zu erkunden. So initiierte er mit „Daging Tumbuh“ ein Kunstprojekt für Street-Art und Comic-Buchkunst, an welchem Künstler und Nicht-Künstler gleichermaßen beteiligt sind. Ausgehend von ersten Experimenten im öffentlichen Raum der Stadt Yogyakarta, erweiterte sich sein Kunstschaffen auf verschiedene Präsentationen im Innen- und Außenbereich. Nugrohos zweidimensionale Zeichnungen, Stickereien und Embleme bestimmen auch seine Auseinander-setzung mit dem dreidimensionalen Raum. Im Frankfurter Kunstverein verwendet Nugroho Boden, Wand und Decke um Symbole, visuelle Ideen, Muster und Formen nebeneinanderzustellen, welche über die Grenzen von Kunst und Design ins Politische hinausweisen. Auch integriert er Textebenen in seine Kunst, um die Bedeutung von gebräuchlichen indonesischen Sprichwörtern zu verdrehen und zu persiflieren. Eko Nugroho wuchs inmitten starker kultureller Gegensätzlichkeiten auf, mit denen er sich in seinem Werk auseinandersetzt. Während er am traditionellen javanischen Kulturerbe teilhat, in dem Puppentheater, Gamelan, Stickerei und Volksmärchen von zentraler Bedeutung sind, ist er auch Teil des dynamischen zeitgenössischen und internationalen Kunstbetriebs, der sich der großen Reichweite und dem Einfluss der westlichen Kultur nicht entziehen kann. Diese kulturellen Widersprüche erhalten zusätzliche Komplexität durch den Einfluss von Pop-Kultur, wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Krisen und der Rolle des Islam in der zeitgenössischen indonesischen Gesellschaft.

Der Absolvent der Gajah Mada University in Yogyakarta, Jompet Kuswidananto, interessiert sich für die kinetischen Umwandlungen von Klang und Ton und deren Übersetzung in visuell erfahrbare Formen. In den 1990er Jahren begann er Soundarbeiten, Performances und große Klang-Installationen zu realisieren. Eine dieser Arbeiten, mit dem Titel „Garden of the Blind“, wurde aus gebrauchtem Elektroschrott zusammengebaut. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts arbeitet er verstärkt themenorientiert. Der Fokus einer Reihe seiner Arbeiten mit den Titeln „Java Amplified“, „Java-Maschine“ und „War of Java: Do You Remember“ lag beispielsweise auf der Präsentation von Symbolen und Formen, die charakteristisch für die Armee des javanischen Königreichs sind. Im Kontext der Frankfurter Ausstellung zeigt Kuswidananto die Arbeit „Power unit”. Objekte wie Schuhe, Motorrad-Teile und Gebilde, die in ihrer Form menschlichen Händen und vermummten Menschenköpfen ähneln, ordnet er zu skulpturalen Figuren an, die frei im Raum schweben. Ihre künstliche Belebung durch Geräusch und Bewegung kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier um bloße Hüllen handelt, ähnlich verlassener Kokons. Jompet Kuswidananto erforscht mit seiner Kunst Spuren aus der Vergangenheit und markiert somit die Brüche zwischen Gegenwart und Abwesenheit, Vergänglichkeit und Beständigkeit in der postkolonialen Wirklichkeit.

