How to Make a Paradise – Sehnsucht und Abhängigkeit in generierten Welten
27.03.2020 — 16.08.2020
Ausstellungseröffnung: Donnerstag, 26. März 2020, 19 Uhr
Teilnehmende KünstlerInnen: Tega Brain, Julian Oliver & Bengt Sjölén, Elisabeth Caravella, Kate Crawford & Vladan Joler, Fleuryfontaine, Keiken + George Jasper Stone, Jakob Kudsk Steensen, Lauren Lee McCarthy, Jaakko Pallasvuo, Julien Prévieux
Einführung von Franziska Nori
Der Frankfurter Kunstverein hat unter dem Titel „How to Make a Paradise“ neun KünstlerInnen und Kollektive eingeladen, ein breites Spektrum künstlerischer Projekte zu präsentieren, die sich mit dem menschlichen Wunsch nach digitalem Eskapismus, sowie dem Drang, unsere Fähigkeiten durch den Einsatz von Technologie zu erweitern, auseinandersetzen. Kuratiert von Mattis Kuhn mit der Unterstützung von Franziska Nori, umfasst die Ausstellung multimediale Installationen, digitale Filme und VR-Experiences.
Paradiese klingen nach Erfüllung und Sehnsucht. Nach Ferne und Schönheit, nach Dasein ohne Mühe. Zu jeder Zeit, an jedem Ort sind digitale Gadgets verfügbar. Sie versprechen uns die Ausweitung der Komfortzone. Und sie entführen uns aus dem Hier und Jetzt. Sie nehmen uns mit in Welten, deren Erscheinungsoberflächen sich unseren Wünschen anpassen lassen. Verspielt, nutzerfreundlich und mit dem Klang sanfter Stimmen helfen sie uns mühelos durch den Alltag.
Ein Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf Anwendungen und Auswirkungen künstlicher Intelligenz. Damit digitale Assistenten auf ein Händeklatschen oder Fingerstreich reagieren, wird der Globus umspannt mit mächtiger Infrastruktur aus Satelliten, unterirdischen Kabeln, Datenbanken und Serverfarmen, die von einer Handvoll globaler Konzerne betrieben werden. Die Leistungen verbrauchen Energie, Rohstoffe und schlechtbezahlte Arbeit, bieten aber den schnellen Zugang zur Erfüllung unserer unmittelbaren Begehren. Künstliche Intelligenz, Robotik und Virtual Reality versprechen eine andere, erweiterte Welterfahrung ohne analoge Last, technisch optimierte Lösungen scheinbar ohne menschliche Fehler.
Lauren McCarthy, Kate Crawford & Vladan Joler, das Kollektiv Tega Brain, Julian Oliver & Bengt Sjölén sowie Julien Prévieux problematisieren ganz unterschiedliche Aspekte, die im Zusammenhang mit K.I. in unserer Gesellschaft entstehen. Elisabeth Caravella und Jaakko Pallasvuo benutzen die typischen Ästhetiken von online Tutorials, um die Möglichkeiten künstlerischer Ausdrucksweisen mit den Mitteln technischer Materialien zu untersuchen.
Ein zweiter Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf dem individuellen Erleben in virtuellen Welten. Mit Jakob Kudsk Steensen, dem Künstlerduo Fleuryfontaine, bestehend aus Galdric Fleury und Antoine Fontaine sowie bei der Arbeit des Kollektivs Keiken sind die stilistisch gewählten Blickwinkel zwar unterschiedlich, immer aber wird ein Gefühl der Einsamkeit beschrieben.
Die Ausstellung hat neun Positionen ausgewählt, die ein relevantes Spektrum der aktuellen Thematiken und Ausdrucksweisen abbilden. Die Materialien und Methoden, mit denen alle präsentierten Werke geschaffen wurden, sind Screen Castings, Programmierungscode, Software Anwendungen, Insta-Filter und grafische Programme; die Bildträger sind Screens und Datenbrillen, die den Zugang zu ausgedehnten artifiziellen Welten ermöglichen, in denen BesucherInnen sich temporär verlieren können. Und gleichzeitig bleiben es Spiegel, zweidimensionale Oberflächen, in denen wir das Abbild unserer selbst beim Akt des Betrachtens wiederfinden.
„How to Make a Paradise“ hat für jede künstlerische Arbeit einen eigenständigen Raum erschaffen, in dem jede der digitalen Bildwelten aufgegriffen und im analogen Raum erweitert und verstärkt werden. Die neun Arbeiten stehen für aktuelle künstlerische Produktionen, denen es gelingt, die aufkommenden Brüche sowohl für das Individuum als auch in der politischen, kollektiven Dimension, zu antizipieren.