Das Künstlerkollektiv Tromarama (Febie Babyrose, Herbert Hans, Ruddy Hatumena), präsentiert die Arbeit „Break A Leg“. 230 bestickte Tücher sind auf Leinen gespannt, die den gesamten Ausstellungsraum durchziehen. Die Projektion eines Stop-Motion Animationsfilmes zeigt die Motive der Stickereien, welche die Tücher tragen, in Endlosschleife: Ein Mann in westlicher Bürokleidung läuft immer wieder auf den Betrachter zu, während seine Figur von einer digitalen Zeitanzeige überlagert wird. „Good Morning“, der rote Schriftzug auf den Enden der Tücher, verweist auf den Namen einer beliebten Handtuchmarke Indonesiens. Diese vermeintlichen Alltagsgegenstände, die mit roten und goldenen Fäden bestickt sind, werden präsentiert, als wären sie zum Trocknen aufgehängte Wäschestücke. Die Rauminstallation spielt auf das Leben in einem postindustriellen Land an, in dem Wirtschaftsindikatoren maßgeblich sind und die Auswirkungen der Globalisierung und deren Anforderung an gesteigerter Produktivität eine rasante Beschleunigung des Lebens bewirken. Im Kontext der Arbeit bekommen die Worte „Guten Morgen“ eine doppelte Bedeutung zugewiesen. Während auf der einen Seite mit der Begrüßung eines neuen Tages Hoffnung und Optimismus transportiert wird, enthüllt die Struktur der Installation einen ihr zugrunde liegenden ironischen Blick auf ein von technologischen und digitalen Utopien bestimmtes, urbanes Leben. Die Bildinhalte der Animation und der Stickereimotive stehen bewusst im Kontrast zur Langsamkeit der angewandten Produktionstechniken. Mit dieser Arbeit gelingt Tromarama ein subtiler Verweis auf den indonesischen Spagat zwischen aktuellen Lebensrealitäten und tief in der Kultur verwurzelten Traditionen.

Beteiligte Künstler / Künstlerkollektive: Joko Avianto (* 1976 in Bandung (ID), lebt in Bandung), Jompet Kuswidananto (*1976 in Yogyakarta (ID), lebt in Yogyakarta), Eko Nugroho (*1977 in Yogyakarta (ID), lebt in Yogyakarta) und Tromarama, gegründet 2006 von Febie Babyrose (*1985 in Jakarta (ID)), Herbert Hans (*1984 in Jakarta (ID)) und Ruddy Alexander Hatumena (*1984 in Bahrain (ID)), leben in Bandung (ID).

Kuratoren: Asikin Hasan, Franziska Nori und Rizki A. Zaelani

Zur Buchmesse erscheint ein Ausstellungskatalog mit Beiträgen von Franziska Nori, Goenawan Mohamad, Asikin Hasan, Rizki A. Zaelani, Dr. Amanda Rath, gestaltet von Pat Adele, fotografiert von Andang Iskandar und verlegt von Multi Arta Mayida EO; Umfang: ca. 60 Seiten

„Roots. Indonesian Contemporary Art“ findet anlässlich des Ehrengastauftritts von Indonesien zur Frankfurter Buchmesse 2015 statt und ist eine Koproduktion mit der National Gallery of Indonesia in Jakarta, unter Schirmherrschaft des Ministerium für Bildung und Kultur der Republik Indonesien.

Die Ausstellung findet zeitgleich statt mit „Körper-Ich: Körper im Zeitalter digitaler Technologien“ (26.09.2015 – 10.01.2016). Die Themen beider Ausstellungen werden im Rahmen eines umfangreichen Begleitprogramms dialogisch vertieft. Highlight-Veranstaltungen sind die Podiumsdiskussion „Roots. Indonesian Contemporary Art“ am 15.10.2015 mit allen an der Ausstellung beteiligten Künstlern sowie Asikin Hasan (Ko-Kurator), Nirwan Dewanto (Schriftsteller), Dr. Amanda Rath (Dozentin für moderne und zeitgenössische Kunst aus Südost-asien, Institut für Südostasien-Studien und Institut für Kunstgeschichte, Goethe-Universität, Frankfurt/Main) und Franziska Nori (Direktorin Frankfurter Kunstverein); am 22.10.2015 das Gespräch „Diversität und kulturelle Identität nach der Suharto-Autokratie in Indonesien“ mit Prof. Dr. Susanne Schröter (Ethnologin, Professorin am Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ an der Goethe-Universität Frankfurt/Main) und Hendra Pasuhuk (Autor „Traum der Freiheit – Indonesien, 50 Jahre nach der Unabhängigkeit“ und Redakteur für den Südostasiatischen Raum bei der Deutschen Welle); und am 28.10.2015 der Vortrag „Indonesische Gegenwartskunst im Visier des globalen Kunstmarktes“ von Matthias Arndt (Galerist in Berlin und Singapur, Experte für Kunst aus dem Südostasiatischen Raum).

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