Der Rückzug in digitale Paradiese und kontrollierbare Welten sind der eine Pol, die ständige Optimierung der Körperlichkeit der andere. Aber die fast allen Arbeiten unterschwellig innewohnenden Themen sind Isolation und Untergangsszenarien. Der Wunsch nach Kontrolle durch digitale Instrumente und Anwendungen scheint immer wieder durch. Die Sehnsucht nach komfortablen, schillernden Welten durchzieht die Ausstellung. Die Allgegenwärtigkeit digitaler Bilder, die mit perfekten Oberflächen ihre eigene Wirklichkeit behaupten, verstärken den Wunsch nach individueller Selbstoptimierung. In den digitalen Ebenen spiegeln wir uns selber. Immer weiter optimieren wir unsere Skills, unser Selbst und unsere individuelle Welt. Sehnsüchtig nach Verführungen und dem Erlebnis von Nähe ohne Intimität, von Erregung ohne Konsequenz, in individuellen Paradiesen. Mit einem digitalen Leib als künstlicher Manifestation unseres inszenierten Selbst bewegen wir uns durch die Matrix der digitalen Welt. Auf der Suche nach Anerkennung, nach Selbstvergewisserung im Like der Online Communities.
Mit der Ästhetik von Insta-Filtern und der Motion Graphics wird eine Spektakularität der animierten Bilder geschaffen, die den Augenblick der Aufmerksamkeit in der Flüchtigkeit digitaler Bildökonomie inszeniert. Zunehmend verschmelzen analoge und digitale Sphären miteinander zu einer Meta-Realität, in der Menschen agieren, einander treffen und nach der Erfüllung von Sehnsüchten verlangen.
Einführung von Kurator Mattis Kuhn
Mit Technologien wie Künstlicher Intelligenz, Robotik und Virtual Reality geben wir uns Versprechen von einer besseren Welt. Das Handlungswissen („How to“) übersteigt dabei meist das Verstehen, das Machen („Make“) meist die Reflexion des Ziels. Immer weiter optimieren wir unsere Fähigkeiten, unser Selbst und unsere Welt in der Sehnsucht auf ein irdisches Paradies. Dieses scheint zwei Seiten zu haben – einerseits Erfüllungsort unserer Wünsche, andererseits aber auch Eingrenzung und Abhängigkeit.
Paradiese sind ursprünglich im Jenseits, außerhalb der weltlichen Lebensrealität, in einem virtuellen Raum lokalisiert. Das Paradies gilt als ein erstrebenswerter Ort. Die Existenz ist zeitlos, es gibt keinen Tod. Es ist ein Garten oder Park. Die Umwelt ist hier gezähmt und auf die Bedürfnisse der menschlichen BewohnerInnen zugeschnitten. Einst wurden diese Gärten durch Göttliches gestaltet. In den letzten Jahrhunderten strebte der Mensch danach, sich die Natur mittels Technologien mehr und mehr untertan zu machen. Nach und nach verschob sich auch das Paradies aus dem Jenseits ins Diesseits. Gleichermaßen strebt der Mensch danach, die Trennung zwischen Menschlich und Göttlich aufzuheben. Das Ziel ist die Optimierung der diesseitigen Existenz statt eines Wartens auf den Eintritt ins Jenseits.
Technologische Oasen
Wir können das Leben auf der Erde tatsächlich angenehmer und leichter gestalten. Entwicklung und praktischen Anwendung von Algorithmen, Künstlicher Intelligenz, der Robotik und dem Internet der Dinge vergrößern die Möglichkeiten dessen, was wir mittels Technologien tun können. Vieles wird primär angenehmer, beispielsweise durch Smart Phones, Smart Homes und persönliche digitale Assistenten, aber vieles wird auch substantiell besser, etwa die medizinische Versorgung und die dadurch gesteigerte Lebenserwartung. Dies führt bis zu dem Vorhaben, die Unsterblichkeit nicht erst nach dem Tod, sondern bereits davor zu erreichen, indem wir zu Cyborgs werden oder unser Ich mittels Mind Upload von unserem sterblichen Körper befreien.
Mit Anleitungen eignen wir uns neue Fähigkeiten an und optimieren uns und unsere Umwelt. „How to“-Tutorials über digitale Technologien wie 3D-Programme, 3D-Drucker, Software zur Bearbeitung von Bild und Film etc. sind exemplarisch für die durch Technologien wachsenden Möglichkeiten, auch für Privatpersonen. Mit diesen Werkzeugen entstehen nicht nur virtuelle Welten, sondern wir können damit aktiv unsere physische Welt verändern. Computerbasierte Berechnungen formen unsere Welt(en). Es entsteht der Eindruck der subjektiven Autonomie und der Machbarkeit durch Menschenhand.
Technologische Gehege
So wie das Paradies seinem Wortstamm nach auch ein Gehege, ein eingezäuntes Gebiet, exklusiv ist, so ist auch der Zugriff auf Technologien exklusiv und so können Technologien uns auch eingrenzen.
Mit der rasanten Entwicklung der Technologien entziehen wir uns unsere Lebensgrundlage, indem die natürlichen Ressourcen auf nicht nachhaltige Weise verbraucht oder verschwendet werden – sowohl zum Herstellen all unserer technischen Geräte und Infrastrukturen, als auch zu deren laufendem Betrieb. Die absolute Unterwerfung der Natur erweist sich als Illusion. In Anbetracht schwindender Ressourcen und klimatischer Veränderungen streben wir als Alternative mit der Marskolonisation die Erschaffung eines exklusiven extraterrestrischen Paradieses an.
Der Wunsch nach kostenlosen digitalen Services, das Streben nach Selbstoptimierung oder einfach nutzerfreundliche Bequemlichkeit führen dazu, dass immer mehr Aspekte unseres Lebens in Daten transformiert, gespeichert und zur Profilbildung genutzt werden. Der Wunsch nach Sicherheit forciert die systematische Überwachung, sowohl physischer als auch virtueller Räume. Die Privatsphäre löst sich auf.
Zunehmend geben wir Kompetenzen an Maschinen ab. Künstliche Intelligenz ist mit der hoffnungsvollen Vision verbunden, ein universaler Problemlöser zu werden. Die größte Macht scheint in vielen Teilen der Welt nicht mehr bei Staaten und Regierungen zu liegen, sondern von privaten Konzernen auszugehen, die diese Technologien entwickeln. Indem unser Leben auf deren Produkte aufgebaut und angewiesen ist, machen wir uns von diesen Konzernen abhängig. Wir sind darauf angewiesen, was uns an Tools zur Verfügung gestellt wird. Technische Geräte werden zunehmend hermetisch abgeriegelt, so dass sie nicht mehr modifizierbar oder selbstständig reparierbar sind. Social Media Plattformen beschränken die Handlungsspielräume ihrer UserInnen und binden sie an die eigenen Interessen.
Make
Indem wir immer mehr Technologien in unser Leben integrieren, vergrößern wir unseren Möglichkeitsraum. Wir können viel mehr machen als noch vor einigen Jahren, aber natürlich steigt dadurch auch unsere Abhängigkeit von diesen Technologien. So können aus ursprünglichen Möglichkeitsräumen Gehege werden, welche unsere erreichte Freiheit wieder eingrenzen.
Aber sind unsere Qualitäten als MacherInnen in Zukunft überhaupt noch gefragt oder ist für uns die Rolle der passiven Konsumenten vorgesehen? Erwarten wir sogar, auf bequeme Weise vom Paradies umschlossen zu werden? Paradiese, sowohl in ihrer Vorstellung als auch ihrer Realisierung, scheinen stets beides zu sein – Oase und Gehege. Aktuell wird die Realisierung primär von großen Technologie-Konzernen und ihren Interessen vorangetrieben. Gibt es womöglich noch alternative Interessen, alternative Ziele? Wie könnten geerdete paradiesische Visionen aussehen? Was könnten also alternative Erzählungen für eine (paradiesische) Lebenswelt sein, welche weder rücksichtslos gegenüber der Erde ist, noch exklusiv für einen geringen Teil der Weltbevölkerung gemacht ist, noch in Technokratie mündet?
Die Ausstellung „How to Make a Paradise“ reflektiert aktuelle Entwicklungen. Die ausgestellten Werke sind kritisch, sie könnten auch als dystopisch eingeordnet werden. Aber in der Kritik steckt auch immer die Aufforderung zur Handlung, in der Dystopie steckt auch immer die Utopie. Diese gilt es zu finden. Und zu realisieren. In diesem Sinne fordert „How to Make a Paradise“ die BesucherInnen auf zum individuellen reflektierten Selbstentwurf, statt auf die Anleitung zu warten, die es mechanisch zu befolgen gilt.